12)

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Am nächsten Morgen wache ich schon früh auf und gehe in den Speisesaal. Da ich gestern nichts mehr gegessen habe, habe ich jetzt umso mehr Hunger. Ich betrete den großen Raum und an der langen Tafel sitzt nur eine Person.
,,Morgen", meint Loki und lächelt leicht.
Ich nicke ihm zu und setze mich neben ihn. Ich muss an gestern denken, wie er sich entschuldigt hat und wie ernst es sich angehört hat. Ich kann einfach nicht glauben, dass das nur gespielt war.
Wir essen schweigend und ich schiele immer wieder mal zu ihm rüber.
Als ich ein weiteres mal ein wenig den Kopf zu ihm drehe, sehe ich direkt in seine leuchtend grünen Augen.
,,Was ist los, Melina? Irgendetwas stimmt heute nicht mit dir.", sagt er und ich wende betroffen den Kopf ab.
,,Wir haben gestern gesagt, wir helfen uns gegenseitig. Wenn irgendetwas ist dann sag es mir einfach."
Ich nicke und nach kurzem Zögern fange ich an:,,Naja...es ist so, dass ich gestern Abend vor dem Essen Thor getroffen habe und er hat gefragt wie unser Gespräch abgelaufen ist. Er meinte, er hätte dir gesagt, dass du dich entschuldigen sollst und jetzt bin ich mir nicht sicher ob das gestern ernst gemeint war, was du gesagt hast oder ob du mich hinters Licht führen willst."
Er schaut mich erst ungläubig und ein wenig verletzt an, dann fängt er langsam an zu sprechen:
,,Also, es stimmt schon, dass Thor meinte, ich solle mich mit dir aussprechen und mich entschuldigen, und ich bin ihm wirklich dankbar dafür, aber niemals hätte er zu mir gesagt, dass ich dir alle meine Gefühle verraten und mich dir öffnen soll. Das kam wirklich alles von mir und war hundertprozentig genauso gemeint, wie ich es gesagt habe. Ich bin dir unendlich dankbar, dass du mir zugehört hast und froh, dass wir normal miteinander sprechen können, wirklich." Loki schaut mich die ganze Zeit an, während er redet und ich fühle mich mies, dass ich ihm nicht geglaubt habe.
Ich sehe ihn dankbar an und umarme ihn kurz. Er scheint erst ein wenig überrascht, schließt mich dann jedoch auch in die Arme. Gerade als wir uns wieder unseren Tellern zuwenden geht die große Flügeltür auf und Thor kommt gut gelaunt hereinspaziert.
,,Morgen", sagt er und lächelt mich an bevor er sich neben mich auf den Stuhl fallen lässt.
Ich sehe ihm mit hochgezogener Augenbraue zu, wie er sich etwas zu Essen auf den Teller schaufelt und dabei vor sich hin summt.
,,Haben wir über Nacht irgendetwas verpasst oder freust du dich nur, dass Melina und ich uns endlich vertragen haben, Bruder?"
Thor schaut kurz verwirrt auf und grinst dann wieder, jedoch sieht er nun etwas angespannt aus.
,,Natürlich freue ich mich fürs euch, Bruderherz. Endlich muss ich nicht mehr aufpassen, dass ihr euch nicht gegenseitig den Schädel einschlagt."
,,Machst du dir etwa Sorgen um mich, Brüderchen?", fragt Loki ihn spottend und grinst schelmisch.
,,Nein, mein Lieber. Nicht um dich, du kennst dich doch aus mit dem Tod, ich sorge mich mehr um diese junge Dame hier."
Lokis Grinsen wird augenblicklich weniger und er scheint keine Antwort darauf zu haben. Ich schaue ihn nur verwirrt an und versuche zu verstehen, was hier gerade abgeht.
Loki sieht meinen Blick und winkt ab.
,,Denk da nicht zu viel drüber nach. Ich werde es dir irgendwann einmal erzählen. Es ist ein wenig kompliziert."
Ich sage nichts dazu und wende mich wieder zu meinem Essen.
Warum sind die zwei Brüder so feindselig sich gegenüber? Ich weiß ja, dass Loki adoptiert ist, das hat Thor mal erwähnt, aber was ist bitte daran so kompliziert?
,,Ich bin dafür, dass du es ihr gleich erzählst. Oder schämst du dich dafür?"
,,Ich schäme mich nicht, aber ich würde es ihr gerne alleine erzählen. Irgendwo, wo du nicht hineinpfuschen kannst."
Die Brüder funkeln sich gegenseitig regelrecht an.
,,Loki, lass es doch-", fange ich an.
,,Ach, du als Gott der Lügen wirst ihr ja nicht einmal die Wahrheit sagen!", braust Thor jetzt auf.
,,Thor, bitte hört-", versuche ich es noch einmal, doch auch er hört mir nicht zu.
,,Und wie ich das werde! Ich-"
,,Es reicht jetzt!", rufe ich dazwischen und stehe auf. Sie schauen mich beide überrascht und auch ein wenig ehrfurchtsvoll an, auch wenn ich nicht weiß, wieso.
,,Hört auf zu streiten wegen so einer Kleinigkeit! Das ist doch absolut kindisch.", meine ich immer noch sauer zu ihnen und schaue sie an. Loki zuckt bei meinem Blickkontakt ein wenig zurück.
,,Du- Deine Augen. Sie leuchten. Geht es dir gut?", fragt er mich und schlagartig wird mir schwindelig und ich falle auf meinen Stuhl zurück.
Ich fühle mich ausgelaugt und müde, als wäre ich einen Marathon gelaufen.
Mein Atem geht schwer und um mich dreht sich alles.
Thor und Loki beugen sich über mich und Loki gibt mir ein Glas Wasser, das ich gierig austrinke. Sofort kehrt ein wenig Kraft zurück und der Schwindel legt sich, jedoch fühle ich mich immer noch müde.
Langsam stehe ich auf und versuche zu laufen, doch ich bekomme meinen Fuß nicht vor den andern gesetzt.
Also nehme ich wieder Platz und versuche mich zu beruhigen.
Loki und Thor sind immer noch geschockt von mir und ich weiß nicht mal wieso.
Die Flügeltür geht auf und Odin kommt herein. Ich bin zu schwach um ihn angemessen zu begrüßen und nicke ihm nur zu, während seine beiden Söhne überhaupt nicht reagieren. Odin scheint zu merken, dass etwas nicht stimmt und kommt zu uns.
,,Thor, was ist passiert?"
Dieser schüttelt kurz den Kopf und schaut zu seinem Vater.
,,Loki und ich haben über etwas diskutiert und Melina wollte uns auseinanderhalten. Dann ist sie aufgesprungen und rief, wir sollen aufhören. Als ich sie ansah, haben ihre Augen rotgolden geglüht und ihr ganzer Körper hat geschimmert. Ich weiß nicht, was das war, aber es kam auf jeden Fall aus ihr heraus."
Entsetzt sieht Odin erst seinen Sohn und dann mich an.
,,Loki, bring sie schnell in ihr Zimmer, sie soll sich erholen. Thor, ich muss mit dir reden, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl."
Loki hilft mir aufzustehen und langsam laufen wir gemeinsam aus dem Saal zu meinem Zimmer, wo ich mich auf mein Bett lege.
Loki setzt sich neben mich und sieht mich an. Ich muss gähnen und er lacht leicht.
,,Wie hat das ausgesehen, als ich....geleuchtet habe? Oh man, das kann doch nicht wahr sein.", frage ich ihn und er überlegt kurz.
,,Du sahst ein bisschen bedrohlich aus, aber nach einer Weile eher wie...wie die Sonne, die über den Baumwipfeln untergeht. Dein Licht hat genau dieselbe Farbe. Es war ein wunderschönes Rotgold und es kam überall aus dir heraus. Am meisten aus den Augen. Sie haben geleuchtet wie Sterne und dein ganzer Körper hat geflimmert. Es war unglaublich."
Während er redet schaut er mir nicht in die Augen. Er bekommt eher einen Tunnelblick, als würdest er es noch einmal revue geschehen lassen und er beschreibt es so genau, dass ich es fast schon selbst sehen kann.
Plötzlich sieht er mich direkt an.
,,Ich...ich kann es dir zeigen. Nur wenn du willst natürlich. Ich weiß nicht, ob es klapp, aber versuchen kann ich es, auch wenn es bei weitem nicht so unglaublich aussehen wird, ich kann-"
,,Zeig es mir.", unterbreche ich ihn leise und er steht auf.
Ein Licht zieht sich über seinen gesamten Körper und plötzlich sehe ich mich selbst vor meinem Bett stehen. Es sind genau die gleichen schulterlangen braunen Haare und auch die gleichen grün-braunen Augen. Es ist der gleiche nicht allzu schlanke und durchtrainierte, aber auch nicht zu dicke Körper. Einfach alles sieht aufs Detail genau so aus wie ich. Loki lächelt mich mit meinem Lächeln an und dann fangen meine  Augen an zu glühen.
Erst ein ganz zaghaftes Flimmern, das aber immer stärker wird und sich bald über den ganzen Körper ausbreitet.
Ich setze mich auf und schaue meinen leuchtenden Körper staunend an.
Dann stelle ich mich hin und umkreise mich einmal und noch einmal. Ich kann nicht fassen, dass ich so ausgesehen haben soll.
Vorsichtig hebe ich meine Hand und fahre verträumt durch das Licht über meinem Rücken und streife mein Schulterblatt. Schlagartig steht Loki wieder vor mir und ich taumle ein wenig zurück. Bevor ich jedoch hinfallen kann, hält er mich am Arm fest und zieht mich wieder zu sich.
Stumm sieht er mich an und ich muss verarbeiten, was ich gerade gesehen habe.
,,Das war- Das war Wahnsinn, Loki.", flüstere ich dann und löse mich von ihm, um mich wieder aufs Bett zu setzen.
,,Kannst du dich auch in andere Leute verwandeln?"
,,So ziemlich alles, was du dir wünschst.", meint er und lächelt mich an.
,,Also auch in Odin?" Er nickt.
,,Und Thor?" Er nickt.
,,Sif?" Noch ein Nicken.
,,Tiere auch?" Er nickt schon wieder.
,,Zeig es mir, bitte.", sage ich und lehne mich an die Wand.
Wieder zieht ein Leuchten über seinen Körper und dann steht vor mir Odin. Genau so wie ich ihn heute morgen verlassen habe.
Wieder das Leuchten und ich sehe mich Thor gegenüber. Sogar den Hammer hat er in der Hand.
Noch ein Leuchten und Sif steht vor mir. Dann wird er wieder zu Loki.
,,Was wünscht die Dame noch zu sehen?", fragt er mich und grinst.
,,Ein Tier. Irgendeins."
Er geht einen Schritt zurück und verwandelt sich in einen Hund. Ich strecke meinen Arm aus und er springt zu mir aufs Bett. Dann wird er zur Katze und schließlich zu einem Vogel. In dieser Form fliegt er wieder auf den Boden und dann steht ein Pferd in meinem Zimmer. Er kommt zu mir und stupst mich an. Ich fahre mit den Fingern durch sein glänzend schwarzes Fell und durch die gleichfarbige seidene Mähne. Er schnaubt, als ich über seine Nüstern fahre und verwandelt sich wieder zu Loki. Ich werde rot, als ich bemerke dass ich ihm gerade durch das Gesicht gestreichelt habe, aber er ist so ein schönes Pferd, dass ich kurz vergessen habe, dass er eigentlich ein Mensch ist.
,,Kannst du noch andere Sachen machen?", frage ich ihn und er grinst mich an. Plötzlich steht ein weiterer Loki neben ihm. Und noch einer. Innerhalb einer Sekunde sind zehn Lokis neben meinem Bett und grinsen mich an. Doch es werden noch mehr. Und noch mehr. Ich wende mich wieder dem richtigen Loki zu.
,,Hör auf, bitte. Ein Loki reicht in meinem Zimmer.", leicht muss ich kichern, aber er tut was ich sage.
Wenig später steht nur noch der richtige Loki in meinem Zimmer.
,,Wie hast du- ...Woher wusstest du- ...Wie-..."
,,Loki, bitte rede in ganzen Sätzen mit mir. Ich versteh dich nicht. Was habe ich?"
Er schüttelt kurz den Kopf, bevor er es nich einmal versucht.
,,Woher wusstest du, dass ich es bin? Also der Echte.", fragt er mich, immer noch ein wenig verwirrt.
Fragend schaue ich ihn an.
,,Wie, woher wusste ich das? Das war doch offensichtlich."
,,Ich meine, alle verzweifeln fast, wenn ich das tue und du sprichst immer noch mit mir als wären alle anderen überhaupt nicht da. Wie machst du das?"
,,Ich weiß auch nicht, ich weiß einfach, dass du der echte bist. Das ist so eine Art Gefühl und ich habe es in deinen Augen gesehen."
,,In meinen Augen?", hakt er ungläubig nach.
,,Ja. Deine Augen haben immer diesen gewissen Glanz, fast nicht erkennbar, aber im Gegensatz zu den anderen, leuchten sie wie Sterne. Die Augen von deinen Kopien sind so glanzlos und scheinen keine Emotionen zu beinhalten.", ich weiß nicht, wieso ich darauf geachtet habe, aber irgendwie ist mir das aufgefallen, als ich seine Augen betrachtet habe und das ist dann wohl in meinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er scheint es immer noch nicht verstanden zu haben, deshalb wechsel ich einfach das Thema.
,,Was kannst du noch?"
,,Ich kann Erinnerungen abspielen. Wenn ich möchte kann ich bei einer beliebigen Person durch Hautkontakt in den Kopf eindringen und mir eine bestimmte Erinnerung ansehen."
,,Okay, aber da ist noch etwas. Etwas ganz besonderes."
,,Da ist nur noch diese eine Sache, aber das ist nicht von Bedeutung. Gewissermaßen ist es auch kein Teil meiner Fähigkeiten, es ist eher ein Teil von mir.", meint er und versucht sich herauszureden, aber ich möchte wissen, was er kann.
,,Bitte zeig es mir. Ich werde auch nicht lachen oder dich rausschmeißen.", sage ich deshalb und tatsächlich nickt er leicht.
Er schließt die Augen und plötzlich färben sich seine Fingerkuppen blau. Es breitet sich immer weiter aus und ich schaue gespannt zu, wie es über seinen Hals und sein Gesicht wandert. Als er komplett blau ist öffnet er die Augen wieder. Zuerst erschrecke ich mich ein wenig, aber dann schaue ich genauer hin. Sie sind komplett rot verfärbt, jedoch haben sie den Glanz von dem ich sprach nicht verloren. Er schaut mich ein wenig unsicher an, als würde ich gleich aufspringen und hinausrennen, aber ich tue genau das Gegenteil. Ich stehe langsam auf und gehe zu ihm. Meine Hand streicht über seinen Arm und hebt ihn an, sodass ich seine Hand betrachten kann. Dann wandert sie weiter zu seinem Gesicht und streicht über die silbernen Linien an seiner Wange und der Stirn. Er holt einmal tief Luft und schließt kurz die Augen, als müsse er sich konzentrieren. Ich fahre noch einmal mit dem Zeigefinger leicht über seinen Wangenknochen und trete dann zurück. Er nimmt wieder seine normale Hautfarbe an und sieht mir in die Augen.
,,Wow.", flüstere ich und er zieht eine Augenbraue nach oben.
,,Ich meine...das war einfach unglaublich. Warum versteckst du das?"
Er schaut auf den Boden.
,,Das ist meine Herkunft. Ich wollte es dir noch nicht so früh erzählen, aber ich bin nicht Odins richtiger Sohn und auch nicht Thors richtiger Bruder. Ich bin ein Monster, das als Baby aus seiner Welt mitgenommen wurde und sein ganzes Leben lang belogen wurde. Ich bin ein Monster, Melina."
Ich kann nicht glauben, was er da sagt.
,,Ein Monster? Loki, du bist doch kein Monster. Du kannst grausam sein, ja, aber ist jeder irgendwann mal gewesen oder wird es noch sein. Du bist kein Monster, weil du aus einer anderen Welt stammst."
,,Das ist es nicht. Ich bin der Sohn von Laufey, dem König der Eisriesen auf Jotunheim. Asgard und Jotunheim bekriegten sich und Asgard nahm den Eisriesen ihre Machtquelle und...mich. Den Thronfolger.
Als ich das herauszufinden war ich wütend. Mein Vater fiel in den Odinschlaf und da er Thor zuvor auf die Erde verbannte saß ich auf dem Thron. Ich habe grausame Dinge gemacht. Ich hätte fast Thor umgebracht und das nur, weil ich sauer war auf Odin. Ich verstand nicht warum er das getan hat und habe extrem überreagiert.
Mein Bruder kämpfte gegen mich und da ich Jotunheim zerstören wollte, hat er den Bifröst zerschlagen. Wir hingen an der Brücke, da kam Odin und hat Thor festgehalten, während ich mich an seinen Hammer klammerte. Dann habe ich losgelassen. Sie dachten ich wäre tot, dabei war ich das nicht. Das war eine Illusion und sie haben mir geglaubt. Als ich wieder kam waren sie alle sauer, haben sich aber auch irgendwie gefreut. Auf ihre Art. Thor macht mir immer noch Vorwürfe deshalb."
Damit habe ich nicht gerechnet.
,,Zugegeben, das war echt totaler Schwachsinn, was du abgezogen hast." er zieht ein wenig den Kopf ein.
,,Aber das ist alles vorbei. Das ist Vergangenheit. Wenn du es wirklich bereust, dann zeig es den andern. Leb jetzt in der Gegenwart und besser dich. Du sollst dich nicht komplett verändern, aber hör auf darüber nachzudenken was war. Du kannst es nicht mehr ändern, aber du kannst dafür sorgen, dass keiner mehr den grausamen Gott in dir sieht, den du damals verkörpert hast. Sei stolz auf deine Herkunft und mach das beste aus deinem Leben."
Er schaut mir direkt in die Augen und eine Träne läuft ihm übers Gesicht.
,,Danke.", flüstert er und umarmt mich kurz.
,,Ruh dich noch ein bisschen aus. Ich hol dich zum Essen."
Dann geht er.

In my mind~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt