11.12 Dienstag

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Mareikes Sicht

Ich war kaum eine Stunde auf der Arbeit, da rief auch schon meine Mutter an. Ausnahmsweise war ich aber mal froh darüber, denn so musste ich unser Schlafzimmer nicht saugen. "Reiner, ich muss da schnell rangehen!", rief ich meinem Vorgesetzten zu und nahm den Anruf entgegen. 

"Hi Mama." "Hallo Mareike. Entschuldigung, dass ich dich bei der Arbeit störe, aber ich wollte nur schnell fragen, ob du den Versicherungsbrief schon abgeschickt hast. Du weißt, dass das wichtig ist." Vor Schreck ließ ich beinahe mein Handy fallen. Ich wurde aschfahl im Gesicht. Der Brief. "Ähm, ja klar hab ich den schon abgeschickt. Schon gestern." Mama hörte wohl die Panik in meiner Stimme, denn sie wurde misstrauisch. "Wirklich?" Wo habe ich den hingelegt? Vorgestern hatte ich ihn bei meinen Eltern geholt, weil ich neben meiner Wohnung direkt einen Briefkasten hatte. Aber dann war ich ja zur Arbeit gegangen und danach gleich zu Roman. Den Brief hatte ich in meine Jackentasche gestopft. Meine Jacke!

"Jaha Mama. Alles gut!", versuchte ich sie zu überzeugen, während ich zur Umkleide hetzte. Mein Handy zwischen Kopf und Schulter geklemmt, suchte ich meine Taschen ab, doch dort war keine Spur von dem wichtigen Dokument. "Ah ja, okay. Dann will ich dich auch eigentlich gar nicht weiter stören. Hast du mit Rebecca schon gesprochen. Ich hab sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen." Gestresst verdrehte ich die Augen. "Ja hab ich. Sie ist gestern hier aufgetaucht. Du Mama, ich bin ziemlich im Stress. Du weißt ja, Spendenaktion, Wache auf Vordermann halten und so. Ich muss jetzt leider auflegen!" "Kein Problem. Solltest du deine Schwester nochmal sehen, dann sag ihr doch bitte, dass sie sich mal wieder blicken lassen soll. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie sie ausschaut." Wir verabschiedeten uns und legten dann auf. Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. Vielleicht war er ja im Auto herausgefallen. 

"Bin schnell am Auto!" Ramona sah mir verwundert hinterher, doch dafür hatte ich jetzt keine Zeit. Im Auto sah ich auf den Sitzen und auf dem Boden nach, doch nirgends auch nur ein Fitzelchen Papier. "Scheiße, scheiße, scheiße!", fluchte ich laut und öffnete das Handschuhfach. Pflaster, ein Spielzeugfeuerwehrauto und sonst nur Schrott. Aber kein Versicherungsbrief. "Wo hab ich ihn hingelegt?" Langsam glaubte ich schon, dass Wichtel ihn geklaut hatten. "Ich war doch sonst nirgends, außer bei..." In mir ging ein Licht auf. "Roman!" Der Brief musste bei ihm herausgefallen sein! 

So schnell hatte ich noch nie mein Handy herausgeholt und die Nummer des Torwarts herausgesucht. Ungeduldig tippte ich mit dem Fuß auf dem Boden, während es tutete. "Geh hin, jetzt geh schon hin!" "Mareike?" Seine Stimme war atemlos, als wäre er gerade vom Training gekommen. Außerdem hallte laute Pop-Musik durchs Telefon. Roman, völlig verschwitzt, geht während er sich auszieht ans Handy. Schnell schüttelte ich den Kopf, um die unerwünschten Bilder zu verscheuchen.  "Hi Roman. Du musst mir unbedingt helfen! Es ist ein Notfall! Ich muss für meine Eltern einen Brief abgeben. Naja, eigentlich hätte ich den schon lange abgeben müssen, aber ich kam nicht dazu, weil ich bei dir übernachtet hab. Den Brief hatte ich in meiner Jackentasche und als ich heute nachgeschaut habe, war er da nicht drin und auch im Auto war er nicht. Jetzt glaube ich, dass er bei dir im Apartment liegt!", ratterte ich in rekordschnelle hinunter. Ich hörte erstmal nur ein "Ähm", bevor er irgendwo hinging, wo keine laute Musik dröhnte. "Jetzt bitte noch mal langsam und zum Mitschreiben. Was ist passiert?" "Mein Brief, den ich unbedingt in den Briefkasten werfen muss, liegt zu neunundneunzig Prozent bei dir daheim auf dem Boden", wiederholte ich ganz langsam, damit er auch sicher jedes Wort verstand. "Das ist blöd!" Ach, was du nicht sagst! "Kannst du nicht irgendjemanden anrufen, der mir öffnen könnte, damit ich den Brief holen kann?" Meine Stimme war vor Verzweiflung mehrere Oktaven nach oben gewandert. Würde so jemand bei mir anrufen, würde ich ihn wahrscheinlich in die nächste Klapse verweisen. "Naja, also der Hausmeister hat einen Schlüssel. Wenn ich ihn anrufe, könnte er dir aufmachen!" Ein Stein, nein eine ganze Lawine fiel mir vom Herzen. "Roman, du bist ein Held! Danke!" Erleichtert sank ich auf den Beifahrersitz und kniff mir in die Nasenwurzel. Der Schweizer schmunzelte. "Ich weiß, das sagt man mir öfters. Dann rufe ich ihn an und sag, dass du vorbeikommst, um deinen lebensnotwendigen Brief zu holen. "Wenn du ihm das so sagst, dann bringe ich dich um und vergrab dich im Wald!" "Und schon bin ich kein Held mehr. Du solltest jetzt eigentlich sehr nett zu mir sein. Schließlich bewahre ich dich vor der wahrscheinlich größten Standpauke, die du je von deiner Mutter bekommen hast." 

Schutzengel tragen FeuerwehrstiefelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt