Und weiter geht's!
Ich hoffe ihr habt Eure Freude mit dem Kapitel!
Bis zum nächsten Mal!
Eure theuniverseinus
_______________________V I N C E N T
Es ist nun schon etwa eine Woche her, dass wir Anzeige gegen Brad erstattet haben. Henry hat sein Versprechen mir gegenüber gehalten und ist fast die ganze Zeit während wir Schule haben um mich herum und passt darauf auf, dass Brad mir nicht zu nahe kommt.
Vor zwei Tagen etwa hat mir eben dieser einen bitterbösen Blick geschenkt, der mich wohl am liebsten sofort hätte töten sollen. Da wusste ich, dass die Polizei ihm mitgeteilt hatte, dass er angezeigt wurden ist - und ich hatte nun mächtig schiss, dass Brad mich verprügeln würde oder sogar noch schlimmeres anstellen wollte.
Aber auch wenn ich mächtig schiss vor Brad habe, weil er jederzeit versuchen könnte, mich halt so richtig zu vermöbeln, fühle ich mich um einiges sicherer, wenn Henry bei mir ist. Nicht nur weil ich vollkommen und unwiderruflich in ihn verschossen bin, sondern auch weil er mich nun schon seit etwas mehr als neun Jahren vor ziemlich vielem Mist beschützt hat und ich ihm in derlei Dingen blind vertraue.
Mein letzter Gedanke bringt mich allerdings auch wieder darauf, dass ich Henry endlich gestehen wollte, was ich für ihn empfinde. Leider bin ich der größte Hosenschisser, den diese Welt jemals kennenlernen durfte und habe es ihm natürlich nicht gesagt. Die letzten drei Tage habe ich sogar meine Zeit beim täglichen Ausklingen des Tages - was seit einigen Jahren eines der vielen Rituale meines Grandpas und mir ist - damit verschwendet, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich es am schlausten anstellen soll meinem besten Freund und engsten Vertrauten zu sagen, dass ich ihn liebe. Und statt dass ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages fasziniert beobachtet habe, bin ich bloß nervöser geworden und habe an meinem Entschluss gezweifelt. Doch letztendlich bringt mir das auch nichts, weil ich es ihm trotzdem irgendwann sagen muss. Was heißt hier ›muss‹? Ich will es ihm sagen, damit ich endlich diese Last los bin, die mich immer mehr zu ersticken droht, je länger ich es ihm nicht sage. Leise seufzend löse ich meinen Blick, der bis eben noch aus dem Fenster zu meiner Linken gegangen ist und schaue nach vorne an die Tafel, an der unser Lehrer einige Lösungsansätze unserer Aufgabe zeigt, die vor uns auf dem Tisch liegt.
Es ist Mittwoch - die Mitte der Woche, die sich jeder Schüler herbei wünscht, weil es dann nur noch zwei nervige Tage bis zum Wochenende sind - und wie jeden Mittwoch habe ich zusammen mit Henry in den letzten beiden Stunden Mathe.
Es ist nicht unbedingt mein Hassfach, da ich irgendwie ein Händchen für Zahlen habe, aber mein Lieblingsfach wird es wohl auch nie sein.
Mein Blick wandert weiter zu Henry, der zu meiner Rechten sitzt und verzweifelt die Tafel anstarrt.
Im Gegensatz zu mir ist Henry ein wirklicher Mathe-Allergiker. Die meiste Zeit sitzt er eigentlich immer völlig verwirrt auf seinem Platz und versucht unserem Lehrer zu folgen, was ihn meistens aber dann noch mehr verwirrt, weshalb er mich auch immer nach dem Unterricht fragt, ob ich ihm nicht das Thema erklären könnte. Ich willige dann natürlich immer ein und verbringe den Donnerstagnachmittag damit, ihm die Aufgaben und das Thema allgemein zu erklären. Donnerstags ist es mittlerweile sogar schon so, dass Henrys Stiefmom extra Mittagessen zubereitet, weil ich sonst auch immer mittags was zwischen die Kauleisten bekomme. Ich habe ihr schon oft versucht das auszureden, doch sie hat es jedes mal mit der gleichen Antwort abgetan. »Du hilfst Henry in Mathe und im Gegenzug helfe ich dir dabei, endlich mal etwas an Gewicht zuzulegen«, sagt sie dann immer und ich kann nur geschlagen nicken. Denn so unrecht hat sie damit gar nicht. Ich bin viel zu leicht für einen Jungen in meinem Alter und von meiner Größe, dementsprechend knochig sehe ich auch aus. Henry beschwert sich darüber allerdings am meisten von allen darüber. Er meint immer ich sähe aus, wie ein wandelndes Skelett. Mittlerweile habe ich allerdings tatsächlich ein paar Pfunde zugelegt, was für mich bedeutet, dass sich meine Haut nicht mehr so stramm über meine Rippen spannt. Irgendwie macht es mich echt stolz, dass ich langsam doch mal etwas Speck auf meine Hüften bekomme.
»Hey, alles gut bei dir?«, flüstere ich Henry zu, welcher nur mit dem Kopf schütteln kann.
»Ich versteh' schon wieder kein Wort von dem, was er da vor sich hin spricht!«, flüstert er mir verzweifelt klingend zu. »Vor allem ist es auch weniger produktiv für alle Anwesenden - außer deiner Wenigkeit -, dass er hauptsächlich mit der Tafel spricht und einfach die Aufgaben alleine löst.«
Lächelnd greife ich beruhigend nach seiner Hand und drücke sie. »Soll ich morgen nach der Schule mit zu dir kommen, um es dir zu erklären?«
Henry nickt mir grinsend zu. »Das wäre echt super von dir! Du bist ein wahrer Schatz!«
Mal wieder nehmen meine Wangen einen Rosé Ton an. Warum muss er auch bloß immer solche Sachen sagen, die mich zum Erröten bringen?! Das geht mir langsam auf den Keks - anderseits ist es aber auch unglaublich süß, wenn er mir solche Sachen sagt.
»Wenn Sie sich so rege mit Mr Jones unterhalten können, Mr Walter, dann können Sie mir auch sicherlich das Ergebnis dieser Aufgabe nennen, nicht wahr?«, fragt plötzlich unser Lehrer, weshalb ich irritiert zu ihm nach vorne sehe.
Er hat bereits einen siegessicheren Blick aufgesetzt, welchen ich ihm allerdings nun vermiesen werde.
»Natürlich, Sir«, antworte ich ihm freundlich. »Das Ergebnis lautet, ein ›x‹ gleich dreizehn Komma Periode drei.«
Enttäuscht darüber, dass er mir keinen Denkzettel verpassen kann, weil ich in seinem Unterricht nicht aufpassen kann, sagt er bloß an, dass wir nächste Woche einen Test über dieses Thema schreiben werden und entlässt uns aus dem Unterricht.
Henry und ich sind mit die Letzten, die den Raum verlassen und sich auf den Weg zu sich nach Hause machen.
»Ich fahr' dich wieder nach Hause«, sagt Henry und legt seinen Arm um meine Schultern. »Ich kann heute aber leider nicht bleiben. Christa hat den Familienrat einberufen - frag' mich bloß nicht, was jetzt schon wieder kaputt gegangen ist, ich war's jedenfalls diesmal nicht.«
Leise lachend stelle ich mir vor, wie die kleine blondhaarige Christa strengen Blickes ihre Stiefkinder niederstarrt, um dann anschließend ihren Blick auf ihren eigenen Sohn zu richten. Ich habe bis jetzt nur eine dieser Familienrat-Sitzungen miterlebt und bin heilfroh, niemals wieder eine solche miterleben zu müssen. Es war einfach die Hölle auf Erden Henry, seinen großen Bruder Trevor, seine Kleine Schwester Linda und ihren kleinen Halbbruder Oscar, der zu dem Zeitpunkt gerade mal vier war, so eingeschüchtert zu sehen. Vor allem aber hatte ich plötzlich mächtig Respekt vor Henrys Stiefmom und habe noch tagelang nach diesem Familienrat gestottert, wenn ich mit ihr geredet habe.
»Ist schon gut, aber können wir uns heute Abend vielleicht am Baumhaus treffen?«, frage ich ihn und sehe unsicher in seine Augen. »Ich muss dir nämlich was wichtiges sagen.«
Ja, okay, ich weiß schon selbst, dass unser altes Baumhaus nicht unbedingt der richtige Treffpunkt ist, um ihm endlich meine Gefühle zu offenbaren. Doch ich halte es noch immer für die bessere Idee, als es ihm hier mitten auf dem Gang zu sagen, wo alle anderen es ebenfalls mitbekommen könnten. Allerdings kann ich mir dadurch auch die richtigen Worte zurecht legen und mich seelisch darauf vorbereiten.
»Na klar können wir das! So gegen sieben, damit ich danach mit dir und deinem Grandpa den Tag ausklingen lassen kann?«, fragt er mich lächelnd und zeigt mir durch diese Antwort Mal wieder, wie gut wir uns eigentlich kennen.
»Ist gebongt!«, lächle ich und folge ihm zu seinem Auto, in welches wir einsteigen. Es dauert kaum zehn Minuten und da sind wir schon bei mir Zuhause angekommen.
»Vergiss' ja nicht zu kommen, verstanden?!«, sage ich leicht grinsend zu Henry, welcher mir lächelnd zunickt.
»Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde pünktlich um sieben da sein«, antwortet er und grinst mich breit an. »Falls ich mich verspäten sollte schreibe ich dir aber noch! Bis nachher dann!«
»Bis dann!«
Immer noch grinsend steige ich aus Henrys Wagen, schnappe ich mir meinen Rucksack und schlage die Tür zu. Dann bleibe ich noch auf der Einfahrt stehen und sehe Henrys Auto hinterher, bis es aus meinem Sichtfeld verschwindet.
Erst dann mache ich mich auf den Weg ins Haus, wo mich mein Grandpa auch schon freudig empfängt.
»Na, mein Junge, wie war die Schule?«, fragt er lächelnd und zwinkert mir zu.
Ich habe keine Ahnung, was er nun schon wieder im Schilde führt.
»Alles bestens«, antworte ich ihm unsicher und sehe ihn misstrauisch an. »Warum grinst du eigentlich so breit und zwinkerst mir dann auch noch zu? Das macht mir ehrlich gesagt ein wenig Sorge. Hast du irgendwas falsches gegessen?«
Alles was darauf folgt ist ein schallendes Lachen meines Großvaters. Mein Blick wird skeptisch und ich frage mich, was er in meiner Abwesenheit so zu sich genommen hat.
»Ich bin bloß überrascht, dass Henry heute nicht hier bleibt«, sagt er und dreht sich nun von dem Kochtopf weg, in dem er bis eben gerade noch herumgerührt hat, um mir in die Augen sehen zu können. »Habt ihr euch etwa gestritten?«
Ich sehe ihn noch verwirrter als zuvor an. »Nein, wieso? Christa hat bloß den Familienrat einberufen - du weißt ja, wie das so mit ihr ist. Henry und ich wollen uns aber heute Abend um sieben am Baumhaus treffen.«
Grandpa nickt und sieht mich ernst an. »Willst du ihm endlich sagen, dass du ihn liebst?«
»Ja, das hatte ich vor...«, ich unterbreche mich selber und sehe meinen Großvater mit großen Augen an. »Verdammt, woher weißt du das?!«
Ich habe ihm gegenüber noch nie auch nur einen Satz darüber verloren, dass ich erstens schwul und zweitens in Henry verliebt bin. Wie kriegt er das bloß immer hin?!
»Glückstreffer würde ich behaupten«, grinst er und kommt auf mich zu.
»D-du hast bloß geblufft?«, frage ich zittrig nach.
Er nickt und bleibt vor mir stehen, während mein Blick sich senkt. Ich habe seit Jahren Angst vor diesem Moment, weil ich nicht weiß, wie er es aufnehmen wird. Was passiert, wenn er mich einfach so rauswirft, weil er mich für die Brut Satans hält? Ich würde es auf jeden Fall nicht verkraften. Er ist der letzte Teil meiner Familie, der mir geblieben ist, weshalb ich auch prompt anfange zu weinen.
»Hasst du mich jetzt?«, frage ich ihn schluchzend.
Statt mir zu antworten zieht mich Grandpa in seine Arme und drückt mich fest an sich.
»Natürlich nicht, Vincent! Wo denkst du bitteschön hin! Ich akzeptiere dich so wie du bist, weil ich dich verdammt noch mal so liebe wie du nun einmal bist!«, spricht Grandpa entschlossen und streicht mir beruhigend über den Rücken, während ich mich an seiner Schulter ausheule und meine Finger in sein altes Flanellhemd kralle. »Du bist meine Familie und in einer Familie hält man zusammen. Und was ist schon schlimm daran, wenn man jemanden seines eigenen Geschlechtes begehrt? Liebe ist Liebe. Und nun hör' bitte wieder auf zu weinen, Vincent. Du weißt ich kann es nicht ertragen dich traurig zu sehen.«
Schniefend löse ich mich von meinem Grandpa und wische mir die Tränen fort.
»Ich hab' dich auch lieb, Grandpa!«, lache ich schniefend und sehe ihn erleichtert an.
Grinsend führt er mich zum Esstisch und setzt mich auf meinen Stuhl.
»Ich glaube, nun brauchst du erst einmal eine große Portion Kürbissuppe. Nach diesem emotionalen Moment muss ich dich wohl erstmal wieder aufpeppeln, was?«
Ich kann nicht anders und muss glücklich lächeln. Noch nie in meinem Leben habe ich solch eine Erleichterung gespürt. Ich bin einfach unendlich dankbar dafür, dass ich meinen Grandpa habe und er mich so akzeptiert, wie ich bin.
Nun kann gar nichts mehr schief gehen, denke ich und mache mich über die Kürbissuppe her.Es ist bereits viertel vor sieben am Abend, als ich mich gemächlich auf den Weg zu dem alten Baumhaus mache, welches ich zusammen mit Henry und meinem Grandpa erbaut habe.
Es bringt mich immer wieder zum Lächeln, wenn ich daran denke, wie oft sich Henry bei der ganzen Aktion auf die Finger gehauen hat, weil er noch nie zuvor mit einem Hammer gearbeitet hatte. Ich habe ihm dann aber gezeigt, wie man es am besten macht und danach hat er sich tatsächlich kaum noch auf die Finger gehauen.
»Hey, Vincent!«, ruft plötzlich jemand.
Ich drehe mich um und sehe Billy, welcher auf mich zugelaufen kommt. Er hat genauso wie ich Arbeitsschuhe an, die vor Matsch nur so triefen. Sieht allerdings um einiges stylischer aus als ich, da er sich in eine Jeans und ein T-Shirt mit V-Ausschnitt gezwängt hat. Ich hingegen trage eigentlich wie jedes mal, wenn ich meinem Grandpa bei den Pferden oder Kühen geholfen habe meine Latzhose mit einem karierten Hemd. Diese Kombination hat sich zwar in der Schule nie wirklich bewährt, weshalb ich dort auch seit letztem Jahr in normalen Klamotten herumlaufe, ist dafür aber mehr als praktisch, wenn ich mich am Nachmittag um die Tiere kümmere.
»Na, Billy, was ist los?«, frage ich ihn und muss mal wieder feststellen, dass ich mit meinen einen Meter fünfundsiebzig ziemlich klein für einen Jungen bin. Soweit ich informiert bin ist Henry tatsächlich knappe elf Zentimeter größer als ich und Billy überragt mich bestimmt auch schon mit vier Zentimetern, obwohl er drei Jahre jünger ist als ich. »Ich wollte nur fragen wohin du gehst, du wirkst irgendwie nervös, aber auch sehr glücklich«, antwortet er mir und sieht mich grinsend an. »Triffst du dich etwa mit Henry?«
Erstaunt mustere ich ihn. Woher weiß er das denn?
»Woher weißt du das?«
Billy zuckt mit den Schultern und grinst weiter vor sich hin. »Keine Ahnung, du bist immer so schrecklich glücklich, wenn du dich mit ihm triffst.«
Verlegen schaue ich zu Boden und werde mal wieder rot. Verdammt, warum bin ich bloß immer so schnell 'ne reife Tomate?!
»Hab' ich etwa richtig geraten?«, fragt Billy mich lachend und strubbelt dann durch meine Haare. »Na dann viel Glück. Ich wünsche euch viel Spaß!«
Und damit ist er dann auch schon wieder verschwunden. Verwirrt schaue ich ihm hinterher und versuche meine Haare wieder zu glätten, was mir auch einigermaßen gelingt.
Nach dieser mehr als merkwürdigen Begegnung, mache ich mich wieder auf den Weg zum Baumhaus und komme dort auch wenig später an.
Ich klettere die alte Leiter hoch und Stelle mich auf die kleine Plattform vor dem eigentlichen Haus und sehe in die Ferne.
Es ist bereits fünf vor sieben, als ich auf mein Handy schaue.
Jetzt heißt es nur noch warten und nicht die Nerven verlieren. Ich hoffe, dass alles gut enden wird... .
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Während ich schlief
Novela JuvenilAls Vincents Eltern bei einem Unfall verunglücken und er gezwungenermaßen zu seinem Großvater nach Toronto auf dessen Farm ziehen muss, scheint für ihn alles hoffnungs- und trostlos. Er fühlt sich alleine gelassen und verloren auf der großen weiten...