Kapitel 2

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Elisha

Ruhelos starren meine leblosen Augen auf die gegenüberliegende Wand vor mir, während mir unaufhaltsam Tränen meine Wangen runter rannen und ich den salzigen Geschmack aufsauge, als diese auf meine Lippen fallen. Ich achte nicht darauf, wie durchnässt meine Wangen sind und wie bitter sich mein Mund anfühlt, ich begutachte lieber meine Zeichnungen, welche ordentlich an meiner Zimmerwand hängen. Meine Augen finden auf einer bestimmten Zeichnung ihren Platz. Eine Lichtung ist zu sehen, welche durch die hohen Rosenbüsche eines gepflegten Gartens scheint. Minimal lege ich meinen Kopf zur Seite, sodass ich das Bild aus einer weiteren Perspektive betrachten kann und mir die einzelnen, kleinen Schmetterlinge auffallen, welche frei durch die Zeichnung wandern. Und in dieser Position verharre ich.

Meine nassen, lockigen Haare wummern um mein Gesicht herum, kleben an meiner Stirn und reißen mich mit kalten Wassertropfen aus meinen Gedanken. Behutsam streiche ich mir meine wirren Haare hinter meinen Ohren, doch letztendlich bringt es mir nicht sonderlich viel, denn sie fallen mir erneut vor die Augen und lassen mich genervt meine Finger miteinander verschränken. – Als ich nach gefühlten Minuten meine Haare fast von meinem Kopf gerissen habe, so aufgewühlt wie ich gerade bin hätte ich es auch wohl getan, holt mich mein klopfender Bruder zurück in die Realität.

»Elisha?«, seine auf mich beruhigend wirkende Stimme lässt mich wohlig meine Augen schließen. Ich bin Zuhause, es geht mir gut, ich bin sicher. Erneut tritt eine Träne aus meinem Auge. Was, wenn er etwas merkt? Wie würde er reagieren? Ich schließe meine Augen und fange an meine Fingernägel in meine Handfläche zu bohren. Erschöpfung durchzieht meinen Körper, ich rege mich nicht, stattdessen bleibe ich still auf meinem Bett sitzen und presse meine Lippen aufeinander. »Abendessen ist fertig«, berichtet er mir stumpf und ist schon direkt wieder verschwunden, weswegen ich sofort in mir zusammenbreche und stumm in mein Kissen schreie. Es ist nur eine kleine Geste der Ignoranz, die meine Sicherungen durchbrennen lässt.

Es vergehen viele Minuten, bis ich es endlich schaffe mich aufzurappeln und gleich darauf aufgrund von Schmerzen meine Augen zu drücken. Langsam laufe ich zum Spiegel, sehe mich selbst mit einem angeekelten Blick an und schüttle dann meinen Kopf. Es braucht etwas, bis ich mich so hergerichtet habe, um mich bei meiner Familie blicken zu lassen, weshalb ich erst nach fünfzehn Minuten mein Zimmer verlasse und mit gequälten Gesichtsausdruck die Treppen hinunter zu gehen. Die Schmerzen in meinem Unterleib versuche ich keine Beachtung zu schenken, doch sie sind viel zu penetrant, um sie ignorieren zu können.

Nach einer Ewigkeit betrete ich endlich das Esszimmer und schenke meiner wartenden Familie ein kleines, entschuldigendes Lächeln. Dankbar, dass sie mich nicht fragen, warum ich so lange gebraucht habe, setze ich mich an unseren Esstisch und nehme neben meinen Bruder Platz. Erleichtert über meine Sitzmöglichkeit verweile ich kurz in einer Starre, ehe ich nach meinem Besteck greife und es dann wieder zurück lege, nur um nach dem Wasserglas zu schnappen und das Wasser in einem Zug zu inhalieren. Mein Bruder bemerkt meine ruckartigen und wirren Bewegungen scheinbar, denn er schenkt mir einen verwirrten Seitenblick, weshalb ich versuche unauffällig tief durchzuatmen.

Glücklicherweise durchbricht mein Vater die Stille im Raum und blickt einmal in die Runde, ehe sein Blick an mir hängen bleibt.
»Wie war euer Tag?«, stellt er die Frage in den Raum, die er immer stellt und worauf er immer die gleiche Antwort bekommt. Ein Lächeln, ein Daumen nach oben und ein kurzes Nicken, bevor er sich zu meinem Bruder wendet und nicht merkt, wie ich ihn innerlich anschreie. Ihn weinend und schreiend darum bitte etwas zu bemerken, doch er tut es nicht, denn ich rege mich nicht. Ich bin still, wie ich es schon immer gewesen bin. »Wie immer Dad«, brummt mein Bruder gelangweilt und schaufelt sich gleich darauf eine Gabel Nudeln in seinen Mund.

Als meine Mutter ihre Hand auf meine legt, zucke ich stark zusammen und mich durchzieht ein grausamer Flashback, weshalb ich meine Augen schließe und meine Hand zurück nehme. Nein, nein, nein! Ich bin Zuhause, ich bin sicher und das gerade war nur meine Mutter. Ich reiße wieder meine Augen auf und schaue in das perplexe Gesicht meiner Mutter. Verdammt! Was denkt sie jetzt bloß? »Tut mir leid, ich bin nur ein wenig schreckhaft, da ich mir gestern Abend noch einen Horrorfilm angeschaut habe«, gestikuliere ich meine Lüge und schenke ihr dann noch ein unechtes Lächeln.

Wie ich es hasse sie anzulügen.

»Ich habe doch gesagt, du sollst dir sowas nicht alleine anschauen, wir wissen alle, wie schnell du zu beeinflussen bist!«, tadelt sie und schüttelt dann ihren Kopf, ehe sie sich wieder dem wesentlichen widmet und sich räuspert. »Wie dem auch sei, Elisha. Melina hat mir erzählt, dass ihr morgen Kleider kaufen geht?«, stiehlt sich wieder ein Lächeln auf ihre Lippen, weswegen mein Ausdruck in sich zusammen fällt und ich sofort den Blickkontakt unterbreche. Stimmt, die Feier habe ich total vergessen und dass ich morgen verabredet bin auch. Doch ich werde nicht hingehen, bei der Verabredung nicht und schon gar nicht auf diese dämliche Feier.

Ohne darauf etwas zu erwidern stochere ich lustlos in meinen Nudeln herum. Mir ist der Hunger vergangen. Ich möchte einfach nur in mein Bett und schlafen, am besten für immer.

»Elisha, ich möchte, dass du dir bei deinem Aussehen Mühe gibst. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass uns der König persönlich einen Besuch abstattet«, sofort lasse ich meine Gabel fallen und ernte daraufhin einen skeptischen Blick meiner Mutter, welche anscheinend schon ahnt, was ich vor habe.
»Oh nein, Fräulein. Denk gar nicht daran! Du wirst dorthin gehen und morgen mit Melina shoppen gehen«, entscheidet sie stur von mir und da ich keine Kraft habe zu diskutieren nehme ich nur stumm nickend meine Gabel wieder in dir Hand, esse aber trotzdem nicht weiter.

Sowieso würde gegen sie anreden nichts bringen außer Kopfschmerzen, denn sie ist sehr traditionell und kennt sich besser aus, als meine Lehrer, die uns Wölfe die Geschichte der Werwölfe lehren. Deswegen habe ich dafür auch nie gelernt, habe mir einfach nur paar Sachen gemerkt, die meine Mutter mir schon erzählt hat. Noten bekommen wir sowieso keine, also halte ich es auch nicht für nötig zu zuhören. Innerlich seufzend schließe ich erneut meine Augen. Ich bin so müde und möchte einfach nur in mein Zimmer und weinen, bis ich keine Träne mehr vergießen kann.

Selbst, wenn ich nicht mehr rückgängig machen kann, was heute Mittag geschehen ist.

Dangerous MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt