Als ich an diesem Tag mit Lucy zur Schule unterwegs war, mochte das Lächeln nicht von meinen Lippen weichen, denn die vergangene Nacht war kein Traum gewesen, das alles war wirklich passiert. Natürlich änderte es nichts, Mercedes blieb Lukas Mädchen und meine Gefühle für sie blieben unerwiederte falsche Hoffnungen.
Aber unabhängig davon war die Nacht einfach wunderschön gewesen, ich konnte mich kaum erinnern, wann ich mich das letzte Mal so frei und wohl gefühlt hatte.
"Hat dir jemand das Lächeln festgeklebt?" Fragte Lucy und lachte, ich blickte zu meiner besten Freundin herüber "mag sein." Antwortete ich, ohne, dass das Lächeln von meinen Lippen wich. "Jemand Besonderes?" Harkte Lucy weiter nach und ich wiederholte lediglich meine Antwort von eben "mag sein." Lucy schien Interesse an der Konversation gefasst zu haben. "Kenne ich ihn?" Diese Frage oder eher das verwendete Personalpronomen sorgten dafür, dass das Lächeln von meinen Lippen wich. Warum ging Lucy denn jetzt bitteschön sofort von einem Typen aus? Durfte man denn als Mädchen nur von einem Typen glücklich gemacht werden? "Du kennst IHN nicht." antwortete ich etwas schnippischer als beabsichtigt und beschleunigte meine Schritte. Am fehlenden Geräusch ihrer Absetze merkte ich, dass Lucy stehen geblieben war. "Stella?" Ich reagierte nicht als sie meinen Namen fragend aussprach, biss mir lediglich auf die Unterlippe. Irgendwie war ich jetzt sauer, auch wenn ich vielleicht nicht direkt ein Recht dazu hatte. "Estelle? Was ist denn los?" Fragte Lucy weiter, doch noch immer blieb ich nicht stehen, drehte mich nicht zu ihr um. "Nichts" erwiderte ich stattdessen leicht genervt und betrat die Schule, die wir mittlerweile erreicht hatten. Ich überreagierte, das war mir in dem Moment durchaus bewusst, aber ich hatte einfach das Gefühl niemand verstand mich. Ich hatte das Gefühl jeder erwartete von mir, dass ich mir einen Freund suchte, einen Typen den ich vor alles stellte. Dieses Klischee machte mich einfach rasend. Zum einen weil ich eben lesbisch war und Typen mir nicht die selben Gefühle geben konnten wie es Mädchen taten und zum anderen weil ich es nicht mochte, dass viele Liebe als den Mittelpunkt des Lebens sahen. Konnte man denn nicht auch ohne Liebe glücklich sein? Musste man jemanden finden, mit dem man eine Beziehung einging? Konnte man denn nicht auch alleine glücklich werden? War das verdammt nochmal nicht möglich?
An diesem Tag steigerte ich mich einfach viel zu sehr in meine Wut rein, drehte mich nicht mehr nach Lucy um, wollte einfach nur eine Weile lang sauer sein dürfen. Aber wenn ich das ganze nochmal wiederholen könnte, dann würde ich es anders machen. Würde mich zu Lucy umdrehen und ihr alles erklären, vielleicht würde mir das viel Drama ersparen. Aber ich kann die Vergangenheit nicht ändern, also weiter im Text.Der Schultag verging, ohne, dass ich noch etwas von Lucy hörte. Nach der letzten Stunde wartete ich wie jeden Tag auf sie, doch von ihr fehlte jede Spur. Nach zwanzig Minuten des Wartens hatte ich gerade beschlossen, dass Lucy bestimmt bereits ohne mich gegangen war und auch ich jetzt den Heimweg antreten würde, als sich jemand bei mir unterharkte.
In der Erwartung Lucy zu sehen drehte ich meinen Kopf etwas nach links. Doch es war nicht Lucy die da neben mir stand. Es war Mercedes. "Hey Sternchen." Begrüßte mich das größere Mädchen als sie meinen Blick bemerkte. "Hey Kätzchen" antwortete ich, während Erinnerungen der letzten Nacht meine Gedanken erfassten und mich unwillkürlich zum Lächeln brachten. "Du hast nicht zufällig etwas Zeit, um was wunderschönes zu sehen, oder?" fragte sie und das Grinsen auf ihren Lippen verriet, dass sie mehr oder minder bereits damit rechnete, dass ich Zeit hatte. Oh, glaub mir, ich sehe bereits was wunderschönes. Diesen ersten Gedanken, den ich fasste, konnte ich schlecht aussprechen. Also behielt ich ihn für mich, konnte aber nicht verhindern, dass mein Lächeln ein wenig breiter wurde. Ich nickte. "Klar doch." die Worte verließen meinen Mund automatisch, ich überlegte gar nicht erst ob ich heute ausnahmsweise mal etwas vor hatte, denn normalerweise war dem eben nicht so und wenn doch, wichtiger als Mercedes konnte es nicht sein.Gemeinsam machten wir uns also auf den Weg. Ich hatte mal wieder nicht den geringsten Plan, wo Mercedes mich hinführte, weswegen mich das Ganze leicht an die letzte Nacht erinnerte. Nur eben, dass wir jetzt zu Fuß unterwegs waren und nicht mit dem Skateboard. Auch wurden wir nicht von den Geräuschen der Nacht und der wohltuenden nächtlichen Luft sondern von Sonnenschein und Vogelgesang begleitet. Nach kurzem schon schienen wir die Stadt zu verlassen, wir liefen nicht mehr lange Straßen entlang, sondern kurvige Pfade. Rechts und links von uns standen keine Häuser mehr, stattdessen wuchsen dort verschiedenste Blumen und Bäume. Unser Weg begann anzusteigen, scheinbar waren wir also auf dem Weg auf eine Anhöhung, einen Hügel oder kleinen Berg. So langsam hegte ich einen Verdacht wo es hin gehen könnte. Ich hatte diesen Ort schon öfter von unter betrachtet, den Weg nach oben jedoch nie gekannt oder angetreten. Nach wenigen weiteren Minuten stießen wir auf ein Sackgasse. Vor uns, so wie rechts und links von uns versperrte Gestrüpp uns den Weg und machte weiteres Vorankommen meiner Meinung nach schwierig. Doch Mercedes ließ sich davon nicht aufhalten. Gezielt schob sie einige Blätter und Zweige beiseite. Als sie schon in mitten der hohen Büsche, Bäume und des Unkrautes stand drehte sie sich zu mir um. "Komm schon. Ich verspreche dir es lohnt sich." Mit diesen Worten ging sie einige Schritte weiter und verschwand aus meinem Blickfeld. Einen Moment zögerte ich, folgte ihr dann jedoch durch das Gestrüpp hindurch. Mein Blick war auf die Zweige gerichtet, die ich mit den Händen beiseite schob, sodass ich nicht merkte, dass Mercedes direkt vor mir stehengeblieben war. Ungewollt lief ich in sie hinein, schaffte es gerade noch mein Gleichgewicht zu halten, brauchte jedoch eine Sekunde um mich zu fangen. Als ich dann wieder aufsah blickte ich direkt in Mercedes Gesicht. Sie hatte die Hand vor den Mund gelegt und in ihren Augen schimmerten Tränen. Zuerst verstand ich nicht was los war, doch sobald ich meinen Blick von dem Mädchen vor mir löste und an ihr vorbei schielte bemerkte ich den Grund für die Tränen in ihren Augen. Einen Moment lang hielt ich ungewollt die Luft an, wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ein Teil von mir wollte darüber gehen und denn beiden sich küssenden jungen Menschen gehörig einen in die Fresse schlagen, aber der andere, stärkere und realistischere Teil von mir griff vorsichtig nach Mercedes Hand, zog sie wortlos durch das Gestrüpp zurück, weg von dem was wir da gerade gesehen hatten. Ich machte nicht Halt, ging immer weiter und nahm Mercedes mit mir, den Hügel herunter bis fast komplett zurück zur Schule. Irgendwann hielt Mercedes dann einfach an, hielt mich an meiner Hand, die noch immer um ihre gelegt lag davon ab weiter zu gehen. Ich drehte mich zu ihr um und es brach mir ehrlich das Herz. Mercedes war sonst nicht so, ich kannte sie nun schon eine Weile und noch nie hatte ich auch nur den Hauch einer Träne in ihrem Augenwinkel glitzern sehen. Sie war eher die Art Person, die immer das Gute in Dingen sah und wenn sie dann doch mal traurig war, dann schottete sie sich ab anstatt ihre Gefühle zu zeigen. Aber nach dem was wir gerade beobachtete hatten verstand ich, warum sie plötzlich so emotional und so gar nicht sie selbst war. "Ist es traurig, dass ich es von ihr weniger erwartet hätte als von ihm?" fragte Mercedes und weckte mich damit aus meinen Gedanken. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich hatte keine Ahnung was ich sagen sollte. Da gab es eigentlich auch nicht mehr viel zu sagen. Ich hatte Lukas noch nie gemocht, teils vielleicht auch weil ich mich des öfteren an seine Stelle gewünscht hatte. Aber dennoch hätte ich mir nie, wirklich nie so etwas gewünscht. Das ging einfach gar nicht und es tat mir verdammt weh, dass er Mercedes so verletzte. "Gott... Ich will nicht so ein Klischee sein." beschwerte sich Mercedes nun während sie sich mit den Daumen die Tränen unter den Augen weg wischte. Noch immer konnte ich nichts sagen, wusste einfach nicht was. Ich wollte das Ganze nicht noch schlimmer machen. Einen Moment blickte Mercedes mich an, dann drehte sie ihr Gesicht von mir weg. Ich wollte etwas sagen, ich wollte wirklich. Ich wollte ihr irgendwie helfen, wollte für sie da sein, wollte eine gute Freundin sein und versuchen ihr ein wenig von ihrem Schmerz zu nehmen, sie auf andere Gedanken zu bringen. Aber ich konnte nicht, ich konnte einfach nicht, ich wusste nicht wie. Nach kurzem Zögern beschloss ich also zu tun, was normale Menschen in so einer Situation wohl tun würden. Vorsichtig trat ich einen Schritt näher an mein Kätzchen ran und legte meine Arme um sie. Zog sie sanft an mich. Im ersten Moment schien sie verwundert, überrumpelt und vielleicht auch etwas überfordert. Dann jedoch erwiderte sie die Umarmung, zog mich nun ihrerseits ein wenig näher an sich. Sie beugte sich zu mir herunter und vergrub ihr Gesicht in meinen Haaren.
Eine ganze Weile standen wir so dort, doch ich konnte das Bild in meinem Kopf nicht wieder löschen und ich war mir sicher, dass es Mercedes noch schwieriger fiel diese Vorstellung zu verdrängen.
Vor meinem inneren Auge saß Lukas auf der Bank an diesem irgendwie romantischen Ort, von dem aus man ein gutes Stück der Stadt betrachten konnte. Doch er hatte die Augen geschlossen, wie man es eben üblicherweise beim küssen hatte. Auf seinem Schoss saß Zoa, ebenfalls mit geschlossenen Augen. Seine Lippen auf ihren, seine Hände um ihre Mitte gelegt, eine ihrer Hände auf seiner Schulter, die andere auf seiner Wange. Die beiden schienen nicht, als wären sie sich bewusst, dass sie etwas Falsches taten, es wirkte nicht als wäre es sowas wie ein Versehen.
Aber was wusste ich schon? Ich war die Letzte, die sich mit Beziehungen auskannte. Liebe war für mich etwas irgendwie fremdes. Ja, ich war in Mercedes verliebt, aber das hieß noch lange nicht, dass ich wusste, wie sich wirkliche bedingungslose Liebe überhaupt anfühlte.
Ich atmete tief durch, noch immer dauerte die Umarmung zwischen Mercedes und mir an. Normalerweise war ich kein Fan von Körperkontakt und das war kein Geheimnis, aber das hier war schön. Oder eher es wäre schön, wenn mir Mercedes nicht so verdammt leid tun würde, wenn die Situation nicht so verdammt kompliziert und... einfach irgendwie blöd wäre.

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Girls kiss better
Novela JuvenilWarum verlieben wir uns immer in Leute die wir nicht haben können? Wo ist der Reiz in unerreichbar? Alles hätte so einfach sein können, wenn ich mich einfach in irgendeinen möchtegern Gentleman verliebt hätte. Jemanden, den ich meiner Familie vorste...