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Jo und Liz saßen im Esszimmer, das an die Küche angrenzte. Vor ihnen ein Teller teilweise verbrannter, unförmiger Pfannkuchen. „Sie schmecken widerlich, gib's zu.", sagte Jo mit dem Mund voller Pfannkuchen und schaute zu Liz. „Ach quatsch, sie sind gar nicht so schlimm.". Josie lachte: „Also fast scheiße?", „Das hast du jetzt gesagt.", meinte Liz und musste auch lachen.

Sie hatte ein paar Kerzen auf dem Tisch und im Haus angezündet, die ihr gemütliches Licht verbreitenden. Auf eine beruhigende Weise sagten sie: „Dieser Tag muss nicht vorbei gehen. Es kann immer so sein.". Und fast hätte Liz es ihnen geglaubt. Aber das würde bedeuten, sie und ihrer Freundin hätte ein normales Leben. Unvorstellbar. Die Kerzen würden verlöschen und ihr Licht und ihre Atmosphäre würden verpuffen, als wären sie nie da gewesen.

Wie Liz ihren Gedanken so hinterher hing, fielen vor den Fenstern schwere Tropfen auf den Asphalt vorm Haus. Ein gewöhnlicher, regnerischer Tag Ende August. Und trotzdem. Er hatte einen spätsommerlichen Zauber, stimmte auf den Herbst ein, auch wenn der eigentlich noch auf sie warten ließ. Liz freute sich auf den Herbst. Die Vorstellung, durch rot-oranges Laub zu schlendern, von überraschenden Regenfällen ins Haus gescheucht zu werden oder frische, selbstgesammelte Kastanien im Ofen zu riechen, gefiel Liz. Doch in ihrem Kopf hielt sie bei Spaziergängen durch herbstliche Wälder Jo an der Hand, sie rannte mit ihr durch den Regen und sie saß mit ihr auf dem Sofa und schälte Kastanien.

„An was denkst du?", holte Jo sie wieder in die Realität zurück. Erst jetzt bemerkte Liz, dass sie leise lächelte und mit einem zusammengerollten Pfannkuchen in der Hand aus dem Fenster starrte. „Ach, nicht so wichtig.", meinte Sie und biss ein Stück von ihrem Pfannkuchen ab. „Hoffentlich klart das heute noch auf, sonst können wir unseren Plan vergessen.", sagte Jo nach einer Weile, nun schaute auch sie aus dem Fenster. Liz stimmte ihr mit einem Nicken zu. Natürlich hatte sie den sogenannten Plan von Jo nicht vergessen.

Kaum eine viertel Stunde später, waren alle Pfannkuchen gegessen bis auf ein paar, die für Liz Mutter bestimmt waren. Es hatte fast aufgehört zu regnen und die beiden Mädchen waren in Liz Zimmer gegangen, um sich anständige Klamotten anzuziehen. Liz hatte mit ihrer Mutter ausgemacht, spätestens gegen sieben Uhr diesen Abend zu Hause zu sein. Jo, die auf ihrer leicht überstürzten Fluch zu Liz nur wenige Klamotten mitnehmen konnte, bekam ein Hemd in die Hand gedrückt in dem sie zwar etwas verloren, aber – wie Liz fand – auch sexy aussah.

Nach kurzer Zeit waren beide Mädchen fertig und verließen mit zwei verschiedenen Schlüsseln bewaffnet das Haus – einer aus altem rostigem Metall, und passte somit perfekt zu dem alten Haus auf dem Festland, der andere neu und glänzend, passend für das neue Schloss, das vor Kurzem in der Haustür von Familie Sörens Haus seinen Platz gefunden hatte. Liz schwang sich auf ihr Rad, Jo setzte sich auf den Gepäckträger, da ihr Rad immer noch am Haus ihres Vaters stand. Auf diesem Weg kamen sie zwar etwas langsamer als sonst voran, aber wärend der langen Fahrt klarte der Himmel noch weiter auf und die Wolken ließen einige spärliche Sonnenstrahlen durch. Jo hatte die Hände um Liz Hüfte gelegt und so kamen sie am Fähranleger an, um die nächste Fähre zum Festland zu nehmen. Auch diese Fahrt fraß wieder massig Zeit und als das große Schiff aufs Land zusteuerte, neigte sich die Sonne schon dem Horizont zu.

„Ist es weit, bis zu dem Haus?", fragte Liz mit einem Blick zu Jo. „Keine Sorge, fünf Minuten vielleicht.", erwiderte die Braunhaarige wärend sie lächelnd die Hand ihrer Freundin nahm. Sie ließen das Rad am Hafen stehen und gingen nun zu Fuß am weißen Strand entlang. Schließlich gelangten sie in eine enge Straße, gesäumt von kleinen, beschaulichen Häuschen, allesamt liebevoll mit bunten Blumen dekoriert und jedes in einer eigenen Farbe gestrichen. Da war es nicht schwierig, zu erkennen, welches Haus die besagte verlassene Ruine sein soll. Es war größer und klobiger als die anderen, mit den harten staubgrauen Wänden, den kaputten Fensterläden und der nur noch mit Mühe in den Angeln hängenden Tür, von der der Blaue Lack abfiel und das morsche gräuliche Holz entblößte. Es ergab im Kontrast mit den anderen Bunten Häusern ein groteskes Bild.

Jo steckte den rostigen Schlüssel in das ebenso rostige Schloss und drehte ihn so behutsam, als würde sie eine antike Schatztruhe öffnen, die jede Sekunde auseinanderfallen könnte. Die Tür schwang langsam um quietschend auf. Sie gab nun den Blick auf einen staubigen, dunklen Raum frei. Man konnte beim besten Willen nicht erahnen, was in diesem Zimmer mal gestanden hat, welchem Zweck es mal gedient hat oder was hier mal gelebt hat. „Wow", meinte Liz mit ironischem Unterton und hochgezogenen Augenbrauen, „das ist, was du mir zeigen wolltest?", „Nein, das ist bei weitem nicht das beste. Komm mit!". Jo stieg die Steintreppen am Ende eines schmalen Ganges hinauf und winkte Liz zu, mit ihr mitzukommen. Der folgende Raum war eher ein Saal und hell erleuchtet, was hauptsächlich an dem großen Loch in der Decke lag. An einer Wand prangte ein farbiges Graffiti, die Sprühdosen standen seit einiger Zeit unberührt und mittlerweile staubig auf dem Boden. „Hast du das gemalt?", fragte Liz mit einem Kopfnicken zum bunten Beton. „Meine Ex. Sowas konnte sie gut.", Jo lachte bitter und richtete den Blick zu dem Loch in der Decke. „Ist wohl nicht so gut ausgegangen mit euch.", meinte Liz mit fragendem Unterton. „Mhm, geht so... sie ist abgehauen, in die große weite Welt. Hat sich nicht mal verabschiedet. Ihr Bruder hat mir später geschrieben, sie wäre nach London an eine Kunstakademie oder so gegangen.", erzählte Jo, die immer noch den Blick nach oben gerichtet hatte. „Aber egal, ich werd' jetzt mit dir nicht über meine Ex reden.", sie lachte kopfschüttelnd wärend sie eine Leiter an die Wand stellte. Das klapprige Holzgestell hatte schon bessere Tage gesehen und wirkte – verstaubt und mit zwei fehlenden Sprossen – nicht besonders Vertrauenserweckend.

„Du willst, dass ich da hoch klettere? Nicht im Ernst!", Liz schaute unglaubwürdig ihre Freundin an, doch diese konterte sofort mit: „Dann geh ich eben zuerst. Wenn sie mich hält, hält sie dich schon zweimal.". noch bevor Liz die Chance hatte, etwas zu erwidern, war Jo auf die erste Sprosse gestiegen. Also konnte Liz nur noch ein „Sei vorsichtig!" herausbringen, bevor die Brünette schon am oberen Ende der Leiter angekommen war und sich vorsichtig auf die dort abgebrochene Hauswand setzte. „Siehst du?! Nichts passiert, du kannst hochkommen.", meinte sie optimistisch zu ihrer immer noch skeptischen Freundin.

„Apropos Exfreunde", sagte die Größere der Beiden um nochmal auf das Thema zurück zu kommen, als sie schließlich sicher auf der Kante saßen, „erzähl doch mal von deinem.", „Von meinem Exfreund? Oh Gott, das hat auch kein gutes Ende genommen. Aber was willst du über den wissen? Das ist Vergangenheit. Vorbei, fertig aus!", „Eigentlich geht's mir gar nicht so um deinen Ex an sich...", „Sondern...?", „erinnerst du dich an diese eine Nacht?", „Du meinst DIE Nacht?", natürlich wusste Liz um welche bestimmte Sache es ging. „Du hast gesagt, du bist noch Jungfrau, obwohl du mit ihm ein halbes Jahr zusammen warst.", „Er heißt übrigens Tommy und ich verstehe nicht ganz, warum dich das so brennend interessiert.", „Ich bin einfach nur neugierig.", „Na dann, du Neugierige. Es ist einfach nie dazu gekommen. Zum einen, weil mein Vater nicht wollte, dass ich bei ihm oder er bei mir übernachtet oder länger als zwei Stunden zu Besuch bleibt. Außerdem war ich mir nie sicher, ob er wirklich der Richtige ist.", „Der Richtige? Also glaubst du ernsthaft an den ganzen Scheiß mit der einen wahren Liebe?", „Nein...", wenn man es so direkt aussprach, war es Liz plötzlich etwas peinlich, nicht zuletzt, weil sie realisierte, wie bescheuert ihr letzter Satz tatsächlich klang. „So hätte ich dich auch nicht eingeschätzt.", Jo sah grinsend zu ihrer Freundin. Liz war unterdessen damit beschäftigt, sich selbst einzuschätzen. In solchen Momenten war sie kurz davor, sich das Hirn aus dem Kopf zu reißen, das sie so verrückt machte mit dieser einen Frage. „Glaubst du an die wahre Liebe?". Als wäre das jetzt eine essenzielle, Existenz verändernde Frage. Gerade jetzt nahm Liz diese simple Frage zum Anlass, ihre gesamte Identität zu hinterfragen.

„Liz? Hey, Liz", schallte die Stimme ihrer Freundin aus weiter Entfernung und holte sie langsam wieder in die Realität zurück. „Ja, was?", „Was ist denn los mit dir?", auf Jos Stirn zeichnete sich eine feine Sorgenfalte ab. „N-nichts", stammelte Liz nur und zwang sich, die Frage los zu lassen. Sie kämpfte mit den Tränen. Die Wunde war noch zu frisch, Tommy noch nicht weit genug entfernt. Sie schaute zum Horizont. Er hatte sich rötlich verfärbt und lila Wolken schwebten unbeschwert in der kühler werdenden Luft.

„Komm schon. Du hast doch irgendetwas.", harkte Jo erneut nach, „Lass uns jetzt nicht darüber reden.", „Okay.". Jetzt schaute auch Jo zum Horizont und die Mädchen beobachteten, wie das abendliche Rot immer dunkler wurde.

You're my star (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt