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„Wir sollten jetzt gehen." Sandra sah Hannah streng in die Augen. „Du hast es gehört, ich muss dann mal nach Hause. Danke für alles." Sie umarmte Emil. „Wenn etwas sein sollte, meine Nummer hast du ja." Sie nickte und torkelte auf ihre Freundinnen zu. Sandra war außer sich und auch Nicole schien die Situation völlig falsch einzuschätzen. „Was zur Hölle ist in dich gefahren? Verziehst du dich einfach mit einem Typen. Hast du etwa vergessen, wie es ist betrogen zu werden?" „Ich habe niemanden betrogen.", versuchte sich Hannah zu erklären, doch Sandra hörte ihr nicht zu. „Ich hatte gleich ein komisches Gefühl, als du mich nach der Party gefragt hast. Und als du tanzend mit einer Flasche Rum zu Nirvana gesungen hast, hätte ich die Notbremse ziehen müssen." Hannah gab auf sich zu verteidigen und ließ sich von Sandra und Nicole nach Hause bringen.

Der nächste Morgen war für Hannah alles andere als angenehm. Mit stechenden Kopfschmerzen wachte sie auf, in ihrem Magen rumorte es gewaltig. Langsam setzte sie sich auf und schaute auf die Uhr, die bereits 15 Uhr anzeigte. „Alkohol sollte man wirklich verbieten", nuschelte sie vor sich hin und ging aus ihrem Zimmer. Ihre Kehle war staubtrocken und sehnte sich nach Wasser. Als Hannah die Küche betrat, wurde sie gleichgültig von Sandra begrüßt, die mit Nicole am Tisch saß. „Ist das Partyluder auch schon wach?" „Sandra, lass gut sein", sagte Hannah müde und löschte ihren Durst mit einem Glas Wasser. „Was hast du dir gestern nur dabei gedacht?" Hannah ließ sich mit der Antwort Zeit. Schließlich würde das hier eine längere Diskussion werden und so wie es aussah musste sie Sandra gegenüber einiges klarstellen. Sie setzte sich auf einen freien Stuhl und rieb sich die Schläfen. „Es ist alles ganz anders als du denkst." „Ach ja? Dann erklär mal." Hannah erzählte von dem Telefonat mit Paddy und auch, dass sie sich um Emil überhaupt keine Gedanken machen musste. Sandra schaute skeptisch drein, während Nicole Hannah gut verstand und verständnisvoll eine Hand auf ihre Schulter legte. „Weißt du, wir haben schon vor einiger Zeit bemerkt, dass dich die Fernbeziehung belastet und ich kann sehr gut verstehen, dass es schwierig für dich ist.", sagte Nicole, „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch für Paddy nicht einfach ist." „Apropos, Paddy", warf Sandra nun ins Gespräch mit ein, „Dein Handy klingelt ununterbrochen." Sie stand auf und reichte Hannah ihr Handy, das auf der Küchenablage lag. Hannah stöhnte laut auf. „Na super. Was soll ich ihm denn sagen? ‚Ja, ich finde es echt scheiße, dass wir uns wieder monatelang nicht sehen und deswegen gebe ich mir die Kante?' „Zum Beispiel.", erwiderte Sandra selbstgefällig mit einem Grinsen im Gesicht. Wie abgesprochen klingelte Hannahs Handy. „War ja klar, dass ausgerechnet jetzt Maite anrufen muss. Jetzt darf ich mir auch noch eine Standpauke von ihr anhören." Sie stand auf, nahm sich ihr Handy und verschwand in ihr Zimmer, um in Ruhe telefonieren zu können. „Hey, Maite. Du rufst gerade echt unpassend an. Hallo?" Am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand, so dass Hannah mehrmals nachfragen musste, ob jemand dran war. „Bei Maite kannst du also ran gehen." Sie erstarrte als sie die monotone Stimme von Paddy erkannte. Sie hat mit schlechtem Empfang, einem Funkloch oder etwas anderem gerechnet, aber nicht damit, dass sie nun das Gespräch mit Paddy führen musste, das sie so gerne weiter hinausgezögert hätte. „Tut mir leid. Ich bin gerade erst wach geworden und Sandra hat mir erzählt, dass du versucht hast anzurufen.", gab sie als ehrliche Antwort. Hannah wusste nicht, was sie sagen sollte und auch Paddy fand keine passenden Worte, so dass sie sich anschwiegen. „Wirklich tolles Gespräch", sagte Paddy nach einer Weile genervt. „Du hast mich doch angerufen." „Ja..." Wieder herrschte Stille. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt Hannah diese Spannung einfach nicht mehr aus. „Paddy, so kann das nicht weiter gehen. Entweder du sagst jetzt etwas oder wir legen auf. Das bringt doch so nichts." „Hast du denn gar nichts zu sagen?" In Hannahs Kopf hämmerte es. Sie hätte ihn so viele Dinge sagen wollen, vor allem, dass es ihr leidtut, wie es gestern gelaufen ist, dass sie einfach nur enttäuscht darüber war, dass sie sich nicht sehen und ihn schrecklich vermisste. Doch in ihr stauten sich alle Gedanken, die nicht ausgesprochen werden wollten. „Nein, eigentlich nicht." Sie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und hämmerte mit ihrer flachen Hand gegen ihre Stirn. „Gut, dann bringt das wohl wirklich nichts. Bis dann." „Bis...", doch weiter kam Hannah nicht, da Paddy, ohne auf eine Antwort abzuwarten, aufgelegt hatte. Hannah starrte auf ihr Handy und wurde trotzig. „Wie kann man nur so unglaublich stur sein?" Genervt ließ sie sich ins Bett fallen und zog die Decke über ihren Kopf. Wen sie mit stur gemeint hatte, war ihr gerade selbst nicht klar, da es tatsächlich sowohl auf sie selbst als auch auf Paddy zutreffen konnte. Über ihre Gedanken grübelnd döste Hannah vor sich hin, bis sie wieder in einen tiefen Schlaf verfallen war.

In der Nacht träumte Hannah wirres Zeug. Schweißgebadet schreckte sie hoch und ließ sich erleichtert, dass es nur ein Traum gewesen war, zurück in ihre Kissen sinken. Dennoch ließ sie diese eine Traumsequenz, in der sie Paddy verlor, nicht los, so dass sie kurzer Hand zu ihrem Telefon griff und Paddys Nummer wählte. Es klingelte, als sie auf die Uhr schaute, sich aber nicht darum scherte wie spät es eigentlich war. „Ja?", ertönte eine kratzige Stimme. „Hey, ich bin's." „Mhh, ja das höre ich. Sag mal, ist es bei dir nicht mitten in der Nacht?", fragte Paddy müde und unterdrückte ein Gähnen. „Ja, kann man so sagen. Paddy, ich..." Er vernahm ihre zittrige Stimme und war mit einem Mal hellwach. „Ist alles ok bei dir?" „Paddy, es tut mir leid. Ich war so enttäuscht, dass es mal wieder nicht mit einem längeren Treffen geklappt hat und...", sie versuchte gegen ihre Tränen anzukämpfen, doch vergebens. „Ich vermisse dich so." „Hey nicht weinen.", versuchte er sie trösten. Es quälte ihn sie so weinen zu hören, ohne dass er sie in den Arm nehmen konnte. So zerbrechlich hat Paddy Hannah noch nie erlebt, dass es ihn einen Stich ins Herz versetzte. „Mir tut es auch leid, Hannah. Bitte hör auf zu weinen." Er fühlte sich hilflos und wusste nicht wie er mit dieser Situation umgehen sollte, vor allem, weil er tausende Kilometer weit entfernt war. „Ich vermisse dich auch.", flüsterte Paddy kaum hörbar und lauschte dem Schluchzen am anderen Ende der Welt. Hannah fing sich nach einer Zeit wieder und riss sich zusammen. „Weißt du eigentlich, dass wir ganz schön bescheuert sind?" Sie hörte Paddys Lächeln. „Weil wir beide einen Dickkopf haben?" „Ja, weil wir heute Nachmittag schon hätten reden können. Was wolltest du mir eigentlich sagen?" Paddy seufzte. „Na, was wohl? Dass es mir leidtut. Du weißt genau, dass ich Gefühle nicht so gut in Worte verpacken kann, wie ich es gerne wollen würde, aber da war noch etwas, was ich dir sagen wollte. Eigentlich sollte es eine Überraschung sein, aber ich sag es dir einfach." Paddy machte eine theatralische Pause. „Weißt du noch, als ich gesagt habe, dass ich mir dir verreisen will?" „Ja...?", antwortete Hannah zögernd und hatte keinen blassen Schimmer worauf Paddy hinaus wollte. „Naja es sind zwar noch ein paar Wochen hin, aber wir haben nur ein einziges Konzert in Cork und ein paar Tage ohne Termine. Ich dachte, vielleicht hättest du Lust mit mir ein paar Tage in Irland zu verbringen?" „Da fragst du noch? Natürlich!" Hannahs Herz machte einen Hüpfer. „Du bist dir aber sicher, dass das wirklich klappt und nichts dazwischenkommt? Nicht, dass du wieder irgendwelchen Terminen zusagst." „Keine Angst, da wird nichts dazwischenkommen. Die anderen planen auch ein paar Tage Auszeit." „Oh ich freu mich so. Und wann wäre unser Urlaub?" Paddy besprach mit Hannah noch ein paar Einzelheiten und planten gemeinsam, was sie in den paar Tagen alles machen könnten, ehe sie sich voneinander verabschiedeten.

Zwischen Liebe und FreundschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt