Oneshots (Youtuber, real life,...)

L.I.E.S. #1

"Wie ich sehe, sind dieses Jahr wieder viele Alte Hasen dabei" Sie ließ ihren Blick in Richtung der Klarinetten und mir schweifen und lächelte, dann fuhr sie fort: "Aber auch einige Neue Gesichter. Ich würde erst mal sagen, dass ihr in die zweite Stimme geht. Zum reinkommen hab ich uns mal 'Sing' rausgesucht" Ein einstimmiges Stöhnen war von den älteren Mitgliedern zu vernehmen, was dir Lehrerin vorne zum Lachen brachte. "Tja, von den Ältesten verhasst.. aber da kann man dich so schön pfeifen!" "Ja, genau, da ist Sophia dann voll dabei", scherzte Miri, eine Klarinette in der dritten Stimme, was die Mädchen um sie herum zum kichern brachte. Meine beste Freundin und deren beste Freundin unteranderem.

Warum das Stück so unbeliebt war, würde spätestens klar, als alle anfingen schräg zu pfeifen und danach, hauptsächlich ausgehend von der zweiten Flötenstimme, schräg zu spielen. "b, b! Zum hundertsten Mal!", regte sich Frau M., die hinter dem Flügel für die Begleitung saß, auf. Kichernd hörte dir eine Leonie auf zu spielen und steckte damit Charlotte und Helena an, was zu einen fast Komplettausfall führte und wir abbrechen mussten. Ich warf einen vielsagenden Blick in Richtung Sophia, der soviel sagte wie: 'das kann ja heiter werden'.

Würde es auch, so viel stand nach dem zweiten Stück, das wir auch beim Weihnachtskonzert aufführen würden, fest. Sowohl die zweite Flöte, als auch die vierte Stimme verkackten richtig, vergaßen Wiederholungszeichen, Vorzeichen und Dynamikvorgaben, sodass ich gegen Ende sagen konnte, dass das ein sehr anstrengendes Jahr Holzbläser werden würde.
Gegen fünfzehn Minuten vor Ende stand Sophia auf, was zu einer allgemeinen Spielpause führte, weil alle nicht mehr ihre Noten, sondern sie anschauten. Nicht, als hätte ich das die ganze Zeit nicht eh schon gemacht. Schließlich kannte ich niemanden, der trotz einer Klarinette im Mund und Luftmangel so gut aussah wie sie. Dazu kam ihre engelsgleiche Stimme, die ich immer von fünf Plätzen neben mir hören durfte. Viel zu weit weg, meiner Meinung nach.

Die Einzigen, die nicht verwirrt wirkten, dass Sophia plötzlich zusammenpackte und putzte, waren Frau M., die schon wieder leicht genervt wegen der Spielunterbrechung war, und Elli, Sophias beste Freundin, die es nun den anderen Mitgliedern der ersten Stimme, TT, Tini und Nina, zu erklären schien. "Sophia, wie war das mit 'leise' und 'ohne aufzufallen'?", was wieder mit einem allgemeinen Lachen quittiert wurde. "Ja, sorry, wenn mich alle anstarren, ist ja dann nicht meine Schuld!" "Außerdem hast du eh noch eine halbe Stunde", machte Frau M. mit einem Zeichen auf die Wanduhr klar. "Hups", lachte Sophia und begann, ihre Klarinette wieder zusammenzubauen. Sie war so süß verplant, das war unglaublich..

"Ich sehe schon, das wird heute nichts mehr", bemerkte Frau M. verzweifelt und stand auf, um in ihrem Zeug zu kramen. "Vielleicht spielen wir was anderes, was ihr alle kennt" und zog mit diesen Worten einen weiteren Stapel Noten auf ihrer Tasche und fing an, diesen richtig zu verteilen, weil sie es wieder nicht hinbekommen hatte, sie beim Kopieren schon nach Stimme zu ordnen. Aber eines war wie immer: ich als einzige fünfte Stunde, bekam meines zuletzt und konnte dementsprechend erst spät das aufgekommene Getuschel nachvollziehen.

Sophia warf mir einen Blick zu und ich formte lautlos mit den Lippen die Worte: "Can you feel the Love tonight?" Statt, dass sie wie immer bei meinen Späßen mitmacht, blickte sie mich nur nachdenklich an und runzelte besorgt die Stirn. Leicht beleidigt wendete ich mich ab und befeuchtete gedankenverloren mein Rohr mit dem Wasser, dass auf meinem Notenständer stand, um es dann wieder in den Mund zu nehmen und wieder auf den S-Bogen zu stecken. Was hatte sie denn? Hatte ich was falsch gemacht? Sie hätte mir doch etwas davon gesagt, oder? Alles andere sähe ihr nämlich nicht ähnlich.

Frau M. begann mit einem langsamen Klaviereinspiel und bald darauf setzte Nina, die als solo für den ersten Teil schnell ausgemacht worden war, ein und begann mit der typischen Melodie und ich wendete meinen Kopf wieder Sophia zu, während ich mitzählte, dass ich nur noch fünf Takte Pause hatte.
Sie sang leise und trotzdem hörte ich sie. Mit ihrer wunderschönen Stimme, halten die Worte "Can you feel the love tonight" gefühlvoll herüber und sie schaute mich mit bedeutungsschweren Blick an. Dennoch lag etwas.. liebevolles darin? Mein Herz schien unter diesen Augen zu schmelzen und mein Magen schlug förmlich Purzelbäume.
"Olivia, dein Einsatz, nicht schlafen!", ertönt es von hinter dem Flügel. Schnell orientierte ich mich und setzte zusammen mit der zweiten Klarinette ein.

Mit einem einzigen langen, hohen Ton endete das Stück und ich musste mir kurz die Tränen aus den Augen blinzeln. Das war so unendlich schön, warum war mir so ein Glück nicht vergönnt? Leise seufzte ich. Meine beste Freundin, die neben Sophia saß, warf mir einen besorgten Blick zu, den ich mit einem gespielten Lächeln und einer abwertenden Handbewegung abtat. Auch von einer der beiden Leonies, die in meiner Klasse war und schon lange versuchte, Sophia und mich zu verkuppeln, ging ein nachdenklicher Blick in unsere Richtung, der zwischen mir und Sophia hin und her ging, als wüsste sie genau, was los war.

Sophia hatte die zwei Tränen, die in meinen Augen geglitzert hatten auch bemerkt, denn sie stand kurz auf und umarmte mich von Hinten. Mein Herz fing an wie verrückt zu schlagen. "Was ist denn los, Puschel? Nicht traurig sein" sie hauchte mir einen federleichten Kuss auf die Wange. Allein das reichte aus, um mir ernsthaft zu überlegen, nie wieder mein Gesicht zu waschen.

"Bei euch läuft aber, oder?", vernahm ich Ninas Stimme, die mir genau gegenüber saß.  "Joa", erwiderte Sophia und küsste mich erneut. "Moment, seit wann das?", erkundigte ich mich spaßeshalber und ignorierte den schmerzhaften Stich durch meine Brust. "Gehören da nicht irgendwie immer zwei dabei, so?" "Ja sind doch, oder?" "Echt?" "Äh, ja?" Ich schaute sie unglaubwürdig an. Wollte sie mich verarschen? Versteht sie nicht, dass sowas weh tat? "Man, Olivia, checkst du nicht, was ich dir Versuche mitzuteilen? Ich liebe dich, du Dumme!" Und obwohl ich mir der Blicke und der unzähligen Augenpaare, die auf uns legen bewusst war, erwiderte ich ihren Kuss, den sie mir sofort nach dieser Aussage auf die Lippen gedrückt hatte.

"Also, ich will ja jetzt nicht unromantisch sein, aber wolltest du nicht gehen, Sophia? Die halbe Stunde wäre rum", unterbrach uns Frau M., auch wenn in ihrer Stimme viel Wärme und Belustigung lag und sie uns anlächelte. "Das kann warten, glauben Sie mir"

Aufgeregt wanderte mein Blick die Reihe entlang. Was würden die anderen sagen? Mein Magen krampfte sich leicht zusammen, als ich in TTs Miene nicht lesen konnte. Tini und Nina grinsten glücklich und ihre Augen schienen zu sagen: "tu, was du willst, ich werd dich immer lieb haben", Elli schien überrascht, aber auch fröhlich und warf Sophia einen belustigten Blick zu. Leonies Gesicht spiegelte Verständnis und sie schaute mich wissend an. Was wollte die jetzt schon wieder? Die verwirrten Blicke der anderen ignorierte ich.

"TT", fragte ich unsicher in die Stille. Auch Sophias Finger, die leicht meine Schulter beruhigend streichelten, konnten den Knoten in meiner Brust nicht lösen. Kurz zögerte sie noch, dann kam sie auf mich zu, schon Sophia zur Seite und drückte mich ganz feste. "Alles okay, keine Sorge. Ich war nur ein bisschen überrascht, das ist alles. Du weißt ja, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn was ist, ne? Und du", sie sah Sophia mit funkelnden Augen an "wehe, du tust ihr was!" "Keine Sorge", lachte Sophia. "Ich hatte nicht vor, das keine Puschelchen unglücklich zu machen. Mein kleines Puschelchen", ergänzte sie und streichelte über meine Haare.
Ich könnte förmlich spüren, wie meine Wangen rot wurden und trotzdem freute ich mich wie ein kleines Kind. Wie lange hatte ich auf sowas gewartet...?