1. Kapitel

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„Du muss mithelfen, Ida! Alleine schafft es dein Kind nicht auf die Welt zu kommen!"

Naya hatte keine Ahnung, was sie hier überhaupt tat. Bei den Göttern, sie war auch nur zufällig hier. Sie wollte um eine Schale Milch betteln und hatte Schreie aus dem schäbigen Langhaus gehört.

Es war schon eine Weile her, dass sie hier in der Gegend gewesen war. Sie war eine einfache Geschichtenerzählerin und kein Sklade, der überall willkommen war. Sie konnte froh sein, wenn sie nicht davongejagt wurde. Nie würde sie an das Talent ihres Vaters herankommen, der überall willkommen gewesen war. Er pflegte immer zu sagen, dass überall ein Zuhause sein konnte, wenn man nur willkommen war.

Aber sie hatte kein Zuhause und musste schauen, wo sie blieb.

Den Hof von Göran war ihr noch in guter Erinnerung. Hier war sie mit ihrem Vater oft zu Gast gewesen. Ihr Vater Alvar war ein Skalde gewesen und hatte sie nach dem Tod ihrer Mutter mit auf seine Reisen genommen. Doch er war auch vor einem Jahr gestorben und so musste sie sich eben alleine durchschlagen. Görans Hof hatte sie allerdings anders in Erinnerung gehabt. Nicht so schäbig und heruntergekommen.

„Ich kann nicht mehr! Ich will auch nicht mehr. Ich werde dieses Balg den Fluten überlassen!"

Ida stöhnte, als die nächste Wehe kam, aber sie presste nicht. Es war seltsam, denn sie blutete stark und Ida wurde immer schwächer. Sie war unnatürlich blass und ihr Atem hörte sich sehr seltsam an. Naya war bei einigen Geburten dabei gewesen, doch das war nicht normal.

Nach und nach hatte Naya auch erfahren, was hier geschehen war.

Göran und seine Söhne waren bei einer Schlacht umgekommen. Ida war auf einmal alleine gewesen, denn das Gesinde war auf und davon. Ida wollte zu ihrem Jarl gehen und dort als Magd unterkommen, doch bevor sie reisen konnte, wurde der Hof überfallen. Man hatte sie vergewaltigt und sie ihrem Schicksal überlassen. Ein paar Tage später kamen die Halunken zurück und hausten nun hier auf dem Hof. Sie hatten Ida bei sich behalten, doch seid ihr Leib immer dicker wurde, waren die Männer wieder abgehauen, kamen aber immer wieder, als ob das ihr Heim wäre. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder kommen würden.

Naya seufzte.

Sie konnte Ida verstehen, aber es half nichts. Sie musste jetzt da durch.

Ida schrie auf, als die nächste Wehe kam.

„Versuche zu pressen, Ida! Dann hast du es bald geschafft."

Naya sprach sich mehr Mut zu, als der Frau, die vor ihr im Dreck lag. Es stank bestialisch. Nicht gerade der beste Ort, um auf die Welt zu kommen.

Auf einmal wurde Ida ruhig. Zu ruhig.

„Ida?"

Naya sah auf.

Ida lag auf dem Rücken und rührte sich nicht. Ihre Augen starrten ins Leere. Auch die Wehen hatten aufgehört, nur das Blut floss noch.

Naya wusste, was das zu bedeuten hatte.

„Oh nein! Nicht jetzt.", flüsterte sie entsetzt.

Sie fühlte nach Idas Puls, doch der war nicht mehr zu spüren. Aber das Kind bewegte sich noch, als ob es Naya zeigen wollte, dass es lebte und hier raus wollte.

Naya sah sich um. Sie musste schnell handeln.

In dem Moment ging die Tür zum Langhaus auf und zwei Männer kamen hinein.

„Schnell! Ich brauche ein Messer!"

Naya war es egal, ob es die Halunken waren, die Ida geschwängert hatten. Es musste schnell gehen, damit das Kind überleben konnte.

Thorges Neuanfang -Gunnarsson-Saga Teil 4-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt