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Jo griff verunsichert nach Liz Hand. Schon den ganzen Tag war sie ziemlich ruhig und angespannt gewesen. Doch jetzt, da sie vor dem Café stand und durch die Fenster in der Backsteinmauer die gekrümmte Gestalt von Pitt Engel ausmachen konnte, schien sie wie paralysiert. „Gehen wir?", fragte Liz vorsichtig, ohne ihrer Freundin Druck machen zu wollen. Jo wendete den Blick vom Fenster ab, nickte und betrat mit Liz zusammen den Raum.

Dort in einer Ecke saß er. Auf einem Stuhl in sich zusammengesunken, den leeren Blick auf die weiße Tischdecke gerichtet und die zittrigen Hände in den Schoß gelegt saß er da und sah mit seiner dürren Gestalt recht armselig aus. Pitt bemerkte die beiden Mädchen erst, als sie an den Tisch herantraten. Er hob den Kopf. Als er das Gesicht seiner Tochter erblickte, weiteten sich seine winzigen Augen in ihren dunklen Höhlen und der im grauen Vollbart versteckte Mund verzog sich zu einem Lächeln. Bei ihrer letzten Begegnung hätte Liz sich das nicht träumen lassen. „Josephine", sagte der Mann feststellend aber offensichtlich glücklich. „Hallo Papa", gab diese trocken zurück und setzte sich auf die Bank gegenüber ihrem Vater. Liz nahm neben ihrer Freundin Platz und wurde plötzlich von Pitt bemerkt. „Oh, du musst Liz sein. Wir sind uns schon mal begegnet, nicht wahr?", seine Stimme klang heiser und nicht wie die eines Fünfzigjährigen sondern wie die eines Achtzigjährigen. „Ja, allerdings.", gab Liz zurück und wirkte dabei bewusst nicht zu überschwänglich. „Ich bin äh... Pitt Engel.", stellte er sich vor und reichte Liz eine zittrige Hand. „Freut mich.", log Liz, lächelte kurz und schüttelte die Hand.

Der Mann legte jetzt beide Hände auf den Tisch und wandte sich wieder Jo zu. „Du hast dich nicht gemeldet.", sagte sie kühl und ausdruckslos. Pitt senkte schuldbewusst den Kopf. Es schien nicht so, als würde er bald antworten, also ergriff Jo wieder das Wort: „Weißt du, normalerweise machen sich Väter Sorgen um ihre Tochter, wenn sie verschwindet. Sie suchen sie, gehen zur Polizei oder fragen bei Freunden nach. Und du hast nicht mal angerufen. Warum? Willst du mich so dringend loswerden oder-", „Josie, es reicht! Du weißt, dass ich dich nicht loswerden will. Du weißt das ganz genau!", „Ja, das weiß ich, wer macht denn sonst die Wäsche oder räumt auf oder geht einkaufen?! Ich bin aber nicht deine Haushaltshilfe – ich bin deine Tochter verdammt!", „Josephine, hör mir bitte für einen Moment zu. Ja, du bist meine Tochter. Du bist alles, was mir von deiner Mutter geblieben ist. Ich hab dich vermisst, aber ich hab auch bemerkt, wie schrecklich das Leben mit mir sein muss. Und weil du meine Tochter bist, wollte ich dir das nicht mehr antun. Ich hab 'ne Therapie angefangen, ganz offiziell. Ich war am Wochenende in der ersten Sitzung. Verstehst du denn nicht? Ich mach das alles für dich – für uns.", bei den letzten Worten hatte er eine Hand auf Josies Arm gelegt und sah sie nahezu flehend an. Jo musste kurz durchatmen, dann lehnte sie sich zurück und zog ihren Arm vom Tisch. „Ein Anruf.", murmelte sie dann leise und schaute ihrem Vater in die Augen, „Es hätte nur ein Anruf sein müssen.", „Ich weiß... ich weiß", Pitt sah aus als sei er den Tränen nahe, seine Stimme war brüchiger geworden, „Es tut mir so leid. Alles tut mir so leid. Ich hab einen Fehler gemacht – nein, ich hab tausende Fehler gemacht und ich kann's verstehen, wenn du mir nicht verzeihen kannst, aber ich brauche dich. Ich mach alles wieder gut, ich schwöre es. Gib mir bitte noch 'ne Chance.".

Eine ganze Zeit lang sagte Jo nichts. Es herrschte eine angespannte Stille und niemand wagte es, ein Wort zu sagen. Schließlich konnte Josie sich zu einer Antwort bewegen. „Eine Therapie, sagst du? Was für eine? Kalter Entzug? Selbsthilfegruppe?", „Ja ich bin in 'ner Selbsthilfegruppe. Und ich mache 'nen Entzug", „Dann gib dir mal Mühe. Und räum auf, ich will, dass man in unserem Haus wohnen kann, wenn ich morgen wieder komme.". Pitt begann zu lächeln und kleine Fältchen umspielten seine müden Augen. Doch bevor er etwas sagen konnte kam die Bedienung an den Tisch. Die junge Frau trug ihre langen braunen Haare ordnungsgemäß in einem Pferdeschwanz und eine schwarze Schürze um die Hüften. Mit gezücktem Notizblock und aufgesetztem Lächeln fragte sie: „Was darf ich ihnen bringen?", „Danke, nichts. Wir wollten gerade gehen.", erwiderte Josie schnell wärend ihr Vater sich einen schwarzen Kaffee bestellte.

Wenig später verabschiedeten sie sich mit einem knappen ‚Tschüss' von Pitt Engel und verließen das Café. „Was denkst du?", fragte Liz und harte sich bei Jo ein. „Er meint's ernst. Oder zumindest ernster als jemals zuvor. Wenn er morgen nicht aufgeräumt hat oder es bald nochmal genauso losgeht, sag ich dir auf jeden Fall Bescheid. Dann finden wir schon 'ne Lösung, oder?", „Ja klar. Du kannst immer zu uns kommen. Meine Mutter würde dich glatt adoptieren.". Jo lächelte und legte den Arm um Liz, als ein kühler Wind aufzog.

„Und jetzt?", fragte Liz irgendwann, als sie durch die Fußgängerzone schlenderten. „Crêpes?", „Crêpes!".


Sooooooo.......... endlich mal wieder ein neuer Teil von mir. Außerdem noch großen Dank für 20K Reads <3

You're my star (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt