Reizwortgeschichte (Schlafsack, Hülle, Schulhausübernachtung)

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,,Hast du dann endlich alles?" Die genervte Stimme meiner Mutter hallte durch unsere kleine Wohnung und störte wahrscheinlich nicht nur mich, sondern auch unsere Nachbarn. ,,Ja, bis auf den Schlafsack halt. Ansonsten schon. Ich hab' ja gestern Abend schon gepackt. Außerdem ist das eine Schulhausübernachtung, keine Weltreise." Darauf wusste sie nichts mehr zu sagen. Ich drückte ihr noch einen schnellen Kuss auf die Wange, sagte flüchtig: "bis dann.." und beeilte mich, noch rechtzeitig an die Bushaltestelle zu kommen.

Gerade als ich um die letzte Ecke bog, sah ich, wie der Bus die Türen schloss und losfuhr. Ich konnte ihm nur noch nachschauen. ,,Na großartig", murmelte ich leise zu mir selbst und verfluchte mich, dass ich nicht doch noch die letzten Meter gelaufen war. Meine Stimmung war deswegen eh schon im Keller und ich hätte nicht gedacht, dass sie noch weiter absinken könnte, aber als die dunklen Wolken, die schon den ganzen Tag am Himmel hangen, ihre Last endlich abregneten, bereute ich es endgültig, heute Früh aus dem Bett gekrochen zu sein. Innerhalb von Sekunden war meine dünne Jacke durchnässt, weil ich in der Eile natürlich etwas regenfestes vergessen hatte. Ich hatte mir so einen Stress um meinen nicht vorhandenen Schlafsack gemacht, dass ich wohl die Liste, die meine Mutter mir gegeben hatte, nicht mehr ganz durchgeschaut hatte.

Auf der Suche nach einem Unterstand fiel mein Blick auf das alte Haus, das ganz in der Nähe stand. Im urspünglichen Garten stand eine kleine, heruntergekommene Hütte, dessen Dach aber noch recht dicht schien. Da ich keine Lust hatte die restliche viertel Stunde weiterhin an der unüberdachten Haltestelle zu warten, näherte ich mich vorsichtig dem Gebäude. Oft hatte ich es schon von außen betrachtet, aber ich hatte das Haus oder generell das Grundstück noch nie betreten. Warum auch? Immerhin hatte ich nie einen driftigen Grund.

Zu meiner Erleichterung hatte das Dach tatsächlich nur ein kleines Leck über der Türe, war aber ansonsten Trocken. Hier drinnen war das Prasseln des Regens nur noch gedämpft und beinahe angenehm zu hören. Alles in dem kleinen Raum sah alt und heruntergekommen aus. Der wahrscheinlich einmal maronifarbene Tisch war eingestaubt und nur noch hellbraun. Die passenden Stühle hatten die gleiche Farbe und wirkten nicht so, als ob sie noch jemanden oder etwas tragen könnten. Das kleine Fenster, durch das spärlich Licht schien, war angelaufen und hatte mehrere, kleine Risse. Allerlei Gegenstände standen auf hölzernen Regalen an der Wand, die nicht minder heruntergekommen aussahen. Wie lange diese Hütte wohl niemand betreten hatte? Es schien früher einmal ein Spielplatz für Kinder gewesen zu sein. Einer, in dem sie sich trafen und so taten, als ob sie Piraten wären, Detektive oder Forscher. Ich betrachtete die Gegenstände auf den Regalen genauer. Es waren kleine Figuren, Tassen und sogar Flaschen dabei, in denen  kleine Zettel eingerollt waren. ,,Flaschenpost", sagte ich zu mir selbst und musste lächeln. Es war ewig her, seit ich das letzte Mal richtig gespielt hatte.

Ich ging einen Schritt weiter, bis mein Blick auf etwas fiel, das überhaupt nicht alt aussah. Neben dem ganzen verstaubten, alt wirkenden Sachen, stach es mir umso mehr ins Auge. Es war länglich, blau und schien mich beinahe magisch anzuziehen. Kurz zögerte ich noch, dann griff ich es mir und sah es mir genauer an. Kaum, dass meine Finger den Gegenstand berührten, fingen sie an, heftig zu kribbeln und vor Schreck ließ ich das, was ich in meinen Händen hielt, fast fallen. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, untersuchte ich das Ding ein bisschen genauer. Oben befand sich eine Öffnung, die mithilfe eines Bändchens geschlossen oder geöffnet werden konnte. Vorsichtig öffnete ich es und schaute hinein. Das war jetzt nicht wahr, oder? In meinen Händen hielt ich wirklich einen Schlafsack, der nagelneu aussah. Sollte ich...? Durfte ich... ihn einfach mitnehmen? Also ausborgen? Ich würde ihn ja morgen Nachmittag wieder zurückbringen. Zudem schien es nicht so, als ob in den nächsten vierundzwanzig Stunden jemand kommen und ihn holen würde. Dann fiele es auch überhaupt nicht auf, wenn er eine Weile weg wäre, oder?

Oneshots (Youtuber, real life,...)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt