Kapitel 5 - Flo

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Die paar Tage nach dem ersten richtigen Treffen mit Vince waren aus vielen Gründen fast nicht zu ertragen. Naomi bohrte ständig nach Einzelheiten und gewöhnte es sich an, ihn immer beim Umziehen zu beobachten, ob sie vielleicht ein neues Tattoo auf seiner Haut entdeckte. Schwester Aylin versuchte ihm einen Vortrag darüber zu halten, sich Vince gegenüber bloß zu nichts verpflichtet zu fühlen. Rockstar hin oder her, Vince war und blieb nur irgendein dahergelaufener Junge und bloß, weil Flos Tattoo sein erstes war, hieß das für Flo noch gar nichts. 

Das wusste Flo natürlich alles sowieso. Nicht nur, weil Vince ihm das klipp und klar gesagt hatte, sondern weil sein eigener Kopf es seitdem pausenlos wiederholte. Er war zu nichts verpflichtet. Das war gut und alles, aber er wollte trotzdem so sehr, dass Vince wiederkam. Die Ungeduld fing am Morgen nach dem Kaffeetrinken auf dem Dach an und hörte nicht mehr auf. Sie hatten nicht daran gedacht, Nummern auszutauschen und Flo würde garantiert nicht anfangen, Vince' Social Media Seiten zuzuspammen. Er wollte nicht verzweifelt wirken. Wenn Vince wiederkam gut, wenn nicht, auch gut. 

Das war natürlich Bullshit.

Irgendwie wusste Flo zwar, wie die Gründe für Vince' Auftauchen im Krankenhaus wirklich aussahen, aber er wollte das zu gerne verdrängen. Als ob Vince wirklich mit jemandem wie ihm zusammen sein wollte. Einbeiniger Krebspatient ohne Schulabschluss, sexier geht es ja gar nicht, oder? Nein, viel wahrscheinlicher war die Theorie der Neugier: Vince hatte sein erstes Tattoo bekommen und wollte natürlich wissen, wieso. Und wollte vielleicht auch rausfinden, wie es so ist, ob es mit der Person anders ist, deren Tattoo man auf dem Körper trägt. Und wenn er seine Informationen beisammenhatte, würde er einen Song darüber schreiben und Flo für immer aus dem Weg gehen. 

Drei Tage nach dem ersten Treffen im Krankenhaus klopfte es allerdings an der Zimmertür und da war Vince wieder, mit einem großen Strauß roter Rosen. 

Flo saß auf seinem Bett und schaute gerade seine Fotomappe durch, als Vince auftauchte. Und natürlich war er direkt mal wieder sprachlos und gleichzeitig hellauf begeistert. 

„Wow!", rief Naomi und schaute zwischen den beiden hin und her. „Sind das Krankenhaus-Blumen oder Date-Blumen?" 

Vince betrat das Zimmer und lächelte verlegen. „Ich glaube, die Antwort ist Ja." Sein Blick fiel auf Flo, der immer noch wie erstarrt die Rosen anstarrte. Er hatte noch nie Rosen bekommen. Alle möglichen anderen Blumen, weil man das eben Leuten im Krankenhaus mitbringt, aber Rosen waren ... romantisch. Er hatte mal welche verschenkt, aber nie bekommen. Vince' Lächeln verwandelte sich ganz langsam in ein Grinsen, als könnte er Flos Gedanken lesen. 

„Sollten wir die vielleicht ins Wasser stellen?" 

„Oh. Richtig. Vase." Flo schüttelte über sich selbst den Kopf und wechselte vom Bett in den Rollstuhl. Am Waschbecken füllte er die Glaskaraffe auf und hielt sie Vince hin. Streng genommen keine Vase, aber gut genug. Vince stellte die Rosen ins Wasser und nahm Flo die Karaffe ab, um sie auf die Fensterbank bei Flos Bett zu stellen. Ihre Hände berührten sich kurz, aber Flo tat, als hätte er es nicht bemerkt. 

„Hast du Lust, rauszugehen?", fragte Vince, als Flo nichts weiter tat, als die Rosen anzusehen. „Das Wetter ist so gut und der Park scheint ganz schön zu sein?" 

Eilig stimmte Flo zu und griff sich auf dem Weg noch seine Fotomappe, in der vagen Hoffnung, Vince damit vielleicht beeindrucken zu können. Wenig später verließen die beiden das Krankenhaus durch den Haupteingang und Flo hielt sein Gesicht in die warme Sonne. Es war höchstens Frühsommer, also waren die Temperaturen noch erträglich. Eigentlich kam er viel zu selten hier raus in den Park. 

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