Zwei Jahre später... .
V I N C E N T
Tief ein- und ausatmen.
Das versuche ich nun schon seit einigen Minuten, doch es bringt nichts. Es hilft mir einfach nicht, mich zu beruhigen.
Verdammt, Henry scheint sich immer besser mit der neuen Schülerin zu verstehen. Ich weiß schon seit langem, dass er irgendwann einmal tatsächlich eine Freundin haben wird, aber ich habe gehofft, dass dies noch in weiter Zukunft liegt, dass ich mich auf diesen Moment besser vorbereiten kann. Dass ich nicht nur mental sondern auch seelisch dazu bereit bin, mich endgültig von ihm als vielleicht zukünftigen festen Freund zu verabschieden, um jemand anderen besser geeigneten für mich zu finden. Doch wenn ich ganz ehrlich mit mir selbst sein soll, dann gibt es keinen besseren als Henry für mich.
Durch unsere jahrelange Freundschaft kennt er mich wahrscheinlich sogar besser, als ich mich selbst. Er weiß immer, wann es mir dreckig geht und versucht mich dann wieder fröhlich zu stimmen. Er bekommt es sogar immer irgendwie mit, wenn mich etwas bedrückt und hört mir aufmerksam zu, egal was es ist.
Kein Wunder, dass ich mich in ihn verliebt habe. Immerhin ist er immer für mich da und ist so süß zu mir. Wie hätte ich mich da nicht in ihn verlieben können?
Mein Blick geht aus dem Fenster neben mir, um den Schulhof zu überblicken. Wie automatisch erfasst er sofort Henry, welcher gerade über etwas lacht, was das Mädchen ihm erzählt hat.
Schwer schluckend sehe ich schnell wieder weg und versuche erstens den brennend heißen Stich der Eifersucht und zweitens das schmerzende ziehen meines Herzen zu ignorieren.
Ich weiß einfach nicht weiter. Vor allem aber weiß ich nicht, wie ich Henry gegenüber treten soll, wenn er tatsächlich einmal eine Freundin haben sollte. Höchstwahrscheinlich würde ich ihn dann versuchen zu meiden, sobald seine Freundin auftauchen würde, doch irgendwann würde ihm auch auffallen, dass etwas nicht stimmt und mich fragen, was los wäre - genau diese Frage will ich allerdings vermeiden.
Wie würde er reagieren, wenn er wüsste, was ich für ihn empfinde? Würde er mich eklig und abstoßend finden? Wenn ja, dann wäre mein Todesurteil unterschrieben. Immerhin ist er nun schon seit neun Jahren mein bester Freund und eine Zukunft ohne ihn wäre die reinste Hölle auf Erden für mich. Ich will ihn um nichts in der Welt verlieren, dazu ist er mir einfach zu kostbar und wichtig.
Und dann schießt es mir durch den Kopf: Früher oder später wird Henry es eh erfahren, weshalb dann nicht lieber ehrlich zu ihm sein und es ihm selber sagen?
Irgendwie macht mich dieser Gedanke aber dann doch viel nervöser, als gedacht, doch wenn ich einmal etwas beschlossen habe, dann kann man mich nicht mehr davon abhalten, es auch in die Tat umzusetzen. Also werde ich wohl Mal meinen gesamten Mut zusammenkratzen müssen, damit ich auch ja nicht kneife, es ihm zu sagen - vielleicht wird das ganze ja doch gar nicht so schlimm, wie ich es mir gerade denke.
Leise seufzend mache ich mich also auf den Weg, um ebenfalls auf den Schulhof zu gehen - versuche allerdings zu ignorieren, dass ich Henry meine Liebe gestehen will -, werde aber dann leider von Brad und seinen Schlägern abgefangen, die unglücklicherweise vor der großen Tür zum Schulhof stehen und sich über irgendetwas kaputt lachen.
»Na, wen haben wir denn da so ganz alleine ohne seinen Beschützer Henry?«, fragt Brad gehässig nach und sieht mich hasserfüllt an, als er mich auf sie zukommen sieht. »Achja! Er wurde ja durch die Neue ersetzt!«
In den letzten zwei Jahren hat Brad noch einmal an Größe und Muskelkraft zugelegt und sieht nun total aufgepumpt aus. Ich schwöre, sein Bizepsumfang ist größer, als der meines Kopfes! Außerdem hat er sich einige Tattoos stechen lassen und sich auch ein paar Piercings zugelegt. Alles in allem sieht er wie der Schläger schlecht hin aus. Leider bin ich seit der Prügelei vor zwei Jahren zu seinem Lieblings Boxsack geworden - und er nutzt einfach jeden Moment, in dem Henry nicht bei mir ist, um mich zu vermöbeln.
Mistkram, aber auch! Wieso muss ich auch immer so halb durchdacht handeln?! Hätte ich nicht auch einfach einen der Lehrer holen können? Dann wäre ich aber höchstwahrscheinlich trotzdem Brads bevorzugter Boxsack, denke ich mal. Verflucht, warum ausgerechnet immer ich?!
»Was machen wir heute mit ihm, Jungs?«, fragt Brad seine Kumpel und sieht vorfreudig auf mich herab.
Ich hingegen sehe zögerlich erst zu ihm und dann zu seinen Freunden - das wird ganz bestimmt nicht gut ausgehen. Ich sehe jetzt schon meinen Grabstein.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich manchmal mein Leben hasse?
»Vielleicht sollten wir ihn einfach Mal wieder die Toilette runter spülen«, schlägt der eine vor, wobei ich ein Würgen unterdrücken muss. Leider erinnere ich mich an diesen Vorfall noch sehr genau. Ich glaube, ich habe eine ganze Woche immer wieder Albträume von Toiletten gehabt und mich andauernd übergeben oder geduscht. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so oft an einem Tag gewaschen - das war einfach nur ungesund.
»Nein, nein! Lass' ihn fliegen lernen!«, sagt der andere voller Enthusiasmus.
Ein fieses Grinsen legt sich auf Brads Züge, weshalb ich stark schlucken muss - heilige Scheiße.
»Das ist eine überaus exzellente Idee, Chris«, spricht er und greift sofort nach meinem Kragen und dem Bund meiner Jeans. »Öffnet die Tür sobald ich ihn losgelassen habe, verstanden?«
Die beiden Vollhorste nicken natürlich sofort begeistert und postieren sich an der Tür. Und kurz darauf merke ich nur noch, wie ich kurzzeitig in der Luft schwebe, bevor ich den kalten Beton der Treppe spüre, auf dem ich mit meinem Kopf zuerst lande, bevor ich sie ich herunter rolle. Danach höre ich nur noch ein paar erschrockene Ausrufe und merke kurz darauf, dass jemand mein Gesicht umfasst, danach wird alles schwarz vor meinen Augen.
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Während ich schlief
Подростковая литератураAls Vincents Eltern bei einem Unfall verunglücken und er gezwungenermaßen zu seinem Großvater nach Toronto auf dessen Farm ziehen muss, scheint für ihn alles hoffnungs- und trostlos. Er fühlt sich alleine gelassen und verloren auf der großen weiten...