Kapitel 18 - Vince

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Die Angst um Flos Gesundheit und um sein Leben ließ Vince nicht eine ruhige Minute. Der Scan wurde direkt am nächsten Tag gemacht, aber die Ergebnisse waren uneindeutig. Was immer diese Wucherung auch war, sie hatte nicht gestreut, aber das musste nicht heißen, dass sie es nicht tun würde. Flo erklärte ihm, sie wollten als nächstes eine Biopsie machen, um herauszufinden, ob es ein bösartiger Tumor war, oder nicht. Vince nahm das alles auf und versuchte, seine Fassung zu bewahren. Er weinte so selten, dass er eigentlich gesagt hätte, es würde nie passieren. Und nur, weil es um Flo ging, fand er es letzten Endes okay, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Und doch konnte er an nichts anderes denken als daran, was es vielleicht bedeutete, wenn schlechte Nachrichten kamen. Wie sollte Vince es verkraften, Flo leiden zu sehen? Er wusste nur, dass er es irgendwie aushalten würde, für Flo. Aber was es ihn kosten würde, darüber dachte er lieber nicht genauer nach.

Nachts wachte er manchmal schweißgebadet auf, aus wirren Träumen, die er fast sofort wieder vergaß. Tagsüber war er unkonzentriert und ertappte sich dabei, wie er immer wieder dieselben vier Akkorde klimperte, ohne sich Gedanken um einen Song zu machen. Es ging einfach nicht. Nina brachte das zur Verzweiflung, schließlich hatten sie Deadlines einzuhalten. Aber es war nichts zu machen. Kreativität lässt sich eben einfach nicht erzwingen. 

Zu einem Interview, das seit Monaten geplant war, musste er allerdings trotzdem hingehen. Es war für so eine Teenie-Zeitschrift, also würde er immerhin nicht gefilmt werden und konnte sich hin und wieder erlauben, ein wenig mehr er selbst zu sein. Das Fotoshooting würde er auch irgendwie überleben. 

Vince war sogar überrascht, dass der junge Typ, der ihn interviewte, gar nicht direkt nach Vince' Tattoo fragte, sondern über Musik und Klamotten reden wollte. Er entspannte sich von Minute zu Minute mehr, ließ sich in den weichen Sessel sinken und vergaß für kurze Zeit den Trümmerhaufen, der sein Privatleben eigentlich war. 

Dann klingelte sein Handy. 

„Sorry", murmelte Vince abwesend, als er es aus der Tasche holte. „Normalerweise schalte ich es bei so was aus, aber –" Flos Name leuchtete auf dem Display und Vince sprang auf. „Da muss ich rangehen." 

Daniel, der das Interview führte, verzog kurz den Mund, sagte aber nichts. Vince drehte sich um und zog sich in eine Ecke zurück, wo er sich weniger beobachtet fühlte, ehe er ranging. 

„Flo?", flüsterte er atemlos. 

„Vince", erwiderte Flo, mit einem Vibrieren in der Stimme, das alles heißen konnte. „Die Biopsiebefunde sind da." 

Vince schluckte und wartete ab. Schloss die Augen und wappnete sich. 

„Es ist kein Tumor", sagte Flo und ein tonnenschweres Gewicht wurde von Vince' Schultern genommen. „Es ist gutartig. Keine Ahnung, wieso es da ist, aber sie machen es heute dann noch komplett weg und ich kann morgen wieder nach Hause", plapperte Flo, dem es nicht anders ging. Vince hatte ihn noch nie so frei und erleichtert gehört. Er musste sich gegen die Wand lehnen und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. 

„Es ist also alles in Ordnung?", fragte er nach, weil er es fast nicht glauben konnte. 

„Ja!", rief Flo ausgelassen. „Alles ist perfekt. Wir sollten uns sehen, kann ich morgen zu dir kommen? Ich will ..." Flo ließ den Satz unvollständig in der Luft hängen, was Vince ein bisschen wahnsinnig machte. Er dachte sofort an all die Sachen, die er wollte und musste wieder schlucken. 

„Klar kannst du kommen", sagte er und musste sich räuspern. „Ich ... ich kann's gerade gar nicht fassen." 

„Ich auch nicht. Aber ... es ist alles gut. Endlich." 

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