Deine engelsgleiche Stimme, die bricht

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Einer aus meinem damaligen aktuellen Gefühl enstandener Text ist "Deine egenlsgleiche Stimme, die bricht". Ich will gar nicht so viel vorweg nehmen, ich sage nur, dass das lyrische Ich tatsächlich meiner Person entspricht.

Als ich deine Stimme höre, beruhige ich mich augenblicklich. Die sanften Worte, die du sprichst, nehme ich gar nicht wahr. Ich hörte nur den Klang deiner warmen Stimme.

Ich wusste nie genau, was mich daran so schnell wieder auf den Boden kriegen konnte. Klar, ich liebte deine Stimme, sie war so warm und rein, dass es schon an Magie grenzte. Wenn du sprachst oder wenn du sangst, zogst du mich in einen Bann, in den Bann deiner Stimme. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass du eine Nixe wärst und ich ein alter Seemann, der auf seinem Boot von dir gegen einen Felsen getrieben wird. Die Vorstellung war zwar brachial und surreal, doch beschrieb es in meinen Augen genau das. Wenn du deinen Stimme erhobst, dann gab es für mich kein Halten mehr. Dann war ich dir komplett verfallen.

"Was genau ist los?",fragst du mich, und ich höre jedes einzelne Wort genau. Ich weiß, dass du jetzt eine Antwort erwartest, dass ich mich entweder komplett öffne oder einfach fliehe, wie so oft.

Aber ich stehe einfach nur da und starrte in die Ferne. Was los mit mir ist? Ich weiß es nicht. Ob ich drüber sprechen will? Ich weiß es nicht. Alles ist noch so unwirklich und surreal, gleichzeitig steht aber die hässliche Realität vor meiner Nase.
"Alles ist gut",antworte ich also und schaffe es doch nicht in dein Gesicht zu blicken.
Ich weiß, wie du mich ansiehst. Ich weiß, dass du das für eine Lüge hältst. Und ich weiß auch, dass du nun die Wahrheit erwartest. Ich warte auf deine mahnenden Worte, dass ich doch die Wahrheit sagen solle, weil sonst niemandem geholfen ist. Ich warte auf die leise Melodie deiner hellen Stimme, die mir so die Sorgen nehmen soll. Ich warte auf deine warme Hand, die mir so sachte an die Schulter fasst, als wäre ich aus dünnem Eis.

Doch keine Reaktion folgt. Verwundert darüber schaue ich auf. Unsere Blicke treffen sich und wir starren uns einfach nur an. In deinen Auge liegt die Sorge, die fast das ganze Licht verglimmen lässt. Ich bemerke zum aller ersten Mal die Schatten, die sich nur ganz leicht unter deinen Augen abzeichnet und auf deiner blassen Haut noch dunkler wirken.
"Mach das nicht",sprichst du leise und berührst meine Wange. Ich merke, wie kalt deine Hand ist,"Niemandem ist mit Schweigen je geholfen worden."
Ich höre deine Stimme und merke, dass sie anders ist als sonst. Die warme Melodie, die mich sonst so schnell wieder auf den Boden zog, war plötzlich zittrig und unruhig.
Du wendest plötzlich dein Gesicht ab, starrst nach links. Du schüttelst den Kopf und ich höre, wie unregelmäßig du atmest. Ohne zu zögern nehme ich dich in den Arm, streiche dir sanft über den Rücken. Dein zitternder Körper erwidert die Umarmung nur langsam und ich merke deine Hände auf meinem Rücken. Trotzdem sagst du nichts, taust nicht auf, sondern schmiegst dein Gesicht und gegen mich.
"Was ist los?",frage ich, wiederhole deine Frage und sehe dich an. Du erwiderst überraschend mein Blick und sagst:"Alles ist gut."

Ich muss lächeln,als du meine Antwort wiederholst. Es ist fast so als hätten wir uns abgesprochen, als wäre das alles hier gestellt.
"Dann haben wir wohl beide gelogen",stelle ich fest und sehe dich an. Deine Lippen ziert eine schwaches Lächeln, doch erreichte es deine Augen nicht.
"Schweigen bringt nichts, oder?",fragst du und ich nicke zaghaft, ohne wirklich zu wissen, was du mir damit sagen willst. Reden wollen wir beide nicht; keiner von uns redet gerne von seinem Leid, das wissen du und ich mehr als gut. Trotzdem sind wir beide leider auch Sturköpfe - einer schlimmer als der andere - also werden wir beide nicht aufgeben, um dem anderen zu helfen. Auch wenn die Maske des Schweigens uns beiden irgendwie im Weg steht.

Ich sehe mich kurz um, bemerke eine Bank nicht weit weg von uns und versuche uns beide dort hinzubringen. Ich weiß ganz genau, dass du mir sonst zusammenbrichst. Ich kenn dich zu gut, als dass ich dich einfach so stehen lassen kann.
Wir beide kommen schnell an der Bank an und setzten uns nebeneinander. Doch irgendwie sind wir beide nicht in der Stimmung zu reden und sitzen nur da. starren in die Ferne. Von außen müssen wir ziemlich seltsam aussehen, denke ich und schaube einmal. Ich fühle mich wie ein Kind, welches irgendwas angestellt hatte und nun nichts dazu sagt.
"Wir sollten schon was sagen",sprichst du abwesend, wohl mehr zu dir selbst als zu mir.
"Soll ich anfangen?",frage ich und du zuckst leicht.
"Ja",antwortest du und drehst dich zu mir, damit du mir in die Augen sehen kannst.
Mutig erwidere ich deinen Blick und sage:"Bevor du mich gefunden hast, hier draußen bei den Bäumen, hab ich telefoniert. Es war Melissa am Telefon. Sie hatte mich angerufen, wollte mich zurück. Sie hat gesagt, dass das damals alles nicht so gemeint war und dass sie gerne einen neuen Start haben möchte. Sie hätte ihre Entscheidung damals nicht durchdacht und reue dies nun sehr.",ich nahm einen zittrigen Atemzug,"Aber du weißt, wie das damals ablief, wie am Boden ich war und dass quasi mein ganzes Leben vor mir in Scherben dalag. Du weißt wie schwer es damals für mich war, aus diesem Loch wieder aufzustehen."
"Du hast lange gekämpft, daran erinnere ich mich",sagst du leise.
"Am Telefon wollte ich also genau das sagen. Ich wollte ihr klar machen, dass all die Zeit vorbei ist und ich über sie hinweg sei. Sie hatte damals mein ganzes Herz plus Gefühl aus meiner Brust gerissen: das konnte sie nie wieder einsetzten."
"Und dann?"
"Als ich ihr das sagte, ist sie ausgerastet. Von der Reue und dem Schuldgefühl, welches ich vorher ganz genau hören konnte, war nichts mehr übrig. Aus meiner Blume wurde eine Bestie, wie schon öfter, vor langer Zeit. Ich kannte das Verhalten, wusste eigentlich, wie ich damit umzugehen habe. Aber sie hörte gar nicht mehr auf zu schreien und machte immer mehr Vorwürfe.",ich wende meinen Blick ab, überlege genau, was ich nun sage,"So verlor ich jede Selbstkontrolle und gab ihr alles doppelt und dreifach zurück. Ich weiß nicht mehr warum, vielleicht war es Frust oder Wut, die sich so lange gestaut hatte. Auf jeden Fall teilte ich alles aus, was ich irgendwie finden konnte und schmiss es ihr an den Kopf. Sie fing an zu weinen, doch stoppte ich nicht. Ich redete mich so in Rage, dass ich alles um mich vergaß. Bis sie auflegte und ich nur das Freizeichen hörte. Aber erst dann ging es richtig los und ich ließ all meine Wut nach außen. Bis du mich gefunden hast."
Nachdem ich das letzte Wort spreche, sehe ich dich an. Du siehst zurück und legst deine Hand auf meine Schulter.
"Ich kann nichts mehr richten",flüsterst du und streichelst vorsichtig über meine Schulter,"ich kann dir nur sagen, dass du sie am besten nie wieder sprichst. Nicht am Telefon oder sonst wo. Man kann Menschen nur vergessen, wenn man sie nie wieder sieht oder hört."
"Also bist du mir nicht böse?",frage ich und sehe dich an.
"Wie könnte ich?",antwortest du und nimmst meine Hände in deine,"ich weiß, dass du nicht den Wunsch hast, mit ihr zu sprechen und sie deshalb niemals angerufen hättest. Lass sie am besten komplett hinter dir und wechsle die Nummer. Dann kann sie dich auch nie wieder anrufen."
Ich lächel als du die Worte sprichst. Obwohl du mir einen so simplen Rat gegeben hast, danke ich dir.
"Okay",antworte ich und werde wieder ernster,"jetzt du."

Du schaust weg, betrachtest deine Schuhe. Ich merke, wie du gerade mit dir selber kämpfst. Normalerweise bist du auch nicht in so einer Situation.
"Ich... ich fühle mich wie ein Müllschlucker",sagst du nach einer kurzen Zeit der Ruhe und siehst mich an. Auf meinen fragenden Blick antwortest du:"Immer wenn irgendjemand Problem hat, etwas besprechen will oder sonst was. Immer kommen alle zu mir und laden ihren Mist bei mir ab, in der Hoffnung, dass ich all das nehmen und nur ein gutes Wort zurücklasse, was sie einstecken und mitnehmen. Aber wenn ich in so einer Situation bin, wo ich mit jemandem reden muss, dann ist kaum einer da. Dann sind die, die mich zum reden brauchen, "beschäftigt" oder "haben keine Zeit"",du wischst dir mit einer freien Hand übers Gesicht,"Ich bin wie ein Müllschlucker, der all die Scheiße in sich aufnehmen muss, aber auch eines Tages bin ich voll und keiner ist da, um mir zu helfen."

Ohne zu zögern nehmen ich dich in den Arm. Du krallst dich an mir fest, wie ein Ertrinkender an an eine Planke.

Ich kann nicht verstehen, wie du dich fühlst. Niemand kann verstehen wie du dich fühlst. Deinen Weg ist niemandem gegangen, in deinen Schuhen hat niemand gesteckt, deine Spuren hat niemanden geschaffen, keiner hat in dem Regen gestanden wie du und keiner hat die Trümmerteile wegräumen müssen, die in deinem Weg lagen. Es muss sich scheiße anfühlen, soviel kann ich vermuten. Trotzdem fühlst du dich anders als ich, obwohl wir beide an unserem eigenen Abgrund stehen. Die Höhe ist egal, der Fall ist nur zweitrangig. Es geht vielmehr darum, dass der Abgrund da ist, also dass wir beide drohen zu fallen.
Und aufzugeben.
Du hast mal gesagt, dass aufgeben der letzte Weg ist. Aufgeben ist nur dann erlaubt, wenn man alles erdenkliche getan hat, damit es funktioniert. Dann ist aufgeben legitim. Vorher ist es das Werkzeug der Schwachen, sich nicht trauen, 12 oder 13 Schritte weiterzugehen. Denn 13 Schritte können schon so viel machen, hast du gesagt.
Ich wunderte mich damals, warum ausgerechnet 13. 100, 200, 300.... Das ist hätte für mich Sinn gemacht. Auch ein oder zwei Schritte hätte ich verstanden. Aber 13? Warum 13?
Doch auf meine Frage hast du nur charmant gelacht und das Thema gewechselt.

Ich fange an, dir über den Rücken zu streichen und merke deinen zitternden Körper in meinen Armen. Du scheinst dich nicht mehr zu beruhigen und steigerst dich immer weiter in die Trauer. Es muss lange her sein, dass du geweint hast. Und es muss lange her sein, dass du dich hast umarmen lassen. Seit ich dich kenne, hast du dich nie umarmen lassen. Du hast eher die Initiative ergriffen und warst diejenige, die alle in den Arm genommen hat. Aber andersherum war das selten so.
"Bitte gehe nicht",höre ich dich flüstern, mit heiserer Stimme. Die Verzweiflung ist klar und deutlich zu hören, obwohl du sie offensichtlich verstecken wolltest.
"Ich gehe nie wieder, versprochen",sagte ich und streiche dir über dein Haar,"ich werde nur gehen, wenn ich sterben sollte."

"Oder ich."
Nach deinem Kommentar stoppe ich in der Bewegung und meine Hand ruht auf deinen Kopf. Den Wink mit dem Zaunpfahl - nein, den Wurf mit dem gesamten Zaun - hab ich verstanden, klar und deutlich.
Jetzt bin ich es, der sich an dich krallt.
"Ich will dich nicht verlieren",presse ich hervor und sehe zu dir herunter. Du starrst gerade aus und ich sehe nur deine dunklen Haare.
"Du wirst mich nicht verlieren",sagst du, aber siehst mich nicht an,"Wenn du einfach bleibst."
Also höre ich auf dich, bleibe mit dir hier sitzen und streiche über deine Haare. Es ist still um uns, nur ab zu hört man den Wind, wie er durch das zarte Laub der Bäume weht und einzelne Vögel, die schon ihre schönen Lieder singen.
Ich will diesen Moment niemals aufgeben müssen, obwohl es dir nicht gut geht. Ich will einfach für immer auf dieser Bank sitzen und dir über dein Haar streichen. Es erfüllt mich, weil ich so weiß, dass es dir doch irgendwie besser geht. Obwohl du mir das nicht sagst, weiß ich das. Dein Körper entspannt sich nämlich und du atmest wieder normal. Dein Klammergriff bleibt, doch das stört mich nicht.
So weiß ich nämlich, dass du nicht vorhast zu gehen.

Adevntskalender 2018: Auf den Spuren der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt