9. Kapitel

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Stijn konnte nicht schlafen.

Sie waren alle zusammen bei Thorvald, um seine beiden ältesten Kinder zu verabschieden. Thorvald hatte es sich nicht nehmen lassen, am Abend noch ein rauschendes Fest zu veranstalten.

Früher hätte sich Stijn betrunken und wäre von Liv am anderen Tag ausgeschimpft worden, weil er die ganze Nacht geschnarcht hatte.

Doch heute hatte er das Met gemieden. Statt dessen war er früh in die kleine Hütte gegangen und hatte sich auf das Lager gelegt. Als Liv kam, hatte er sich schlafend gestellt. Er wollte nicht reden. Er wollte mit seinen Gedanken alleine sein.

Erinnerungen kamen in ihm hoch.

„Hoch in die Luft, Da! Noch höher!"

Jule schrie ihm ins Ohr, doch das machte ihm nichts aus. Er warf Jule noch einmal hoch in die Luft, bis sie kreischte.

Thorge stand neben ihn und rang mit seinen Händen, weil er auch von ihm in die Luft geworfen werden wollte. Aber er hätte ihn nie aufgefordert, seine Schwester endlich runter zu lassen, damit er endlich dran kam. So war Thorge nicht. Er war ein ruhiger, lieber Junge, der es allen Recht machen wollte.

Noch einmal warf er Jule in die Luft.

„Jetzt ist dein Bruder dran!", meinte er danach bestimmt.

Jule schmollte, ließ aber Thorge zu ihm.

Bevor er Thorge werfen konnte, legte er seine kleinen Ärmchen um seinen Nacken und flüsterte ihm ins Ohr. 

„Nur dreimal, Papa! Sonst schimpft Jule und ich will nicht, dass sie böse ist!"

Stijn sah seinen Sohn verblüfft an. Dann küsste er ihn auf die Wange.

„In Ordnung, Sohn. Aber dafür gehen wir morgen früh reiten. Nur du und ich, ganz alleine."

Thorge schmiegte sich an seinen Hals.

„Das wäre toll, Papa!"

Stijn war immer stolz auf seine Trolle gewesen.

Jule hatte von Anfang an sein Herz mit ihrer forschen Art erobert. Thorge war hingegen immer der Ruhige gewesen. Doch Stijn hatte zu seinem Ältesten immer eine besondere Beziehung gehabt. Thorge war der Ausgleich, den Stijn brauchte. Natürlich hatte er auch mit Thorge getobt, doch die beiden hatten auch stundenlang im Wald vor einem Baum gelegen und Stijn hatte seinem Sohn Geschichten von Göttern, Helden und Ungeheuern erzählt. Meist war Thorge in seinen Armen eingeschlafen und er hatte ihn nach Hause getragen.

Wenn Stijn auf Raubzüge gegangen war, hatte Jule natürlich immer mit ihm mit ihm gewollt. Auch sie wollte kämpfen. Thorge hingegen hatte sich an seine Beine geklammert.

„Lass mich nicht alleine!", hatte er immer geschluchzt.

Die Worte hatten Stijn meist das Herz gebrochen.

Doch heute Abend hatte er gesehen, wie sein Sohn zu einem Mann herangewachsen war. Natürlich war Thorge schon lange erwachsen, aber erst jetzt viel Stijn auf, wie sehr. Die Geschichtenerzählerin war neben Thorge gesessen und Stijn hatte die Blicke gesehen, die sich die beiden zugeworfen hatten. Er hatte gesehen, wie er den kleinen Kjell in seinen Armen gehalten hatte und genauso liebevoll mit ihm umgegangen war, wie er damals mit ihm.

Stijn lächelte.

Thorge war, genau wie er selbst, unerwartet zu einem Vater geworden, auch wenn ihm das noch nicht klar war.

Doch er würde den Kleinen und seine Mutter verlassen.

Stijn seufzte.

Er hatte den Bernstein am Hals von Naya gesehen.

Thorges Neuanfang -Gunnarsson-Saga Teil 4-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt