9.

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Mercedes:

Das junge Mädchen öffnete die Augen, starrte hinauf an die weiße Decke über ihr. Sie hatte echt verdammt komisches Zeug geträumt, das wusste sie noch, auch wenn sie den Inhalt ihrer Träume nicht mehr wider geben konnte. Langsam setzte sie sich auf, streckte sich. Es war ein ganz normaler Morgen, wie jeder andere auch, aber irgendwas fühlte sich komisch an. Diesem Gedanken, welcher mit einem unwohlen Gefühl verbunden war, folgt Mercedes, versuchte seine Spuren zu ergründen. Einen Moment dauerte es, doch dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag in die Magengrube. Die Erinnerung an das, was gestern geschehen war kam zurück zu ihr, begann sofort erneut sie innerlich zu quälen. Das Mädchen biss sich, vielleicht etwas zu stark, auf die Unterlippe. Das konnte doch nicht war sein, warum musste ihr so eine Scheiße passieren? Ihr Freund und ihre beste Freundin... Sie war von zwei Seiten aus hintergangen wurden. Mercedes schluckte schwer, sie schwang sich aus dem Bett, stand auf, nur um dann unschlüssig vor dem Bett stehen zu bleiben. Sie wollte nicht zur Schule, nein sie konnte nicht zur Schule. Sie konnte weder Lukas noch Zoa in die Augen sehen oder gar mit ihnen reden... Zumal die beiden ja nicht mal wussten, dass Mercedes sie gesehen hatte. Auch hatte sie kein Interesse daran all ihren Freunden zu erzählen, was passiert war. Sie wollte nicht darüber reden, eigentlich wollte sie es bloß vergessen... Aber das ging ja nicht. Sie konnte es nicht vergessen, nicht mal ansatzweise, konnte die Bilder nicht aus ihrem Kopf verbannen, so gerne sie es auch wollte. Ein tiefes Seufzen verließ die Lippen des Mädchens, ehe sie sich eine warme Sweatshirtjacke über ihren Pyjama zog und barfuß durch den Raum in den Flur tapste. Im Flur angekommen lauschte sie kurz in die Stille hinein. Ihre Eltern schienen bereits das Haus verlassen zu haben um zur Arbeit zu fahren. Gut, so musste sie sich wenigstens nicht jetzt sofort eine Ausrede überlegen, warum zur Schule zu gehen heute eine ganz schlechte Idee war. Sicherheitshalber und wohl auch weil ihr Magen nach etwas zu Essen verlangte bewegte sie sich dennoch die Treppe herunter und dann nach links weiter in die Küche. Auch hier war keine Menschenseele zu sehen und es herrschte Totenstille. Sie hatte mit ihrer Vermutung von eben also wohl doch Recht gehabt. Ohne die herrschende Stille zu unterbrechen ging sie herüber zum Kühlschrank, öffnete diesen, schloss ihn dann kurz später wieder und entschied sich einen Apfel aus der nahe stehenden Obstschale zu fischen. Anschließend ging sie herüber zum Wasserkocher, füllte diesen mit Wasser auf und schaltete ihn dann ein, eine Entscheidung, die ein weiteres bestehen der bisherigen Stille unmöglich machte. Während der Wasserkocher nun also das Wasser kochte und dabei laute Geräusche von sich gab, griff Mercedes nach einem Teebeutel. Früchtetee war die Wahl des Tages. Sie legte den Apfel, der noch immer in einer ihrer Hände ruhte neben dem Teebeutel ab und öffnete ein Schränkchen über der Theke. Obwohl sie gewiss keine kleine Person war musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen um ihre lila Lieblingstasse von einem der Oberen Regalbretter zu holen. Sie füllte die Tasse mit, mittlerweile kochend heißem, Wasser und steckte den Teebeutel hinein, dann schnappte sie sich noch einen Löffel aus einer der Schubladen neben ihr und nahm ihren Apfel wieder in die Hand. Mit all dem bewaffnet machte sich Mercedes auf den Weg zurück in ihr Zimmer. Bisher hatte sie es geschafft ihren Kopf vom Denken abzuhalten und ihr Herz vor all den Gefühlen, die danach ächzten gefühlt zu werden, zu verschließen. Doch als sie nun ihre Tasse auf ihrem Nachttisch abgestellt und sich wieder auf ihr Bett gesetzt hatte, konnte sie nicht länger verhindern zu denken und zu fühlen, all die Gedanken und Gefühle, die sie nicht denken und fühlen wollte, ergriffen Besitz von ihr und trieben dem jungen Mädchen Tränen in die Augen, welche sie mit einer schnellen Handbewegung wieder weg wischte. Doch die Gedanken und Gefühle in ihr, die konnte sie nicht einfach so weg wischen. "Wenn schon, denn schon..." obwohl niemand im Raum war, zu dem Mercedes diese Worte hätte sagen können, sprach sie sie laut aus, als sich eine Idee in ihrem Kopf bildete. Es war vermutlich keine gute Idee, eine die viele Emotionen und Tränen versprach, aber dennoch fühlte es sich so an, als wäre das gerade die richtige Idee umzusetzen. Sie stand also wieder von ihrem Bett auf, den Apfel in der Hand und ging zu ihrem Regal herüber, aus welchem sie eine kleine Kiste heraus zog. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, legte den Apfel auf ihren Beinen ab und öffnete mit beiden Händen vorsichtig den Deckel der Kiste. Ihr Blick fixierte den Inhalt der Kiste, eine große Ansammlung an Fotos. Mercedes atmete einmal tief durch um etwas Kraft zu fassen, dann holte sie eine Hand voll Fotos aus der Kister heraus, sie betrachtete das oberste. Es zeigte ihre gesamte Clique, alle fröhlich in die Kamera lächelnd. Das Bild war erst vor kurzem auf der Party von Mei entstanden. Mercedes Blick glitt von ihrer Wenigkeit aus weiter das Foto entlang, so schnell es ging blickte sie über Zoa hinweg zu dem Mädchen, welches neben ihr saß. Estelle. In kurzer Zeit war die Freundschaft von ihr und dieser hübschen, kleinen Blondine wirklich scheinbar aus dem Nichts zu etwas wundervollem geworden. Der Gedanke daran trieb Mercedes ein kleines Lächeln auf die Lippen. Ein Lächeln, welches jedoch nach Kurzem wieder verschwand, als sie das Bild beiseite legte und das nächste betrachtete. Dieses zweite Bild zeigte Lukas und Mercedes selbst. Er machte das Foto, während sie ihre Arme um ihn geschlungen hielt und ihn auf die Wange küsste. Es war ein Selfie, man sah also nicht viel vom Hintergrund, dennoch wusste Mercedes ganz genau wo das Foto geschossen wurden war. Vor dem Restaurant Zur lila Katze. Entdeckt hatte Mercedes das Restaurant eigentlich mit Zoa... Die beiden Mädchen hatten vor Ewigkeiten irgendwann mal Langeweile gehabt und so waren sie einfach in den nächstbesten Bus eingestiegen und hatten ausgewürfelt, bei welcher Station sie aussteigen würden. Das Urteil des Würfels war dabei auf die Station gefallen, bei welcher der Bus direkt vor einem hübschen Gebäude hielt, in welchem sich das Restaurant Zur lila Katze verbarg. Weil sich Mercedes die Haare kurz vorher zum ersten Mal lila gefärbt hatte, hatte Zoa darauf hin begonnen sie Katze zu nennen. Sobald sie das einmal vor Lukas getan hatte, hatte er diesen Spitznamen übernommen und irgendwann hatte er dann begonnen den Kosenamen als seine Erfindung auszugeben. Das war die Eigenschaft, die Mercedes immer schon am meisten an Lukas gestört hatte. Er brauchte immer etwas zum Angeben und scheute sich auch nicht mit Lügen anzugeben... Warum sie trotzdem mit ihm zusammen war? Nun ja, er hatte auch seine gewissen Vorzüge... Er konnte wirklich romantisch sein wenn er wollte und vor allem hatte er Mercedes so viel Neues gezeigt. Sie in eine komplett neue Welt eingeführt wenn man so wollte. Er hatte sie aus ihrer Komfortzone heraus geholt und auf so viele coole Events mitgenommen, auf die sie sonst wohl nie gegangen wäre. Durch ihn hatte sie so viel nette Leute kennen gelernt, so viele unvergessliche Erinnerungen gesammelt. Weiterhin war er weder ein schlechter Küsser, noch schlecht im Bett. Die beiden waren schon so lange zusammen gewesen, dass Mercedes vergessen hatte, warum sie eigentlich zusammen gekommen waren, aber warum sie zusammen geblieben waren, das wusste sie noch sehr gut. Die beiden hatten so vieles, was sie verband, was sie immer verbinden würde, egal was auch kommen mochte. Mercedes legte dieses Foto nun ebenfalls bei Seite, sie wolle nicht länger Lukas und sich vor ihrem gemeinsamen Lieblingsrestaurant betrachten, zu sehr regte dies ihre Gedanken an, an all die schönen Moment zurück zu denken, die das Pärchen in diesem Restaurant erlebt hatte. Allgemein wollte Mercedes nicht über Lukas nachdenken, sie wollte nicht daran denken, dass sie sich ihm bald stellen musste, entscheiden musste. Sie würde die Sache mit Zoa ansprechen müssen... Und das konnte sie nicht, das konnte sie wirklich nicht... Musste sie aber heute ja auch zum Glück nicht.

Stattdessen verbrachte sie ihren Tag damit, durch all die Fotos in der Kiste zu gehen. Manche legte sie schneller bei Seite als andere, über manche vergoss sie Tränen und andere brachten sie zum Lächeln. Es war ein durchwachsener Vormittag, jedoch alle Male besser als zur Schule zu gehen und Zoa und Lukas zu sehen. Irgendwann hatte das Mädchen auch ihren Apfel gegessen, ihren Tee getrunken und etwas Musik angeschaltet, die im Hintergrund vor sich hin gespielt, jedoch kaum Aufmerksamkeit von Mercedes bekommen hatte. Viele Blicke auf die Uhr hatte es gedauert, aber irgendwann war es schließlich Nachmittag, eine Zeit zu der Mercedes normalerweise aus der Schule kommen würde. Was genau ihr das brachte wusste sie nicht, aber immerhin war dann schon mal ein Teil des Tages rum... Aber was brachte es ihr wenn der Tag rum ging? Morgen würde ja nicht auf magische Weise alles besser und einfacher sein, oder? Schön wäre es zwar, aber so funktionierte die Welt nun einmal nicht. Ein Klingeln weckte Mercedes aus ihren Gedanken. Hatte es da gerade an der Haustür geklingelt? Wer bitteschön klingelte da an der Haustür? Eigentlich wusste doch jeder, dass ihre Eltern bis zum späten Nachmittag außer Haus waren... Und wer sollte zu ihr wollen? Vielleicht Lukas oder Zoa? In dem Fall sollte sie besser gar nicht aufmachen, hier in ihrem Zimmer bleiben und so tun als hätte sie es nicht gehört oder wäre gar nicht da. Aber was wenn es jemand anderes was? Dann sollte sie vermutlich aufmachen... Nur wer anderes könnte es schon sein? Während Mercedes noch zögerte, im Kopf Argumente gegeneinander abwog, klingelte es erneut. Wer auch immer da vor der Tür stand, schien nicht so schnell aufzugeben. Mercedes lies also alles stehen und liegen wie es war, stand langsam auf und bewegte sich aus ihrem Zimmer heraus, die Treppe herunter in den Flur. Das sie noch immer nur ihren Pyjama und die Sweatshirtjacke trug, daran verschwendete sie gar keinen Gedanken. Zögerlich blieb sie vor der Haustür stehen, ihre Hand schon um den Griff geschlossen. Die Person auf der anderen Seite der Tür war mittlerweile vom Klingeln zum Klopfen übergegangen. "Mercedes?!" hörte sie eine weibliche Stimme rufen. Das war ganz bestimmt nicht Lukas und es war auch nicht Zoa, sie kannte diese Stimme und obwohl die Stimme von der Tür gedämpft wurde, wusste Mercedes wem diese gehörte. Sie drückte den Griff herunter und zog die Tür auf, blickte direkt in Estelles Gesicht. Das kleinere Mädchen schenkte Mercedes ein Lächeln. "Hey Kätzchen."

Girls kiss betterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt