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„Vergesst nicht was ich gesagt habe. Ihr könnt niemanden vertrauen, auch nicht mir. Nur eines müsst ihr mir glauben: Ich bin einer von den Guten."

Wie konnte ich mich darauf verlassen, dass er die Wahrheit sagte? Titus schien von ihm überzeugt zu sein, obwohl er ihn nicht so gerne zu mögen schien, wie ich es am Anfang getan hatte. Seit dem alles wie ein abgeschlossenes Geschäft wirkte, bei dem niemand die Karten des anderen kannte, fühlte ich mich, als könnte ich Bahari nicht komplett trauen. Der Unterschied war, was schon und was nicht.

In meinem Kopf kreisten tausend Fragen, doch ehe ich eine einzige als Satz formen konnte, hatte Bahari sich umgedreht und war losgegangen. Eilig folgten wir ihm das letzte Stück des Feldweges, bis wir an eine geteerte Straße kamen. Dort standen bereits zwei schwarze Wägen.

„Das ist eurer." Bahari zeigte auf den vorderen und trat selbst zu dem hinteren, der moderner und schneller wirkte. Vorhin hatte er gesagt, dass sie hinter ihm her waren. Vielleicht wollte er uns beschützen, indem wir uns aufteilten. Oder er ließ uns entführen.

Wir mussten ihm vertrauen, oder? Er war doch einer von den Guten, hatte er gesagt. Wir hatten keine andere Wahl, wir stünden sonst alleine in einem fremden Wald. Unsicher strich ich mir durchs Haar.

Titus streckte sich und klopfte an das Fenster des Beifahrers. Langsam wurde das Glas herunter gelassen, als eine Frau dahinter erschien.

Ich konnte sie nicht richtig erkennen, doch als ich an Titus vorbei lugte, traute ich meinen Augen nicht: Gabi! Wie kam sie hierher? War sie nicht eben noch im Betrieb gewesen? Sie hatte sich abgeschminkt und trug nicht mehr das seidene Kostüm, sondern einen dunklen Pullover und eine einfache Jeans, Gabi wirkte wie immer.

„Steigt ein, ich fahre euch nach Hause. Man hat mich geschickt, weil sie dachten, ihr würdet bei mir keinen Aufstand machen. Die kleine Fahrtunterbrechung von vorhin wird nicht nochmal passieren. Worauf wartet ihr noch? Wollt ihr hier bleiben?" Gabi schien unnatürlich fröhlich, und ganz anders als vorhin.

Wir zögerten beide, aber schließlich trat ich langsam zum Wagen und öffnete die hintere Tür. Ich verabschiedete mich knapp von Bahari, der auf unser Verschwinden zu warten schien, und stieg in den nach neuem Leder riechenden Wagen. Titus nickte Bahari noch zu und setzte sich auf den Beifahrerplatz. Die Tür knallte mit einem dumpfen Geräusch zu und der Motor surrte auf.

Ehe wir angeschnallt waren, trat Gabi in die Pedale und ich wurde in den Sitz gedrückt. Titus grummelte und Gabi meinte entschuldigend: „Tut mir leid, aber ihr wollt doch sicher schnell nach Hause. Titus sollte sich auf seinen Ausflug vorbereiten. Und Mimi, du wirst sicherlich Hausaufgaben haben?" Ihre Stimme klang munter und glücklich, doch in ihrem Ton spürte ich, dass sie uns nur etwas vormachte. Ihre ganze Sorge hatte sie versteckt, um uns zu trösten und abzulenken.

„Wie geht es dir denn? Deine Mutter hat gemeint, dass du dich in Physik verbessert hast. Oder war es anders herum, und du hast dich verschlechtert?", plapperte Gabi. „Deine Mutter war in Physik auch immer so schlecht, aber das ist lange her. Ich rede vermutlich zu viel, das tut mir leid. Aber ihr müsst wissen, in solchen Situationen fange ich immer an, über alles mögliche zu reden. Also entschuldigt mich. Habt ihr was von eurer Schwester gehört? Sie ist ja schon so groß geworden, ich habe..."

Ich hörte auf, ihr zuzuhören. Mein einziger Gedanke war, ob ich im falschen Film wäre. Titus drehte sich plötzlich zu mir hinter und flüsterte: „Von was, glaubst du, will sie uns ablenken?"

Erschrocken zuckte ich mit den Schultern. Hätte ich auf irgendetwas Acht geben müssen? Was hatte ich jetzt schon wieder verpasst?

Vorsichtig drehte ich ich um, hinter uns war der schwarze Wagen, in dem Bahari sitzen müsste, nicht zu sehen. Wir waren auf einer Landstraße, die ich kannte, jedoch nicht häufig nutzte. Wir fuhren gerade auf die Stadt zu, in Richtung des Viertels, in dem unser Haus stand. 

Ehe ich es begriff, blieb der Wagen auch schon vor unserem Haus stehen. Die Tür wurde aufgerissen und Alea rannte heraus. Eilig lief sie uns entgegen. Sie trug eine schwarze Mütze auf dem Kopf, unter der sie all ihre Haare gesteckt hatte.

Ihr Gesicht war von Freude erfüllt, als sie uns wieder sah, aber da waren auch die eindeutigen Zeichen, dass sie geweint hatte. Die Haustür fiel langsam zu, als hinter ihr unser Großvater auftauchte. Sein Blick war ernst und müde zugleich.

Alea flog mit einer Leichtigkeit zu dem Wagen, der gerade erst zum Stillstand gekommen war. Schnell sprang ich aus dem Wagen, gerade rechtzeitig, sodass Alea sich um meinen Hals werfen konnte.

Ich lachte kurz fröhlich auf und wirbelte Alea umher, doch meine kleine Schwester begann auf einmal zu weinen. Sie klang dabei so kümmerlich, ein Stein schien von ihrem Herzen zu fallen und die Erleichterung machte Platz für Trauer.

Ich drückte sie fest an mich. Noch mehr Tränen kullerten über ihr niedliches Gesicht. Ich spürte, wie auch meine Augen langsam wässrig wurden und prompt weinten wir gemeinsam. Es tat erstaunlich gut.

„...steht alles da drinnen", hörte ich dann Gabi sagen. Sie reichte Titus eine Akte, die er mit einem ernsten Gesicht betrachtete, als habe er alle Verantwortung. Ich wusste nicht, worum es ging und wollte es auch nicht erfahren. Stattdessen schlich ich mit Alea zu Opa, der uns ebenfalls beide in den Arm nahm.

Still beobachteten wir, aneinander gekuschelt, wie Titus mit Gabi redete, wie sie sich herzlich verabschiedeten und Gabi uns höflich zunickte und „Wiedersehen" rief. Opa rührte sich nicht, sondern verfolgte mit seinem Blick Gabi, die in den Wagen einstieg.

Titus betrat das Haus und war auf dem Weg ins Wohnzimmer. Wir folgten ihm mit etwas Abstand, ich verschwand auch mal kurz auf Toilette. Dort sah ich mit Absicht nicht in den Spiegel, sondern kehrte rasch zu den anderen zurück. Aus dem Fernseher klang die Stimme eines Nachrichtensprechers, der über einige Unfälle berichtete.

Opa begann schweigend, Geschirr aufzuräumen und Zutaten für eine Nudelsoße zu suchen. Alea beschwerte sich darüber, dass sie etwas anderes ansehen wollte. Alltagsgespräche entstanden, Simpsons gegen Nachrichten, Zucchini oder Aubergine. Währenddessen zeigte der Fernseher Videoaufnahmen der Verfolgungsjagd, die wir eben hautnah erlebt hatten. Es war surreal.

Mimula UndercoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt