H E N R Y
Heimlich beobachte ich den Neuzugang unserer kleinen Farm im Außenbereich Torontos. Ich bin schon immer neugierig gewesen, das sagt zumindest meine Mom immer wieder. Normalerweise streite ich es ihr gegenüber ab, doch genau in diesem Moment, da konnte ich ihr nur Recht geben. Doch was sollte ich machen, dieser Junge dort drüben auf der Veranda, der hat meine Neugier geweckt.
Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, wie er heißt noch warum er so plötzlich zu seinem Großvater auf die Farm ziehen musste. Das einzige, was ich weiß, ist, dass er ziemlich klein ist, braune Haare hat und bis jetzt mit noch keinem Kind der Nachbarschaft gespielt hat - zumindest hat mir dies meine Tante vorhin erzählt, die nicht unweit der Farm lebt. Und vor wenigen Minuten habe ich den kühnen Plan geschmiedet, wie ich der erste sein würde, mit dem er spielen wird. Immerhin scheint er, genauso wie ich, etwa acht Jahre alt zu sein, also würde das ja wohl kein Problem darstellen.
Vorsichtig löse ich mich aus dem Schatten des großen Baumes und laufe auf die Veranda zu, auf der er sich aufhält. Der Junge bemerkt mich erst, als ich vor ihm zum Stehen komme.
»M-mein Grandpa ist in der Scheune bei den Pferden«, murmelt er und schaut zu Boden.
»Ich will nicht zu deinem Großvater, ich wollte zu dir«, sage ich und setze mich neben ihn auf die Bank, auf der er bereits sitzt und bis eben in die weite Ferne gestarrt hat.
»W-wieso?«
Ich zucke mit den Achseln. »Du scheinst nett zu sein«, antworte ich ihm ehrlich und beobachte seine Reaktion.
Sein Kopf schießt zu mir herum und er sieht mich erstaunt an. »Woher willst du das wissen?«
Seine grünen Augen schimmern ein wenig - doch dieses Schimmern begreife ich erst Jahre später, es ist Hoffnung, die dort in seinen Augen schimmert. Doch zu diesem Zeitpunkt denke ich, dass er jeden Moment anfängt zu weinen und schon zu diesem Zeitpunkt will ich nicht, dass er traurig ist.
»Ich weiß es nicht, aber mein Dad sagt immer, ich hätte ein gutes Menschengespür«, sage ich deshalb und lächele ihm zu. »Und du scheinst mir, wie schon gesagt, nett zu sein.«
Er nickt leicht und sieht dann wieder nach vorne. Plötzlich steht Mr Brown vor uns und lächelt freundlich.
»Wenn das nicht der kleine Jones-Junge ist!«, sagt er lachend und strubbelt durch meine Haare. »Was hat dich denn hier her verschlagen, Henry? Wolltest du etwa wieder zu Sugar?«
Ich schüttele lächelnd den Kopf. Sugar ist eine schöne und gutmütige Stute, auf der ich schon das eine oder andere Mal geritten bin, doch wegen ihr bin ich diesmal tatsächlich nicht gekommen.
»Nein, Sir, ich wollte ihren Enkel kennenlernen«, antworte ich und sehe wie er noch breiter anfängt zu lächeln.
»Das ist aber nett von dir, mein Lieber. Findest du nicht auch, Vincent?«, spricht er an den Jungen, der neben mir sitzt, gerichtet.
Vincent heißt er also, denke ich und merke, dass mir sein Name sehr gut gefällt.
Vincent nickt bloß und sieht dann kurz zu mir. Ein kleines Lächeln hat sich auf seine Lippen geschlichen, weshalb ich freundlich zurücklächle.
Wir sitzen noch einige Zeit auf der Veranda, bis wir anfangen einen geeigneten Platz für ein Baumhaus zu finden, das wir unbedingt bauen wollen, wenn ich nächstes Wochenende wieder bei meiner Tante bin.
Während des Nachmittages wird Vincent immer offener mir gegenüber und ich genieße die Zeit mit ihm. Er ist anders, als die Kinder, die hier in der Gegend wohnen und es macht auch viel mehr Spaß mit ihm zu spielen, als mit den anderen.Und von da an, fieberten wir beide dem Wochenende immer wieder entgegen, denn dann sahen wir uns ja wieder.
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Während ich schlief
Teen FictionAls Vincents Eltern bei einem Unfall verunglücken und er gezwungenermaßen zu seinem Großvater nach Toronto auf dessen Farm ziehen muss, scheint für ihn alles hoffnungs- und trostlos. Er fühlt sich alleine gelassen und verloren auf der großen weiten...