Kapitel 17 - Flo

697 58 4
                                    


In der Wand steckte eine runde Reißzwecke, dunkelblau auf hellblau. Ein kleiner grüner Fetzen Papier hing noch daran, als hätte man das Pferdeposter nicht vorsichtig abgenommen, sondern von der Wand gerissen. Das sagte eine ganze Menge und es sagte Flo Dinge, die er nicht hören wollte.

Er hatte aufgehört zu weinen, was gar nicht so einfach gewesen war, nachdem Vince ihn hier hatte sitzen lassen. Naomi versuchte ihn zu trösten und er wusste das auch wirklich zu schätzen, irgendwo in seinem Inneren. Aber im Augenblick fühlte er fast nichts. Da war eine trübe Leere, die ihn wie Nebel umgab, ihn abschottete von den Lebenden, als wäre er schon tot. 

Dr. Voss brauchte eine Stunde, bis er Zeit hatte, Flo einen Besuch abzustatten und als er dann auftauchte, war seine Miene alles andere als verständnisvoll. 

Er nahm Flo mit in ein Behandlungszimmer und Flo folgte ihm wie in Trance, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und er sich wohl oder übel ernsthaft mit seiner Situation auseinandersetzen musste. 

„Zeig mir mal die Stelle." 

Gehorsam zog sich Flo das Shirt über den Kopf und hob den Arm. Dr. Voss betastete die Stelle vorsichtig, aber es tat trotzdem weh. Flo zuckte. 

„Wie lange ist das da schon, Flo?" 

Er musste überlegen. Wie lange war der Tag her, an dem er Vince' Familie getroffen hatte? „Zwölf Tage", antwortete er dann heiser und ohne dem Arzt ins Gesicht zu sehen. Er hatte ihn früher mit Vornamen angesprochen. Jetzt wagte er es nicht mehr, so an ihn zu denken. Sie waren keine Freunde. Flo war ein Patient. Wieder. 

„Zwölf Tage!", wiederholte Dr. Voss und schüttelte den Kopf. Er warf Flo einen Blick voller Vorwürfe zu und notierte sich etwas auf einem Formular, dann setzte er sich auf die Liege in der Ecke und bedeutete Flo, sich ebenfalls hinzusetzen. 

„Flo, wieso hast du das verheimlicht? Du weißt doch, was auf dem Spiel steht." 

Flo ertrug diese Frage nicht mehr. „Ja, das weiß ich. Vermutlich besser, als jeder andere", entgegnete er ohne jedes Gefühl. „Ich bin nur müde", fuhr er fort, weil er einsah, dass der Doc ihm nur helfen wollte. „Und ich will nicht, dass das hier mein Leben ist." Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, die weißen Schränke, der Hocker in der gegenüberliegenden Ecke, Kleenex, Einweghandschuhe und die unweigerlichen, unausweichlichen hellblauen Wände. 

„Aber es ist nun mal so. Du hast die Verantwortung, Flo. Wenn du dich nicht um dich kümmerst, verletzt das nicht nur dich." 

Flo sagte nichts. Er wollte nicht darüber reden, wen er verletzt hatte. Warum sollte das eine Rolle spielen? Er war derjenige, der vielleicht sterben würde, warum sollte es ihn interessieren, wen er verletzte? Es war alles egal. Das Universum war zu gigantisch, um sich um eine einzelne Seele zu kümmern. Niemand konnte ihm helfen, auch wenn sie es wollten. Er war allein. Und letzten Endes hatte er auch mit Vince recht gehabt. Flos Krebsgeschichte hatte sich zwischen sie gedrängt und ihn in die Flucht geschlagen. Vince wollte jemand Gesunden, das war nur zu verständlich. 

„Okay." Dr. Voss legte Flo eine Hand auf die Schulter und stand auf. „Wir machen zunächst mal einen CT und schauen, wie es aussieht. Ich versuche, dich heute noch dazwischenzuschieben, aber ich kann nichts versprechen. Bereite dich darauf vor, dass eine Biopsie ansteht. Du wirst ein paar Tage bei uns bleiben müssen, so leid mir das tut, Flo." 

Flo nickte einmal und hinkte in Naomis Zimmer zurück. Er hörte Stimmen, als er vor der Tür stand und musste den Keim der Hoffnung, es könnte vielleicht Vince sein, mit Gewalt ersticken. Er öffnete die Tür und sah sich seiner Tante und seinem Onkel gegenüber, die ihn beide in die Arme schlossen. Das wäre normalerweise schon genug gewesen, um die Tränen wieder fließen zu lassen, aber er hatte einfach nichts mehr übrig. Es war zu viel. Er war leer. 

First & LastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt