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Es war das perfekte Wetter, um die Semesterferien in vollen Zügen genießen zu können. Die Sonne schien und allein, dass alle Klausuren geschrieben wurden, zauberte den Studenten ein Lächeln ins Gesicht. Viele von Hannahs Kommilitonen verabredeten sich, um Schwimmen oder in eine Eisdiele zu gehen. Wiederum andere planten eine Semesterabschlussparty, die ebenfalls draußen im Grünen mit Grillgut und kalten Getränken stattfinden sollte. Alle waren bester Laune, nur Hannah konnte es nicht erwarten diesem Trubel zu entkommen. Die letzten Monate stürzte sich sie förmlich in ihr Studium und in Arbeit, so dass sie keine Zeit fand sich mit jemanden zu treffen geschweige denn soziale Kontakte zu pflegen. Mittlerweile gehörte sie in ihrem Studiengang zur Außenseiterin, die nichts weiter als ihre Bücher im Kopf hatte. Sie war immer nett und freundlich zu ihren Mitstudenten und konnte auch super mit ihnen zusammenarbeiten, doch sobald es über das Studium hinausging, lehnte sie jeden Kontakt ab. Hannah konnte sich ihr Verhalten meistens selbst nicht erklären. Selbst Sandra, die es am ehesten schaffte Hannah von ihren Büchern wegzubekommen, hatte zurzeit wenig Erfolg. Seitdem sie im April auf Schloss Gymnich war, hatte sie Paddy nur nach ein paar Konzerten gesehen und das auch immer nur für ein paar Stunden. Es belastete sie sehr, dass Paddy viel im Ausland unterwegs war. Auch Paddy schien die Situation sehr zu belasten, bemühte sich jedoch immer das beste draus zu machen, auch wenn er nach den Konzerten am liebsten Tod ins Bett gefallen wäre. Maite hingegen war wieder die Alte. Nachdem sie sich vor einigen Monaten bei Hannah ausgeweint hatte, kam sie mit dem Tourstress gut klar und nahm Hannahs Rat an, alles von der Seele zu schreiben, was sie bedrückte. Hin und wieder schickte Maite einige ihrer Gedanken auch an Hannah, was sie sehr freute. Meistens suchten sie gemeinsam nach einer Lösung. In manchen Situationen suchte sie, natürlich getarnt als Fallbeispiel, sogar Rat bei ihren Professoren, die ihr Engagement dafür sehr schätzten. Im Gegensatz zu Paddy hatte Maite auch mehr Zeit und hatte regelmäßiger Kontakt zu Hannah als ihr Bruder.

Als Hannah endlich das Unigebäude verlassen konnte, ging sie auf direktem Wege zu ihrem Fahrrad, nur um mit niemanden reden zu müssen. „Hey, Hannah warte mal.", hörte sie eine freundliche Stimme, die einer ihrer Kommilitoninnen gehörte. Hannah schloss die Augen und atmete tief durch. ‚Lasst mich doch einfach in Ruhe', dachte sie und drehte sich mit einem gespielten Lächeln im Gesicht zu ihrer Mitstudentin um. „Hey, was gibt's?" „Du hast bestimmt schon davon gehört, dass wir eine Abschlussparty geplant haben.", fing ihre Mitstudentin an zu erzählen, „Ich dachte, vielleicht hast du ja Lust auch vorbei zu schauen. Du kannst auch gerne jemanden mitbringen, wenn du willst." Sie reichte Hannah einen Flyer und wartete erwartungsvoll auf eine Antwort." Hannah starrte auf den Flyer. Am liebsten hätte sie ihn zerknüllt und in den nächsten Mülleimer gepfeffert. „Ehm ja...danke für die Einladung. Ich glaube aber nicht, dass ich es schaffen werde." „Das ist schade, aber wir würden uns alle sehr freuen, wenn du dich blicken lassen würdest. Schließlich hast du einigen von uns durch die Prüfungen geschleust." Hannah war diese Situation unangenehm. „Es tut mir leid, aber ich habe echt keine Zeit. Bis dann." Schnell steckte sie den Flyer in die Hosentasche, stieg auf ihr Fahrrad und hinterließ eine verwirrte Mitstudentin.

Da Hannah nicht wusste, ob Sandra bereits zu Hause war, radelte sie auf direktem Wege zu ihrer Mutter. Sie wusste, dass ihre Mutter heute einen langen Arbeitstag hatte und sie dort alleine sein konnte. „Hallo, Pad.", begrüßte sie ihren Hund mit matter Stimme und setzte sich an den Küchentisch, auf dem sie ihre Stirn ablegte und starr gegen die unteren Küchenschränke schaute. Diese Position war sicherlich nicht bequem für sie, doch es war ihr egal. Sie schloss die Augen und wusste nicht, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollte. Am liebsten hätte sie ihre sieben Sachen gepackt und wäre direkt zum nächsten Konzert von Paddy und seiner Familie gefahren, doch sie selbst wusste noch nicht einmal wo sich ihr Freund gerade aufhielt.

Hannah wusste nicht wie lange sie schon am Tisch saß, als sie das vibrieren ihres Handys wahrnahm und ran ging. „Hallo?" „Hey. Habe ich dich etwa geweckt?" Wie von einem Blitz getroffen schreckte Hannah auf, als sie Paddys Stimme erkannte. „Oh hi. Nein, alles gut. Du hast mich nicht geweckt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du anrufst." „Ich komme gerade von der Bühne und dachte, ich melde mich mal schnell bei dir." „Von der Bühne?", fragte Hannah und runzelte die Stirn. „Hattet ihr etwa heute Morgen ein Konzert? Das ist aber eine komische Uhrzeit." Sie vernahm ein mattes Lachen am anderen Ende der Leitung. „Ehm ja, hätte ich vielleicht erwähnen sollen. Hier ist es schon 22.30 Uhr. Sind gerade irgendwo in China." Langsam dämmerte es ihr. „Oh...ja stimmt. Da war ja etwas. Tut mir leid, ich habe euren Tourplan überhaupt nicht im Kopf." Paddy seufzte: „Ich auch nicht immer." „Sag mal, wenn du jetzt in Asien bist, heißt das, dass du zu meinem Geburtstag gar nicht wie geplant da bist?", fragte Hannah. Vor einigen Wochen haben sie versucht ihre Kalender abzugleichen und sich auf das Wochenende nach ihrem Geburtstag geeinigt, das Paddy in Gymnich verbringen wollte. Die Stille, die Hannah am anderen Ende des Hörers vernahm, bedeutete nichts Gutes. Langsam mischte sich ihre Enttäuschung mit Wut. „Paddy, ist das dein fucking ernst? Der Termin steht seit Wochen!" „Es tut mir leid.", sagte Paddy kleinlaut, „Wir haben hier noch TV-Auftritte." „Du hast gesagt, dass wäre kein Problem und wenn Auftritte angefragt werden, könntest du ein Veto einlegen und um das Wochenende herum planen.", schrie Hannah schon fast in das Telefon. Sie hat versucht ruhig zu bleiben, doch ihre Enttäuschung war einfach zu groß. Auch Paddy wurde lauter: „Es tut mit leid, ok? Ich habe bei den ganzen Terminen einfach nicht daran gedacht." „Genau, weil ich ja auch einfach nur ein Termin zum abarbeiten bin, schon klar." „Hannah, das ist nicht fair. Als ob du nie etwas vergessen würdest." „Nichts, was mir wichtig ist." Paddy seufzte und versuchte den Streit zu schlichten. „Hör zu, wenn wir in China abgeschlossen haben, sind wir wieder in deiner Nähe. Dann sehen wir uns." Ungläubig schüttelte Hannah den Kopf: „Damit ich wieder für ein paar Stunden zwischen irgendwelchen Terminen dazwischen gepackt werden kann? Nein, danke. Darauf habe ich echt keinen Bock drauf. Weißt du, ich versuche meinen Zeitplan an deinen anzupassen, verlege Klausuren und ackere mich dumm und dämlich, damit ich auch ja keine Termine nachholen muss und der Superstar ist der Meinung, seine Freundin kommt mal für ein paar Stunden vorbei, wenn es dem Herrn passt." „Ein Studium ist ja wohl was ganz anderes als meine Situation und ich zwinge dich auch nicht dazu, solche Bürden auf dich zu nehmen, nur damit du Zeit findest." Hannah platzte der Kragen: „Ach und wenn ich das nicht getan hätte? Dann hätten wir uns bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht gesehen oder wie? Weißt du was? Du kannst mich mal. Mach, was du für richtig hälst. Und wenn du wirklich mal Zeit hast, kannst du dich gerne wieder melden, aber ob ich dann Zeit haben werde, ist fraglich. Ich habe hier nämlich auch noch ein Leben und als Student sollte man sich keine Party entgehen lassen. Bis dann." Wutentbrannt warf sie ihr Handy auf den Tisch und fing an zu weinen. Schon als sie auflegte, bereute sie bereits das, was sie gesagt hatte, doch nachgeben wollte sie auf keinen Fall. Sie sah auf dem Display, dass Paddy versuchte anzurufen. Als sie jedoch nach dem fünften Mal nicht ran ging, verstummte ihr Handy.

Währenddessen saß Paddy verzweifelt auf den Stufen vor dem Hotel in China und vergrub sein Gesicht in den Händen. Ihm war klar, dass er das langersehnte Wiedersehen verbockt hatte, doch auch ihm wurde mittlerweile alles zu viel. Auch wenn er gewollt hätte, konnte er auf Hannah nicht sauer sein. Er verstand ihre Lage nur zu gut und hätte vermutlich genauso reagiert. Paddy vermisste Hannah, wahrscheinlich mehr als er jemals zugeben oder zeigen würde, doch er hatte das Gefühl immer der Starke sein zu müssen, der, der immer lacht und für jeden Konflikt eine Lösung findet, um nicht nur seiner Familie oder Freunden, sondern auch den Fans gerecht zu werden. Der Streit mit Hannah ließ Tränen in seinen Augen aufsteigen. Er bemerkte nicht, dass Maite sich von hinten näherte, sich neben ihn setzte und ihn sanft eine Hand auf seine Schulter legte. Paddy erschrak und wischte sich mit seinem Ärmel über seine Augen. „Was ist passiert?", fragte Maite einfühlsam, doch Paddy schüttelte den Kopf und setzte sein gespieltes Lächeln auf. „Nichts, nur ein bisschen Stress mit Hannah. Sonst ist alles gut. Ich wollte eh gerade rein gehen und ins Bett." Er stand auf und wimmelte seine kleine Schwester ab, die ihm besorgt hinterher sah.

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Ihr lieben,

vielen Dank für 8000 reads und für mittlweile 1000 Abstimmungen <3 Es freut mich wirklich sehr, dass so viele die Geschichte lesen! :)

Zwischen Liebe und FreundschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt