Unendlicher Schmerz

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Genüsslich wie eine Katze räkelte Astoria sich auf dem Sofa. Der Abspann von irgendeinem Film, an den sie sich nicht erinnerte, lief auf dem Bildschirm. Die vergangenen zwei Stunden hatte sie einfach nur vor sich hin gestarrt, ohne etwas zu sehen. Nach außen hin war sie unbeschwert und genauso rotzig wie immer, doch wenn ihr Blick in weite Ferne ging, wurde die strahlende Farbe ihrer Pupille von Dunkelheit überschattet.
So wie gerade eben. 
Doch sie schrie nicht, oder schlug wild um sich. Während ihr das Herz in der Brust zersplitterte, saß sie nur da und starrte ins Nichts.
Mit einem ergebenen Seufzer stützte Astoria die Stirn in die Hände, bevor sie sich über das Gesicht rieb.
Sie war so erschöpft...
Mühsam stemmte Astoria sich hoch und ging auf ihr Zimmer zu. Schnell warf sie noch einen Blick zu Dracos Zimmertür und vergewisserte sich somit, dass der Slytherin nicht herauskommen würde. Das letzte, was sie wollte, war so von dem arroganten Mistkerl gesehen zu werden. Lautlos schloss sie die Tür ihres Zimmers hinter sich, sank gegen das Holz und ließ sich zu Boden gleiten.
Die Maske fiel in sich zusammen. 
Es war ihr ein Rätzel, wie sie so ruhig bleiben konnte, wie sie sich so leise bewegen konnte, obwohl sie doch schreien und weinen wollte, ihrem Schmerz Ausdruck verleihen. Doch sie tat nichts dergleichen. Stattdessen saß sie einfach nur auf den harten Dielen und starrte ins Nichts. Mit einer steifen Bewegung hob sie leicht ihren Zauberstab und richtete ihn auf ihre Kommode. Eine der vielen Schubladen glitt auf und eine große Flasche Alkohol flog durch die Luft zu ihr. Astoria fing die Flasche auf und schraubte behändig den Deckel des Wodkas ab. Mit einem erschreckend stumpfen Blick setzte sie an und legte zum Trinken den Kopf in den Nacken. Wie flüssiges Feuer rann der Alkohol ihre Kehle hinab und füllte ihren Bauch mit einer Wärme, die sie seit Stunden nicht mehr in sich trug. Bis vor wenigen Sekunden war ihr Körper kalt wie Stein und nur Dank des Schnaps füllte sie ihren Körper wieder einigermaßen.
Der Schmerz von so vielen, verlorenen Freunden lastete schwer auf ihr. Tonks, Lupin, Colin und so viele mehr. Aber am schmerzhaften war der Verlust von Fred.
Schwungvoll setzte Astoria ihre Kehle ein weiteres Mal in Brand, indem sie den Wodka trank, als wäre es Wasser.
Fred Weasley... 
Hermione war ab dem ersten Jahr mit Harry und Ron unterwegs. Die drei steckten immer unter einer Decke, obwohl Hermione eigentlich immer gegen was auch immer war. Astoria war sich sicher, wenn ihre Schwester nicht gewesen wäre, wären die Jungs schon im ersten Schuljahr raus geflogen.
Astoria hingegen hatte nie so einen Draht zu den beiden Jungs, wie Hermione. Sie gehörte nicht zu dem Goldenen Trio. Während Harry, Ron und Hermione mal wieder die Welt retteten, stellte Astoria zusammen mit den Zwillingen und Lee die Schule auf den Kopf. Sie verarschten Filch und alle Lehrer, die auf Streife waren. Vor allem, als Dolores Umbridge nach Hogwarts kam. Astoria hatte es nie zugegeben, denn keine Frage, dieses Jahr war grauenhaft. Mit all den Regeln und Strafen und dann war da noch Sirius' Tod... Doch in diesem Jahr hatten die Zwillinge und Astoria den Spaß ihres Lebens gehabt. Die Streiche, die sie gespielt hatten, der Nervenkitzel, wenn sie durch die Gänge geschlichen waren und die leise Angst erwischt zu werden.
Ein berauschender Cocktail aus Gefühlen, der nie wieder kommen würden.
Ohne Fred würde es nie wieder das Selbe sein. Und Astoria konnte sich ungefähr vorstellen, wie es für George sein musste, seinen Zwillingsbruder zu verlieren. Hermione und sie hatten zwar nicht sonderlich viel gemeinsam, aber bei dem bloßen Gedanken sie zu verlieren...
Astoria musste sich nach vorne lehnen und den Kopf zwischen die Knie klemmen, um sich nicht zu übergeben. Der bloße Gedanke brachte sie fast zum Kotzen.
Mühsam drängte sie den Würgreiz zurück und ließ den Kopf gegen die Tür fallen. Warum konnte sie nicht weinen? Wo blieben ihre Tränen? War sie so kalt?
Sie kniff die Lippen zusammen und leerte die Wodkaflasche mit wenigen Schlücken. Innerhalb weniger Minuten hatte sie doch tatsächlich einen Liter Wodka versoffen. Sie hätte heute neuen besorgen sollen. Keine Ahnung wie lang ihr Vorrat noch hielt.
Ihre Lider flatterten leicht. Das Zeug war wirklich die beste Einschlafhilfe überhaupt. Sie war so müde, dass sie kaum noch die Augen offen halten konnte. Mühsam kam sie auf die Beine und kickte schwankend die leere Flasche zur Seite, bevor sie zum Bett wankte. Vollkommen angezogen ließ sie sich auf die Matratze fallen und strampelte die Decke vom Bett. Zu mehr war sie nicht in der Lage.

Draco konnte nicht schlafen. Mit hinterm Kopf verschränkten Armen starrte er aus dem Dachfenster. Keine Sterne! Dunkle Wolken verschleierten den Himmel. Mit einem genervten Seufzer drehte er sich auf die Seite und starrte die Tür zum Bad an.
Was ein seltsamer Tag!   
Die Schlacht um Hogwarts schien schon Ewigkeiten zurück zu liegen. Der Sieg über Voldemort...
Draco runzelte die Stirn und spitzte die Ohren. Da war es schon wieder. Es klang nach einem schwer Verletztem, der seinen Schmerz nicht laut hinaus schreien...
Ein gellender Schrei zerriss so plötzlich die Luft, dass Draco im Bett hochfuhr und bevor er überhaupt registrierte, was er da tat, sprang er aus dem Bett und stürmte durch die Tür ins Bad zu Astoria.
Ihr Zimmer lag im Dunkeln, so tief, dass es schwer war, etwas zu erkennen. Dieser Schrei, der ihm durch Mark und Bein ging, hörte nicht auf. Stolpernd und tastend arbeitete er sich bis zum Bett vor. Dabei trat er auf irgendetwas und rutschte aus. Glas klirrte und Draco stürzte auf die weiche Matratze. Obwohl... er stürzte nicht auf die Matratze sondern auf einen weichen, sich windenden Körper.
Astoria!
Sie schrie immer noch und zappelte unter ihm wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Er wollte, dass sie aufhörte!   
Aufhörte zu schreien!
Sie klang, als würde man ihr bei lebendigen Leibe das Herz herausreißen. Tastend erreichte er ihr Gesicht und umfasste es fest. „Wach auf!" bellte er über ihren Schrei hinweg und begann sie zu schütteln. Sie roch nach Alkohol. 
Er konnte genau sagen, wann sie erwachte. Dieser grausame Schrei erstarb und er konnte ihren Blick auf seinem Gesicht spüren, wie tastende Finger. Er erwartete, dass sie ihn sofort von sich stoßen und fauchen würde, wie eine wild gewordene Katze. Doch stattdessen erstarrte ihr Körper unter ihm zu Eis, sie regte sich nicht. Er konnte nur ihren Blick spüren, der ihn in der Dunkelheit zu suchen schien. Draco musste noch ein paar Mal blinzeln, bis sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten. Nach und nach konnte er die Konturen ihres Gesichts ausmachen. Ihren Körper spürte er unter sich ziemlich deutlich.
Er ließ ihr Gesicht los, als hätte er sich verbrannt. „Es war nur ein Traum!" fuhr er sie barsch an und richtete sich auf. Sie reagierte immer noch nicht. Er wusste nur, dass sie ihm nach sah, ihm mit Blicken folgte und keine Sekunde aus den Augen ließ. Er riss die Tür zum Bad auf und knallte sie hinter sich wieder zu.
Er war wütend! So unfassbar wütend! Und er wusste nicht auf was oder wen.

Astoria zog langsam die Knie an, ohne die Badezimmertür aus den Augen zu lassen. Wie in Zeitlupe ließ sie die Stirn auf ihre angezogenen Knie sinken und atmete tief ein und aus. Das Gefühl zu zerreißen, überkam sie so plötzlich, dass ihr kurz die Luft weg blieb. Sie wollte schreien, weinen, toben, mit Sachen um sich werfen, ihrer Trauer und ihrem Schmerz Ausdruck verleihen, doch nichts passierte.
Astoria saß einfach nur da, von ihren Kissen umgeben und starrte vor sich hin. Nicht einmal ein Finger zuckte, während sie innerlich schrie und weinte. Ihr zersplitterte Herz kratzte an dem Gefängnis aus Rippen, das es fest hielt und nicht frei ließ.
Es tat weh!
So furchtbar weh!

Times Malfoy & der Granger-ZwillingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt