L.I.E.S #3

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Wer mit "unappettietlicheren" Themen nicht so gut klar kommt, sollte nachfolgendes vielleicht erst in der Mitte anfangen zu lesen! Nochmal möchte ich betonen, dass mich über folgendes Thema recht gut informiert habe, aber trotzdem keine qualifizierte Ärztin bin. Sollten euch also Fehler auffallen, berichtigt mich gerne.

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Paralysiert starrte ich die Wand gegenüber von mir an. Meine Mutter saß noch im Gesprächszimmer und redete mit der Frauenärztin.

Gebärmutterhalskrebs. Mit vierzehn. Mag unmöglich klingen, war es aber nicht. Konnte man an meinem Beispiel großartig erkennen. Die Ärztin war wohl genauso überrascht gewesen wie ich, als sie die Ergebnisse auf dem Labor erfahren hatte. Ich war vor einigen Wochen zu der Ärztin gegangen, weil ich über starke Unterleibsbeschwerden, Rückenschmerzen und einen ungesunden Ausfluss zu klagen hatte. Sie nahm daraufhin eine Probe meiner Schleimhaut und meinte, dass es wohl einen ungewöhnlichen Grund haben müsse.
Also hatte ich jetzt fünfzehn Tage auf die Ergebnisse gewartet und war bis auf die Knochen schockiert: Krebs. Ich hatte Krebs.
Die Frauenärztin hatte zu meiner Erleichterung festgestellt, dass es ein noch Recht frühes Stadium des Tumors war und man ihn mit hohen Erfolgschancen einfach entfernen könne. Trotzdem war der Schock groß.

Zuhause wusste ich nicht, was ich machen sollte. Hausaufgaben waren vor dem Termin schon fertig gewesen, das Mitleid meiner Eltern wollte ich nicht, meine große Schwester war noch nicht zu Hause und eigentlich verlangte mein ganzer Körper, vor allem mein sehnsuchtsvolles Herz, nach nur einer Person. Beim Gedanken an eben jene, fing meine Brust an, enger zu werden und voller Liebe wärmer. Mein Magen krampfte sich zusammen und ich hatte das Gefühl, brechen zu müssen. Ich hatte sie doch so lange schon nicht mehr gesehen...

Ich merkte gar nicht, wie Tränen begannen, meine Wangen hinunter zu laufen, ich machte mir nicht die Mühe, sie zu trocknen.
Dieser Moment, in denen alles zusammenkommt und du das rauslässt, was du in der letzten Zeit aus unterschiedlichen Gründen zurückgehalten hattest? Jap, den kannte ich und musste ihn in dem Moment schmerzlich am eigenen Leibe erfahren.

Warum war auch alles so scheiße? Meinte das Schicksal echt nicht gut mit mir?
Trotz allem ruhte Hoffnung wie ein kleiner Vogel, der klein mit seinen Flügeln schlug, in meiner Brust. Vielleicht würde Sophia bemerken, was sie an mir hatte, wenn die Gefahr bestand, es zu verlieren? Wie sagt man doch so schön: "Man merkt erst, wie wichtig einem eine Sache ist, wenn sie nicht mehr da ist" Vielleicht brachte das, so traurig es auch klingen musste, mir endlich die benötigte Aufmerksamkeit, die sie in mir mehr sehen ließ, als ihre kleine Schwester. Es fuchste mich. Warum war ich für alle nur die kleine, süße Olivia, die so unreif war, dass sie nicht hinbekam? Warum? Für TT war ich eine kleine Schwester, für Sophia und das ganze alte Holzbläser war ich immer noch die kleine Sechstklässlerin, die ich noch vor Jahren war, die mit ihrer Blockflöte in der zweiten Stimme saß. Dass ich inzwischen alleine die fünfte stemmte und sogar im großen Orchester schon in der achten anfangen durfte, vergaß jeder.

Schneller und in kürzeren Abständen traten Tränen aus meinen Augen. Ich musste schwer schlucken, um nicht laut auf zu schluchzen. Meine Eltern sollten nicht bemerken, dass ich weinte. Ein leises Klopfen an meiner Türe erklang und ohne auf meine Antwort zu warten, kam Tabea in das Zimmer.
Sobald sie mich sah, nahm sie mich in den Arm und drückte mich fest. Beruhigend strich sie mir über die Haare und wiegte mich in ihren Armen hin und her. Ich ließ mich fallen, ihre Nähe und Vertrautheit trösteten mich.
"Alles okay?" Sie sah mir ernst in die Augen und hatte ihre Hände auf meine Schultern gelegt. Ich zuckte mit den Schultern, ihre Hände wippten mit. Nichts war okay, aber ich wollte nicht, dass sie sich sorgen machte.
"Okay, die Frage war unnötig", stellte sie fest. "Wie kann ich dir helfen?" Ich zuckte wieder nur mit den Schultern, unfähig meinen sehnlichsten Wunsch nach Sophia laut auszusprechen.
Ihre Augen sahen mich weich und ganz sanft an und es schien, als würde sie meine Gedanken lesen, sie hatte einen wissenden Ausdruck im Gesicht. Kurz zögerte sie noch, zog ihre dunklen Augenbrauen zusammen, dann verließ sie lächelnd mit einem: "komm ruhig zu mir, wenn du was brauchst" den Raum.

Ein bisschen irritiert, doch weniger unglücklich starrte ich ihr nach. Was sie wohl vorhatte?

Wie es schien sollte ich das die nächste Zeit nicht erfahren, denn als es draußen dämmerte, war immer noch nichts passiert und ich wurde wieder deprimierter. Ich hatte mein Zimmer die ganze Zeit nicht verlassen, aber meine Tränen schienen aufgebraucht. Leise seufzte ich und schaute aus meinem Fenster in das Abendlicht.

Meine Zimmertüre öffnete sich erneut, diesmal ohne Vorwarnung und mir blieb der Mund offen stehen. Es war Sophia.

Stumm setzte sie sich zu mir aufs Bett und legte einen Arm sanft um meine Schultern. Sofort musste ich Lächeln und schloss die Augen. Warum schaffte sie es durch so eine kleine Tat meine kompletten Gefühle auf den Kopf zu stellen?

"Ach, Puschelchen", murmelte sie und streichelte mit ihrem Daumen meinen Oberarm. Dann nahm sie mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Mein Herz schien einen Marathon zu laufen und in meinem Magen kribbelte es aufgeregt.
"Tut mir Leid, weißt du.. Tabi hat mir geschrieben, wie scheiße es dir geht und da bin ich hergekommen. Was ist den überhaupt passiert? Es ist nicht wegen mir, oder?" Ich musste noch breiter lächeln. Alleine die Tatsache, dass sie sich so um mich sorgte, brachte die Wärme in meine Brust zurück. "Nein, es ist nicht wegen dir", log ich, ich wollte nicht, dass sie sich Vorwürfe machte, auch wenn es mir gefiel, wie sie sich um mich kümmerte. Man sah ihr an, dass sie mir nicht glaubte, aber sie war wohl zu gespannt auf den wirklichen Punkt, dass sie die Diskussion mit mir mied.

"Mama und ich waren beim Frauenarzt" "weiter?" "Und die meinte, dass ich ein frühes Stadium von Gebärmutterhalskrebs habe.", sagte ich schnell hintereinander, irgendwie... fühlte es sich komisch an.  Ihr geschockter Gesichtsausdruck rührte mich. "Aber.. das ist behandelbar, oder? Du wirst wieder gesund?" In ihrer Stimme lag offenkundig große Besorgnis und auch.. leichte Panik? "Keine Sorge, ich muss nochmal zur Nachuntersuchung und dann beginnt eine Lasertherapie, um ihn zu entfernen. Für eine OP ist er zu klein und ich zu jung, sagt Mama." Erleichtert nahm sie mich wieder in den Arm und strich mir über den Rücken. "Das ist gut ich dachte schon..." "Was dachtest du?", fragte ich neugierig. "Naja, ich hatte Angst, ich könnte dich verlieren", murmelt sie undeutlich. Ich hatte das Gefühl, sterben zu müssen. "Als ob das so schlimm für dich wäre" grummelte ich bei mir, sie verstand es trotzdem. "Natürlich wäre schlimm für mich", erwiderte sie schockiert. "Was denkst du denn?" "Na, ich bin doch eh nur deine überflüssige kleine Schwester.." "och, Olivia. Schau mich an, okay?" Mit erneut Tränen in den Augen sah ich sie an, in ihre leuchtenden Augen. "Du bist nicht 'nur' meine kleine Schwester.. du bist so viel mehr. Du bist mein Puschelchen, meine Aufheiterung, ein unglaublich hübsches und schlaues Mädchen und noch so viele weitere Dinge.. wirklich, ich würde es so bereuen, wenn du nicht mehr da wärst.." kurz blinzelte ich heftig. Der Vogel in meiner Brust fing an heftig mit den Flügeln zu schlagen und mir wurde heiß vor Freude und Verlegenheit "Was würdest du bereuen?" "Na, dass ich dir nie gesagt hätte, dass ich dich doch auch liebe und schon lange keine kleine Schwester mehr in dir sehe, sondern eine starke, unabhängige junge Frau, an die ich mein Herz verloren habe." Ihre Stimme klang so sanft, triefte vor Zuneigung und Liebe, dass Schmetterlinge in meinem Bauch Amok liefen. Ihre Augen wanderten zwischen den meinen und meinen zitternden Lippen hin und her und langsam näherte sie sich mir. Mein Atem beschleunigte sich rasant und ich wollte als einziges auf der Welt, dass sie die zwei Zentimeter zwischen uns überwand.

Dann presste sie sanft ihre Lippen auf meine.

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(1333 Wörter ohne Nachwort)

Bevor Fragen aufkommen: das ist eine kleine Serie, die ich für ne Freundin schreibe, die dezenten Liebeskummer hat. Es werden vorraussichtlich noch einige Parts kommen, ich weiß allerdings nicht wann. Dazu habe ich drei Kürbistumor bzw GLP Oneshots angefangen zu schreiben, dir hoffentlich auch bald mal fertig sind.
Als dann: tschau tschau!

Oneshots (Youtuber, real life,...)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt