12.

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Ich sah Mercedes den ganzen Vormittag lang nicht, obwohl ich in den Pausen nach ihr suchte, dort hin ging wo sie für gewöhnlich war und sie anrief. Sie schien wie vom Erdboden verschluckt, ging nicht an ihr Handy und ließ sich auch nicht bei mir blicken... Irgendwann begann ich echt an allem möglichen zu zweifeln. Ob sie überhaupt in der Schule war? Ob sie mich im Moment überhaupt sehen wollte? Oder war sie auch verwirrt von allem was passiert war und wollte erstmal etwas Zeit um das für sich alles mental zu regeln? Mir sausten die wildesten Ideen durch den Kopf, was der Grund dafür sein konnte, dass ich meinen, nun etwas weniger heimlichen, Crush nirgends auffand.
In der Mittagspause, quetschten sich die meisten meiner Mitschüler in die Mensa, ich für meinen Teil nutzte jedoch die Zeit um etwas von den Menschenmassen und dem Lärm weg zu kommen. Noch immer besetzte Mercedes meine Gedanken wie Napoleon Ende des 18. Jahrhunderts Malta. Gedankenverloren schlenderte ich einen leeren Gang entlang, als sich plötzlich eine Hand um mein Handgelenk legte. Ich drehte mich ruckartig um und blickte direkt in die mir so vertrauten, wunderschönen, kaffebraunen Augen von Mercedes. Da war sie, scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht stand sie vor mir, warf mir ein umwerfendes Lächeln zu und ich konnte einfach nicht anders, als dieses zu erwidern.
"Ich hab dich gesucht." brachte ich schließlich hervor, nachdem ich einen Augenblick lang einfach nur dagestanden und wie blöd gegrinst hatte."Ich dich auch." erwiderte Mercedes. Wir beide hatten etwas verlegenes in der Stimme. Ob das wohl mit dem Kuss gestern zu tun hatte? Oder damit, dass wir scheinbar an einander vorbei gesucht hatten? 
"Wegen gestern..." begann ich unsicher ohne wirklich zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Mercedes schien einen Moment nachdenklich, dann begann sie jedoch wieder zu grinsen und schnappte sich mein Handgelenk. Bevor ich irgendwas weiteres sagen konnte zog sie mich mit sich durch den Gang, in dem wir uns befanden, sie bog nach links ab und blieb dann vor einer schmalen, hölzernen Tür stehen. Die Tür war mir noch nie so richtig aufgefallen, dahinter lag wohl kein Klassenraum oder ähnliches. "Was..." setzte ich an doch auch dieses Mal ließ Mercedes mich nicht ausreden, sie drehte sich zu mir herum, legte ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und gab einen Pssst-Laut von sich. Ich verstumme und sie drehte sich wieder von mir weg, zog irgendwas aus ihrer Hosentasche und begann sich damit an der Tür zu schaffen zu machen. Stumm sah ich ihr zu, rätselte dabei die ganze Zeit in Gedanken, was sich wohl hinter der Tür verbarg und vor allem warum Mercedes mich hier her führte. Irgendeine Intention musste sie doch haben oder? Aber welche? Nach einer kurzen Weile hatte mein Kätzchen es scheinbar geschafft das Schloss zu knacken, denn sie drehte sich wieder zu mir herum. "Mach die Augen zu." wisperte sie in einem wahnsinnig verführerischen, sanften Tonfall. Eine ihrer Hände griff nach meiner, die andere hatte sie an die Türklinke hinter sich gelegt. Einen Moment zögerte ich, dann aber wurde mir bewusst, dass ich gar keine andere Möglichkeit hatte als Mercedes kleiner Anweisung zu folgen und, dass es absolut nichts zu befürchten gab. Ich schloss also meine Augen und ließ mich von Mercedes in den Raum hinein und um eine Ecke nach links führen. Als das andere Mädchen meine Hand losließ wollte ich meine Augen wieder öffnen, vielleicht auch um dieses seltsame Gefühl von Verlust loszuwerden, dass begann sich in mir breit zu machen, sobald der Körperkontakt zwischen Mercedes und mir unterbrochen war. "Noch nicht." stoppte Mercedes mich jedoch noch bevor ich irgendwas sehen konnte und ich schloss die Augen wieder vollständig, wartete mehr oder minder geduldig ab, was sie mir zeigen wollte. Einige Sekunden verstrichen, bevor ich die Stimme meines Kätzchens wieder hörte. "Jetzt kannst du die Augen aufmachen." irgendwas in ihrer Stimme verriet mir, dass ein breites Lächeln ihre Lippen zierte, als ich meine Augen dann öffnete und direkt in ihr wunderschönes Gesicht blickte, bestätigte sich diese Vermutung. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, einen freudiges Funkeln erstrahlte in ihren Augen. Sie war einfach so wahnsinnig schön, dass ich es nicht schaffte meinen Blick von ihr zu wenden, auch wenn ich wirklich gerne wissen würde, wo wir waren. Auch auf meinen Lippen zeichnete sich mal wieder ein Lächeln ab und nach einer kurzen Weile schaffte ich es dann doch mich um zu sehen. Um uns herum hingen Klamotten an Kleiderstangen, Hüte lagen auf Regalen, Regenschirme, Holzschwerter, Perücken... Was war das hier? Noch ehe ich diese Frage laut aussprechen konnte lieferte mir das Mädchen, welches mich hier her gebracht hatte die Antwort. "Das ist der Requisitenraum für den Theater Unterricht." erklärte sie. Ich nickte resignierend. Deswegen kannte ich den Raum also nicht. Ich hatte nie Theater belegt, irgendwo logisch, wenn man bedachte, dass ich ein eher introvertierter Mensch war. Auf der Bühne vor vielen Leuten zu sein, dessen Blicke auf mir lagen... Nein, das konnte ich mir so gar nicht vorstellen. 
Während ich in meinen Gedanken hing, zog Mercedes aus dem Spalt zwischen zwei Regalen eine Tür auf Rädern hervor. Die hatten hier ehrlich einen Türrahmen, der auf Rädern befestigt und mit einer roten Tür ausgestattet war. Mit einem verspielten Gesichtsausdruck verschwand sie auf der anderen Seite dieser Tür, sodass ich sie nicht mehr sehen konnte. "Klopf, Klopf." rief sie und klopfte an die Tür. Was hatte sie denn jetzt bitte vor? "Wer ist da?" spielte ich noch immer grinsend mit, auch wenn ich ziemlich verwirrt von der Aktion war. "Die Liebe deines Lebens." kam es nach einer kurzen Pause, in der Schweigen vorherrschte, euphorisch von Mercedes. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde breiter, ich griff nach der Türklinke, riss die Tür auf und sprang förmlich durch den Türrahmen hindurch in Mercedes Arme. Das andere Mädchen wirbelte mich herum, legte ihre Lippen auf meine, begann mich zu küssen. Augenblicklich wurde mein ganzer Körper von wundervollen Gefühlen durchströmt. Ich erwiderte den Kuss, schloss die Augen, strich ihr durchs Haar. Das konnte doch gerade echt alles nicht real sein, wirklich nicht. So lange hatte ich Mercedes für absolut außer Reichweite gehalten und jetzt... Jetzt das hier... Mercedes löste den Kuss für einen Augenblick, schubste mich sanft gegen die Wand, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass sie direkt hinter mir war. Das Mädchen mit den lila Haaren kam wieder näher, legte ihre Hand an meine Wange und küsste mich. Automatisch erwiderte ich den Kuss, schloss meine Augen, begann meine Hände über ihren Körper wandern zu lassen. Eine meiner Hände strich über ihre Seite, die andere durch ihr Haar. Eine ganze Weile lang liebkosteten wir einander auf diese Weise, genossen die Nähe zueinander und lösten unsere Lippen immer nur für einen ganz kurzen Augenblick. Dann jedoch ging Mercedes dazu über kleine Küsse auf meinem Hals zu platzieren. Ich öffnete meine Augen. Anstatt Mercedes wundervollen kaffeebraunen Augen, die das letzte gewesen waren, was ich gesehen hatte, bevor ich meine Augen geschlossen hatte, blickte ich nun auf ein Regal voller mehr oder minder extravaganter Hüte. Grinsend löste ich meine eine Hand von Mercedes, griff nach dem nächstbesten Hut, einer schwarzen Melone und platzierte diesen auf dem Kopf meines Kätzchens. Verwundert hörte Mercedes auf meinen Hals zu küssen, löste sich ein Stückchen von mir. Sie schien nachdenklich, während sie nun wieder tief in meine Augen schaute. Ohne ihren Blick zu lösen griff Mercedes hinter sich und setzte mir einen Spitzen Hexenhut auf, der vermutlich von einem Halloweenkostüm oder sowas stammte. Ich löste mich von ihr und ihren Auge, bewegte mich ein Stückchen von der Wand weg an Mercedes vorbei und schnappte mir eines der Schaumstoffschwerter, die in einer Box lagen. Spielerisch tippte ich Mercedes damit seitlich gegen ihren Busen. "Hey!" beschwerte mein Kätzchen sich und setzte einen beleidigten Gesichtsausdruck auf. Ohne mein Schwert zu entfernen griff ich mir ein zweites und warf es ihr zu. Binnen weniger Augenblicke entstand eine Art Amateurschwertkampf, welcher sich später zu einer Mischung aus kuscheln und uns gegenseitig mit den Schaumstoffschwertern schlagen entwickelte. 
Irgendwann ließ Mercedes ihr Schwert fallen und hob die Hände. "Ich ergebe mich." brachte sie lachend hervor und so ließ auch ich mein Schwester fallen. Schwerer Fehler, denn sobald ich dies getan hatte begann Mercedes mich zu kitzeln. "Hey!" beschwerte ich mich und meine Augen tränten weil ich mittlerweile so sehr lachte. Zu meinem Glück hörte Mercedes bald wieder mit ihrer Machenschaft auf, ließ sich stattdessen an der Wand hinter sich zu Boden gleiten. Ich setzte mich neben sie und schon bald lag mein Kopf auf ihrer Schulter und sie hatte den Arm um mich gelegt. Eben war alles einfach schön gewesen, eben hatte ich alle negativen Gedanken und Aspekte meines Lebens vergessen können, aber nun kehrte die Realität so langsam wieder zu mir zurück. Ein Seufzen verließ meine Lippen. Ich wollte gerade ehrlich nicht über meine Eltern, über meine sogenannte Familie, nachdenken, aber es führte wohl kein Weg dran vorbei. "Kätzchen?" fragte ich leise und schoss für einen Moment die Augen. "Ja?" kam es zurück und ich spürte wie das andere Mädchen mir sanft übers Haar strich. "Ich... Ich muss dir was sagen..." begann ich. Ich wollte klar stellen, dass niemand von uns wissen konnte, dass niemand wissen durfte, dass ich auf Frauen stand. Zumindest nicht bevor ich einen Weg gefunden hatte die negativen Konsequenzen zu umgehen. Aber wie zur Hölle sollte ich Mercedes das mitteilen? Wie viel sollte ich ihr erzählen? Wo fing ich am besten an? "Ich mag das... Das alles hier... Ich mag es dich zu küssen und... ich mag dich.." begann ich vorsichtig, zuerst einmal der einfache Part, der Teil der Wahrheit, der mir leicht über die Lippen ging. "Ich auch." kam es leise und irgendwie liebevoll von Mercedes zurück, während ich noch in meinen Gedanken hing und meine nächsten Worte plante. "Aber... das muss zwischen uns bleiben. Wir müssen das geheim halten." raus waren die Worte, nun konnte ich sie wohl nicht mehr zurück nehmen. "Warum? Mit Lukas kann ich Schluss machen, dann ist der nicht mehr im Weg..." für Mercedes schien das alles so viel einfach zu sein als für mich. Für sie schien der Fakt, dass ich ein Mädchen war so überhaupt nicht ungewohnt oder problematisch. An sich rechnete ich ihr das hoch an, aber es war eben doch problematisch, zumindest mit einer Familie wie der meinen. Ich atmete einmal tief durch, dann begann ich wieder zu sprechen. "Nein... Mir geht es nicht um Lukas... Meine Familie ist homophob, ich könnte niemals... Die können das einfach nicht herausfinden... Und... mein Bruder geht auf diese Schule und... der darf das auch nicht wissen..." die Worte purzelten durcheinander, überschlugen sich förmlich. Bevor ich also noch weitere ungeordnete Gedanken aussprach biss ich mir auf die Unterlippe, kuschelte mich lieber wieder etwas näher an Mercedes. Schon interessant, wie ich Körperkontakt bei ihr liebte und bei anderen verabscheute... 
Einen Moment herrschte Stille, vollkommene, unangenehme, unerträgliche Stille. "Okay." sagte Mercedes dann, ein einziges Wort, dass doch so viel aussage. Sie klang nicht sauer, nicht traurig oder enttäuscht, sondern verständnisvoll. Sie nahm es einfach so hin, harkte nicht weiter nach und beschwerte sich nicht und dafür liebte ich sie gleich ein kleines Stückchen mehr. "Danke" flüsterte ich und ein Lächeln zierte meine Lippen. Dann trat wieder Stille ein, aber dieses Mal war es keine unangenehme, lästige Stille. Dieses Mal war es eine schöne Form von Stille, wir saßen einfach da, aneinander geschmiegt und es waren einfach keinerlei weiteren Worte von Nöten. 

Selten hatte ich eine solch schöne Mittagspause gehabt, aber auch die schönsten Stunden musste einmal enden. Lange saßen Mercedes und ich demnach nicht dort auf dem Boden, bis das Klingeln uns aus den Gedanken weckte, denen wir zuvor nach hingen. Ob wir es wollten oder nicht, es wurde Zeit zum Unterricht zurück zu kehren, uns zu verabschieden, da wir verschiedene Kurse belegten. "Morgen in der Mittagspause wieder hier." meinte Mercedes, nachdem wir den Requisitenraum verlassen und die Tür wieder verschlossen hatten. Sie zwinkerte mir zu, dann drehte sie sich um und ging davon. Es war ein verdammt schmerzhafter Anblick sie gehen zu sehen, aber gleichzeitig freute ich mich schon in dem Moment auf den nächsten Tag. 


Ankündigung: Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal kurz entschuldigen, dass ich angekündigte Termine nicht eingehalten habe. Aus persönlichen Gründen fiel mir das Schreiben in letzter Zeit schwer. Ab jetzt werde ich hoffentlich aber wieder regelmäßig Kapitel hochladen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 09, 2019 ⏰

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