Ich zog die Ärmel der Strickjacke, welche ich trug, weiter über meine Hände herüber, mein Blick richtete sich in Richtung Boden, ich ließ mich mit dem Strom an Menschen durch die Schule treiben. Vermutlich waren es nicht mal so wirklich viele Leute, die hier lang liefen, aber für mich zählten schon sieben oder acht Menschen als Menschenmassen, welchen ich so gut es eben möglich war aus dem Weg ging. Ich war einfach lieber für mich oder bei ein paar guten Freunden.
Die Leute liefen in Richtung Cafeteria, die meisten wohl um etwas Essbares zwischen die Zähne zu bekommen, andere vielleicht um ihre Freunde zu sehen. Ich hingegen hielt das Essen, dass uns in der Cafeteria vorgesetzt wurde nicht für essbar und an diesem Ort würde ich auch definitiv keine meiner Freunde finden. Also löste ich mich von der Menge, bog nach links ab und bewegte mich durch einen langen, leeren Gang. So war es doch gleich schon viel schöner.
Der Großteil des Schultages war rum, aber jetzt hatte ich eine ganze Stunde zu überbrücken und danach hatte ich dann noch zwei höllische Stunden Mathematik vor mir. Letzteres war keine schöne Aussicht, aber ersteres könnte sich als ganz schön entpuppen. Vorausgesetzt ich fand meine Freunde, die waren echt immer verdammt gut darin sich vor mir zu verstecken, wenn wir vor den Pausen gerade keinen Kurs zusammen hatten. Ohne konkretes Ziel durchquerte ich nun also den Gang und bog dann in den nächsten ab, welcher eben so leer und still war wie der letzte. Ich ging weiter, bog erneut ab und dieses Mal war es keine Stille, die mich empfing sondern das herzliche Lachen meiner besten Freundin. Ich würde ihr Lachen unter tausenden erkennen. Unwillkürlich legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Dort ganz am Ende des Ganges in dem ich mich nun befand saß eine kleine Gruppe Mädchen auf dem Fußboden vor den Schließfächern. Drei oder vier Leute wenn ich das richtig erkannte, perfekt.
Schnellen Schrittes ging ich nun also auf die Gruppe zu, achtete im Näherkommen nicht mehr so genau auf die Menschen, war einfach nur noch darauf fokussiert bei ihnen anzukommen. Um so mehr setzte mein Herz einen Schlag aus, als ich dann in nicht mehr als einem Meter Entfernung stehen blieb. Ihre kaffeebraunen Augen hatten meinen Blick gefangen, aber nicht auf eine so romantisch Art wie in meinem Traum in der letzten Nacht, welcher sich nun wieder an die Front meiner Gedanken drängte. Es war seltsam wie real sich das ganze angefühlt hatte, obwohl es doch so ziemlich das komplette Gegenteil der Realität war. Das hier war die Realität. "Hi..." gab ich nüchtern von mir und zwang mich meinen Blick von ihr zu lösen, sah stattdessen nun meine beste Freundin an. "Hey Stella." begrüßte diese mich und klopfte neben sich auf den Boden um mir zu deuten ich sollte mich setzen. War wohl keine schlechte Idee von ihr, denn ich fühlte mich immer äußerst komisch, wenn ich stand und mit Leuten sprach die saßen, dass sie in diesem Fall auch noch den Boden als Sitzplatz erwählt hatten machte es nicht gerade besser. Ich war halt eine eher kleine Person, daher war es ungewohnt und komisch größer zu sein als andere, beziehungsweise eine höhere Position zu haben. Ich setzte mich also neben Lucy auf den Boden. "Wir hatten gerade von dir geredet Estelle." Indem sie mich ansprach richtete das lilahaarige Mädchen nun wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich konnte nicht widerstehen mich etwas vorzubeugen und erneut den Blick ihrer wunderschönen Augen aufzufangen. Natürlich hatte sie meinen vollen Namen verwendet und nicht meinen Spitznamen. Logisch irgendwie, schließlich waren wir nicht direkt befreundet, was wohl nicht zuletzt daran lag, dass ich in ihrer Gegenwart immer automatisch schüchterner und ruhiger wurde als ich es eigentlich war. Trotzdem hatten wir irgendwie viele gemeinsame Freunde, weswegen wir gefühlt ständig aufeinander trafen. "Von mir?" Fragte ich bloß leise als Reaktion auf ihre Worte. Mir ging der Traum von letzter Nacht einfach nicht aus dem Kopf und das machte es mir noch schwerer, in ihrer Gegenwart, eine vernünftige Aussage zustande zu bringen.
"Ja von dir" antwortete nun Mei, die dritte der Gruppe zu der ich so eben gestoßen war. Ich löste mich von den kaffeebraunen Augen, die ich bis dahin angesehen hatte und schaute zu Mei rüber. Ein fragender Blick sollte ausreichen. Mei war eine gute Freundin von mir, sie kannte mich und wusste, dass ich schnell zwischen extrovertiert und introvertiert hin und her wechseln konnte. Manchmal redete ich ohne Punkt und Komma und manchmal war mir einfach nicht danach auch nur ein einziges Wort von mir zu geben. Wie ich mir erhofft hatte wartete Mei nicht, bis ich etwas sagte, sondern redete selbst weiter. "Ich feiere nächste Woche Samstag spontan meinen Geburtstag nach. Mein Eltern sind leider gegen große Party, also entspannter Mädelsabend bei mir. Ich hoffe doch du kommst." Auf Meis Gesicht bildete sich ein Lächeln, man merkte ihr an, dass sie sich schon wirklich darauf freute eine Nacht lang mal all ihre Freunde auf einem Haufen zu haben. Und zwar unter ihrer Planung. Ich würde Mei niemals als egoistisch bezeichnen, sie achtete auf andere und deren Gefühle und war immer für einen da, aber gleichzeitig mochte sie es eben auch, wenn die Dinge so liefen, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Ich brauchte nicht lange darüber nachdenken, ob ich Zeit hatte, musste in keinen Kalender schauen oder sowas. Ich hatte kein Leben und ich hatte auch kein Interesse daran so tun als wäre dem nicht so. Die meisten Abende saß ich alleine Zuhause, schaute Serien, hörte Musik oder flüchtete mich in meine wundervollen Tagträume. Für mich passte das die meiste Zeit so und das wussten meine Freunde auch.
"Klar, ich komme gerne." Antwortete ich nun also und sah Mei mit einem Lächeln auf den Lippen an um ihr zu symbolisieren, dass ich mich über die Einladung freute. "Super, dann sind wir ja schon zu fünft und Jessica muss noch mal nachschauen ob sie Zeit hat." Berichtete Mei noch immer glücklich lächelnd. Ich brauchte gar nicht erst nachfragen wer genau denn kommen würde. Ich konnte es mir denken. Mei war so ein bisschen das Bindeglied zwischen meinem heimlichen Crush und ihrer besten Freundin Zoa und Lucy und mir. Mittlerweile waren eigentlich alle mit allen befreundet, nur ich schaffte es nicht so richtig ein vernünftiges Gespräch mit der lilahaarigen Schönheit anzufangen, geschweige denn eine Freundschaft. Aber naja... Jedenfalls waren wir fünf mittlerweile zu einer Clique zusammen gewachsen. Früher waren es immer nur Lucy und ich gewesen, zumindest für mich. Ich kannte Lucy schon wirklich ewig, ich konnte mich an keine Zeit ohne sie erinnern. Anders als ich hatte Lucy neben mir immer noch gefühlt tausende andere Freunde gehabt, was für mich nie ein Problem gewesen war. Alle hatten mich immer mit offenen Armen empfangen, schließlich war bekannt gewesen, dass man vor Lucy besser nie ein falsches Wort über mich verlor.
Vor etwa einem Jahr war dann Mei in die Stadt gezogen und hatte sich sofort blendend mit Lucy verstanden. Dann waren es also plötzlich nicht mehr nur Lucy und ich.
Wenig später hatten Lucy und Mei plötzlich immer und immer mehr Zeit mit Zoa verbracht. Und da ich nun mal immer bei Lucy und Mei war hatte auch ich Zoa bereits nach kurzer Zeit echt ins Herz geschlossen.
Es war aber nicht Zoa gewesen, die mein Herz wirklich erobert hatte. Nein, das war ihre beste Freundin Mercedes.
Mercedes verbrachte viel Zeit mit ihrem Freund, weshalb ich anfangs nicht viel von ihr mitbekommen hatte, aber nachdem ich sie dann auf Zoas Geburtstagsparty gesehen und erlebt hatte, war es um mich geschehen.
Mercedes war einfach etwas ganz Besonderes.
Dann war da noch Jessica. Jessica war eine Freundin von Mei, mit der wir Anderen nicht so sonderlich viel am Hut hatten. Sie war so ziemlich das genaue Gegenteil von mir. Sie war immer mit irgendwas beschäftigt. Sie spielte 6 verschiedene Instrumente, sprach 7 verschieden Sprachen, hatte einen einser Durchschnitt in der Schule und war zudem auch noch sportlich ohne Ende. Jedes Mal wenn Jessica zu uns kam umarmte sie erstmal alle herzlich, sie hatte mittlerweile gelernt, dass ich es nicht so mochte angefasst zu werden, aber sie versuchte es dennoch des öfteren. Obwohl wir so unterschiedlich waren, verstanden wir uns gut, aber Jessi war eben alles andere als zuverlässig und hatte nicht so sonderlich oft Zeit für uns, daher zählte ich sie nicht richtig zur Gruppe dazu.
Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken aber es war nicht die Stimme einer der Mädchen, die bei mir saßen. Es war eine männliche Stimme, eine männliche Stimme, die ich gut kannte. Ich hatte ihn gar nicht kommen sehen oder hören, war wohl mal wieder zu sehr verloren in der endlosen Welt meiner Gedanken gewesen. "Kommst du Katze?" fragte Lukas und es bedarf keiner weiteren Worte, damit Mercedes sich vom Boden erhob. Sie drückte ihrem Freund einen Kuss auf die Lippen, was wirklich kein schöner Anblick für mich war, aber wegschauen fiel mir auch schwer. "Wir sehen uns" meinte sie dann mit einem leichten Lächeln zu uns, ehe sie mit Lukas davon ging.
Die meisten Leute nannten Mercedes Katze, warum wusste ich nicht so genau, Lukas hatte wohl damit angefangen und weil jeder wusste, dass Mercedes ihren richtigen Namen nicht mochte und man diesen auch nicht abkürzen konnte, waren dann nach und nach immer mehr Leute dazu übergegangen sie Katze zu nennen. Ich verstand es nicht und es war für mich auch nicht groß relevant, da ich Mercedes eigentlich nie direkt ansprach. Dafür hatte ich ja nicht den Arsch in der Hose... Leider.Der Rest des Tages verlief relativ entspannt, durch Mercedes Abwesenheit war ich wieder ein wenig mehr ins extrovertierte gewechselt und hatte es auch geschafft die Bilder von dem Traum der letzten Nacht, zumindest für den Rest des Schultages, aus meinen Gedanken zu verbannen. Wir Mädels unterhielten uns zwanglos und verschwanden dann irgendwann alle schweren Herzens in unseren letzten Kurs des Tages.
Als die Schule dann endlich vorbei war, stand ich noch eine Weile im Eingangsbereich rum und wartete auf Lucy, die zehn Minuten später endlich mit einer kleinen Gruppe mir unbekannter Menschen aufkreuzte. Während sie sich weiterhin fröhlich mit diesen Leuten unterhielt harkte sie sich bei mir unter und steuerte in Richtung Ausgang. Lucy war so ziemlich die Einzige, bei der ich bei einer solchen Geste nicht zurück schreckte. Sie war eben meine beste Freundin und vielleicht sogar schon wie eine Schwester für mich. Stumm ging ich also mit Lucy und ihren Bekannten mit, lauschte dem Gespräch nur mit einem Ohr. Doch dann fiel ein Satz, der mich hellhörig machte. "Ich hab Lukas neulich mit Miriam gesehen, das sah nicht mehr freundschaftlich aus muss ich euch sagen. Was die Katze wohl dazu sagen würde." das Mädchen die den Satz gesprochen hatte kicherte. Ich fand es jedes Mal aufs Neue komisch wie irgendwelche random Menschen Mercedes die Katze nannten. So als wäre es ein Titel oder sowas. Aber naja, sollten sie doch alle machen was sie wollten. Was mich wirklich interessierte war die Information mit Lukas, welche mein Kopf nun erstmal zu verarbeiten versuchte. Einerseits keimten mal wieder Hoffnungen in mir auf, andererseits fände ich es aber auch echt mies von Lukas und Mercedes würde mir leid tun. Allerdings waren das vermutlich eh alles bloß irgendwelche Gerüchte von irgendwelchen Menschen, die gar keine Ahnung hatten. Mercedes und Lukas waren schon seit der achten Klasse zusammen, ich kannte eigentlich niemanden anderen in unserem Alter, der so lange durchgehend eine Beziehung geführt hatte. Um so unerreichbarer war Mercedes für mich. Der Gedanke verletzte mich jedes Mal aufs Neue, also versuchte ich ihn zu verdrängen, während ich gemeinsam mit Lucy auf dem Heimweg war. So ganz mochte das aber leider nicht klappen, weswegen ich die gesamte Zeit über sehr schweigsam war."Alles okay Stella?" Lucy blickte mich skeptisch an, mittlerweile waren wir alleine, alle anderen waren irgendwo anders abgebogen. Lucy wohnte schräg gegenüber von mir, weswegen wir meist zusammen zur Schule und wieder zurück liefen. Ich hatte auch kein Problem damit mal alleine zu gehen, aber Lucy war jemand, der Gesellschaft sehr genoss.
Auf ihre Worte hin nickte ich. "Ja, war nur etwas in Gedanken" erklärte ich mich. Nicht mal Lucy hatte die geringste Ahnung wie ich von Mercedes dachte. Ich hatte für mich selbst bereits mit dem Thema abgeschlossen, hatte so ziemlich genau ausgemacht, was ich wollte und was nicht, aber ich traute mich nicht es irgendwem zu erzählen. Mein ganzes Leben lang war mir erzählt wurden, dass Mädchen Jungen lieben mussten und Jungen Mädchen. Aber Jungs oder Männer lösten bei mir einfach nicht das selbe aus wie es Mädchen taten. Ich hatte mich vor Mercedes schon für eins-zwei andere Mädchen interessiert, es war zwar nie so intensiv gewesen wie dieses Mal, aber ich wusste dennoch, dass es jedes Mal etwas gewesen war, was ich für einen Jungen niemals fühlen könnte.
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Girls kiss better
Teen FictionWarum verlieben wir uns immer in Leute die wir nicht haben können? Wo ist der Reiz in unerreichbar? Alles hätte so einfach sein können, wenn ich mich einfach in irgendeinen möchtegern Gentleman verliebt hätte. Jemanden, den ich meiner Familie vorste...