Kapitel 14

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Elisha

Meine Handflächen wischen sanft über meine Wangen, fahren die noch offenen Wunden nach und verbleiben nach einem Schluchzen an der selben Stelle. Das Zittern, welches meinen gesamten Körper übernimmt, verteilt sich regelmäßig in jede einzelne Vene und ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken, wie unfassbar schlimm ich in diesem Moment aussehe, selbst, wenn es mein geringstes Problem ist. Herantastend lasse ich meine Zunge stocked über meine aufgeplatzten Lippen gleiten, doch ich lasse es, als mich ein unausstehliches Brennen durchzieht.

Ich glaube, ich habe einen Menschen noch nie so lange in die Augen gestarrt, ohne zu blinzeln und ohne das Bedürfnis gehabt zu haben wegzuschauen. Doch wenn ich in jene Augen blicke, dessen Farbe die Dunkelheit meiner Träume zeichnen, kann ich mir nichts schöneres vorstellen, als mich in ihnen wieder zu erkennen und erneut ein Stück Ich in ihnen zu verlieren. Möglicherweise habe ich meinen Verstand schon verloren; vielleicht bin ich schon längst ein Teil des Waldes in dem ich gerade hinein blicke, vielleicht werde ich nie wieder von dort aus rausfinden und vielleicht, nur vielleicht genieße ich den Moment des Verlorenseins. Vielleicht möchte ich gar nicht gefunden werden, sondern in einem Wald rumtanzen, dessen Bäume auf mich fallen und dessen Wurzeln sich um mein Fuß ankern, sodass ich den Angriff eines großen, bösen Wolfes nicht entfliehen kann.

Atemlos versuche ich das wacklige Gefühl in meinen Beinen entgegenzuwirken, doch es klappt nicht. Alles, was ich kann ist stumm in das Gesicht meines Gegenübers zu schauen, der seinen Blick ebenfalls nicht von meinem nehmen möchte. Die Wut von vor zwei Minuten scheint nie anwesend gewesen zu sein, alles was ich jetzt sehe ist pure Verzweiflung. Ein Alpha ist verzweifelt? Warum? Weswegen? Warum, warum, warum, warum, warum. Warum bin ich hier? Warum bin ich nicht tot? Warum?

Worte schmerzen auch.

Ich hätte wohl nie in meinem Leben gedacht, dass mich einzelne Buchstaben, zusammen gereiht zu einem einfachen Satz mich genauso stark treffen, wie Tritte in meinen Bauch. Der Krampf in mir bleibt der Selbe – er breitet sich langsam aus, verbindet sich zu einem Knoten und schnürt mir sachte die Luft weg, als bräuchte ich sie nicht – als könnte ich ohne atmen. Vielleicht werde ich nur verrückt. Verliere meinen Verstand. Und mich selbst. Wenn nicht schon geschehen.

Mitten im Geschehen höre ich, wie eine schwere Tür sich öffnet und jemand den Saal betritt. Etwas erleichtert, dass ich nun nicht mehr alleine mit dem Alpha bin atme ich leise aus. Endlich geschafft dem Blick vom König abzuwenden, ertönt auch schon eine mir bekannte Stimme. Claire. Meine Muskeln entspannen sich direkt und ein wohliges Gefühl erfüllt mich. Auch, wenn sie für den Alpha arbeitet, behandelt sie mich nicht so wie Dreck, wie es sonst jeder tut.

»Ihre Verletzungen sind noch präsent, Sie sollten sie sich erstmal ausruhen lassen, Sire.«
Erstaunt aufgrund ihrer Mut dem Alpha etwas vorzuschreiben, umfassen meine Finger schwach mein mit Blauenflecken bedecktes Handgelenk. Gleichzeitig spüre ich den stechenden Blick meines Gegenübers wieder, dessen Augen sich auf das Körperteil fokussieren, was ich gerade halte. Augenblicklich lasse ich mein Handgelenk los, beschämt davon, wie schwach ich gerade wirke. Seine Haltung hingegen wird von meiner Bewegung aus strenger.

Die Aura um ihn herum verfärbt sich dunkler.
»Wer hat ihr das angetan?« Der König beißt seine Zähne beim Reden zusammen, während seine Finger sich wie gerade eben in seine Faust bohren. Claire lacht bitter. »Sie, Eure königliche Hoheit. Sie haben Ihren Beta dazu beauftragt.« Ich schlucke schwer. Der Beta hat mich angegriffen, mehr weiß ich nicht mehr – abgesehen vom Kellergeschehen. Aber wieso traut sich Claire so mit ihm zu reden? Ist sie etwa auch adelig? Nein, das ist nicht möglich. Sie ist nicht einmal ein Wolf.

Ein lautes Knurren ist zu hören.
»Ich habe niemand dazu beauftragt, einen Wolf zu quälen, der nicht dazu in der Lage ist, sich zu wehren. Schmeiß hier nicht mit Anschuldigungen herum«, ein Glas zersplitterte neben meinem. »Und jetzt verschwinde, -«, er stoppt mitten in seinem Satz. Ich schüttle unterbewusst meinen Kopf. Wie kann jemand nur so viel Macht haben? »-wenn sie redet, informiere mich sofort.«

Unsere Blicke treffen sich erneut und ich meine, ein kleines Lächeln auf seinem Mund erahnen zu können. Er hat mich heute schon mehrmals angelächelt. Was das wohl zu bedeuten hat? Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich kann nicht richtig denken. Und was meinte er überhaupt damit, dass er den Befehl nicht erteilt hat? Wer sonst? Er muss etwas gesagt haben, damit ich überhaupt erst in diesem Keller lande. Ich schaue ihn nur regungslos und verwirrt an, er aber schließt für einen kurzen Moment seinen Augen und atmet schwer aus, bevor er etwas unverständliches murmelt, woraufhin Claire empört die Luft einzieht.

»Unfassbar«, eine leichte Berührung zieht mich aus den Augen des Alphas – die blonde Frau greift nach meinem Arm und das aber etwas zu feste, denn ich habe immer noch mit Schmerzen zu kämpfen, weshalb ich laut aufzische und sie daraufhin direkt von mir loslässt. In der selben Bewegung tritt der König zu uns vor und stellt sich zwischen mir und Claire. Oh nein! Habe ich was falsch gemacht? Stumm habe ich mir zwar nicht besser gefallen, aber manchmal war es doch von Vorteil.

»Pass auf«, knurrt der Grünäugige die ältere Dame an, welche sich zum ersten Mal etwas zusammen zieht. Als der Alpha sich zu mir dreht, weiß ich auch wieso. Seine Augen haben einen dunklen rotton angenommen und leuchten einen bedrohlich an. Er ist mir viel zu nah, nur traue ich mich nicht, einen Schritt nach hinten zu gehen. Nicht nochmal. Ich möchte ihn nicht noch mehr verärgern. Zusammen gezogene Augenbrauen, ein angespanntes Kiefer – angsteinflößend. »Geht es dir gut?« Seine Stimme. Seine Stimme.

Ich schließe für einen kurzen Moment meine Augen und stelle mir vor, es gäbe keine Werwölfe und der Junge vor mir, ist bloß jemand, der mich auf dem Schulhof angesprochen hat, weil er mich interessant und hübsch fand.

Doch als ich meine Augen wieder öffne, bin ich nur noch angeekelt von mir selbst. Ein leichtes Nicken genügt ihn glücklicherweise als Antwort. Immer noch in Trance sehe ich ihn dabei zu, wie er mit seinen Finger mein Kinn umgreift und seine Lippen dann auf meine Wange treffen. Eine starke Gänsehaut überzieht mich und als er mir von nahen aus ins Gesicht blickt, kann ich nicht anders, als fasziniert all seine Züge zu studieren. Er ist ein Alpha – natürlich ist er schön. Gene eben. Meine Zunge gleitet über meine Lippen, bevor ich meine Hand hebe und mir eine Strähne hinters Ohr streiche. Er beobachtet all meine Bewegung genau und lässt keine über. Als meine Zunge wieder zurück in mein Mund schlüpft, seufzt er laut auf, während er den Kopf in den Nacken legt und seine Augen schließt.

»Sie muss aus dem Saal, schnell, Claire.«

Dangerous MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt