„Verflixtes Ding."
Naya hatte gerade den Wäschekorb anheben wollen, als ihr eine Tunika wieder in den Fluss fiel. Die anderen hatten angehalten, doch Naya schickte sie weg.
„Ich hole es schon! Geht schon voraus!", rief sie ihnen zu und watete im seichten Uferwasser der Tunika hinterher. Immer, wenn sie nach dem Kleidungsstück greifen wollte, schwamm es davon.
Sie fluchte leise und watete weiter.
Auf einmal sah sie, wie ein Mann aus dem Wald kam und die Tunika packte und sie auswrang. Erst lächelte Naya, doch dann erkannte sie Jülf und ihr Lächeln verschwand.
Ausgerechnet Jülf!
Er drehte sich um und kam auf sie zu. Er reichte ihr die Tunika und ging schnell einen Schritt zurück, als er ihren Blick bemerkte. Dass er dabei bis zu den Knien im Wasser stand, schien ihn nicht zu stören.
Er verneigte sich leicht vor ihr und berührte mit seiner Hand die Brust. Aber es sah anders aus, als die Begrüßung, die sie von einem Nordmann gewohnt war. Sie musste zugeben, dass es bei ihm eleganter aussah. Er hob den Blick und auf einmal war es Naya, als ob all das Verschlagene von ihm verschwunden war. Er wirkte nun eher verzweifelt.
„Ich wollte dich nicht erschrecken!". bemerkte er leise.
Sie schüttelte den Kopf.
„Das hast du zwar, aber ich danke dir, dass du die Tunika für mich gefangen hast."
Er nickte.
„Wenn man einen Neuanfang wagt, muss man auf alles achten, was man hat. Und wenn es nur eine Tunika ist. Mir ging es damals genauso."
Sie hob eine Augenbraue.
„Dir ging es ebenso?"
Er seufzte leise und schaute zu seinen Füßen.
„Ich weiß, dass ihr mir nicht traut. Weder du noch dein Mann. Das liegt wohl daran, dass Ingulfs Männer nicht alles von mir wissen. Dennoch habe ich eine Bitte an dich und ich wage es, dich anzusprechen, obwohl dein Mann mir bestimmt sämtliche Knochen deswegen brechen wird."
Er hob beide Hände, als sie noch einen Schritt zurückwich.
„Es ist nichts Verwerfliches. Ich bitte dich nur, mir zu folgen. Ich möchte dir etwas zeigen. Nicht mehr!"
Naya war immer noch unsicher, aber er wirkte ehrlich. Er sprach mit ihr, als ob sie ein verängstigtes Tier wäre. Seine Stimme war beruhigend, als ob er so etwas öfters tun müsste.
Einen Moment rang sie mit sich. Er hatte ihr nichts getan. Das musste sie zugeben. Natürlich hatte er ihr Blicke zugeworfen, aber die anderen Männer hatten das auch getan.
Sie holte tief Luft. Sie sollte nicht so ungerecht sein. Vorsichtshalber befühlte sie das Messer, dass sie immer an ihrer Seite trug. Damit konnte sie niemand töten, aber sie könnte Jülf aufhalten und schreien, wenn es doch verwerflich war, was er ihr zeigen wollte.
„Was willst du mir zeigen?"
Er lächelte und watete aus dem Wasser.
„Komm mit!"
Er schnappte sich ihren Korb und ging in Richtung des Gutes. Naya kam ihm kaum hinterher, doch sie hörte ihm zu. Und er sprach die ganze Zeit, als ob er erleichtert war, dass ihm endlich jemand zuhörte.
„Ich weiß, es ist ungewöhnlich. Aber ich mache mir mittlerweile Sorgen. Dein Mann erscheint mir im Moment wie ein Geschenk der Götter. Ich weiß, dass auch er mir nicht traut. Ich weiß, dass ich ihm nie einen Grund gegeben habe. Wenn es nur um mich ginge, wäre es mir wahrscheinlich egal und ich muss zugeben, dass ich am Anfang sehr wütend auf euch war..."
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Thorges Neuanfang -Gunnarsson-Saga Teil 4-
Ficción históricaThorge Stijnsson ist der geborene Anführer. Jeder Mann vertraut ihm. Dennoch weiß er, dass er nur als Krieger enden wird, wenn er bei seiner Familie bleibt. Doch er hat einen Plan. Er will in einem neuen Land einen Neuanfang wagen. Als er die Gesch...