Kapitel 10

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Die Minuten verstrichen, doch die Person verließ die Toiletten nicht. Zwischendurch ertönte hin und wieder ein Schluchzen oder ein Seufzen. Ich sah auf mein Handy. Langsam musste ich wirklich hier raus und nach Hause. Der Unterricht war schon vorbei. Nervös kaute ich auf meinen Fingernägeln. Nach einigem Hin und Her schloss ich dann doch die Kabinentür auf. Augenblicklich verstummten die Geräusche dieser Person. Nicht mal ihr Atmen konnte ich noch hören. Adrenalin schoss durch meinen Körper und in meine Hand, während ich die Klinke runterdrückte. Ich atmete noch einmal tief durch und trat dann aus der Kabine heraus. Ich drehte mich dorthin, wo ich die Person vermutete. Doch was meine grünen Augen sahen, schmerzte mehr als alles, was mir jemals weh getan hatte.
Patrick saß zusammengesunken auf den Fliesen, sein Körper zitternd und bebend, den Kopf hängend. Er sah mich nicht an. Keine Sekunde lang. Nicht mal um einen Zentimeter hob er seinen Kopf. Ich war wie erstarrt.
Vorsichtig näherte ich mich ihm ein paar Schritte. Er sah nicht auf. Ich kniete mich vor ihm hin und legte eine Hand an seinen Arm und die andere auf sein Knie. Immer noch nichts. Keine Reaktion. "Patrick?", fragte ich mit zitternder Stimme. Da schnellte sein Kopf hoch. Ich sah in seine kastanienbraunen Augen, die sonst so schön funkelten. Sie waren leicht gerötet, verweint. "W-was ist denn passiert, Pa-", doch weiter kam ich nicht, denn er schnellte vor und schloss seine Arme um mich. So fest wie noch nie jemand zuvor. Für eine Sekunde wusste ich nicht, was ich tun sollte, doch dann drückte auch ich ihn an mich. Minute um Minute verging, doch Patrick hielt mich weiter fest. Ich fing an, Kreise und andere Figuren auf seinen Rücken zu malen. Irgendwann fasste ich dann doch den Mut zu reden. "Weißt du, du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst." Er drückte wieder etwas fester. "Luuft!", sagte ich und verstellte meine Stimme dabei etwas. Augenblicklich ließ Patrick locker, doch ganz los ließ er nicht. Seine Finger krallten sich etwas in meinen Rücken. Ich musste ihm wirklich Angst gemacht haben. Sofort bereute ich meine Tat. "Hey, alles gut. So doll war's nicht.", versuchte ich, ihn zu beruhigen. Da wurde der Druck wieder größer. "Kürbiskopf.", flüsterte Patrick mit belegter Stimme. "Selber.", grinste ich. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Dopamin in meinem Körper. Irgendwann lösten wir uns dann leider doch. Patrick wischte sich die Tränen und den Schnodder weg und wir standen auf. "Danke, Manu.", sagte Patrick, als wir gerade die Toiletten verließen. "Manu?", wiederholte ich ihn. "Nicht gut? Entschuldige. Dann bleibe ich bei Manuel und Kürbiskopf.", meinte er lächelnd, aber man merkte, dass er etwas enttäuscht war. "Nein, nein! Manu ist gut.", erwiderte ich schnell. Ich war nur so überrascht über den Spitznamen gewesen. "Manu...?" Ich drehte mich um und sah ihn erwartungsvoll an. "Mir ist noch etwas schwindelig...darf ich mich bei dir festhalten?", fragte er kleinlaut. Ich konnte es nicht verhindern, dass ich grinste. Dann nickte ich. Patrick strahlte, doch auch er versuchte, es etwas zu verbergen. Das gelang ihm allerdings genauso gut wie mir, nämlich überhaupt nicht. Ich dachte, er würde sich an meiner Schulter oder an meinem Arm festhalten wollen, doch stattdessen ergriff er meine Hand. Die Röte schoss mir ins Gesicht, doch dann drückte auch ich seine Hand. Und so holten wir unsere Rucksäcke und bewegten uns dann in Richtung Ausgang. Doch als ich die Tür öffnen wollte, hatten wir ein böses Erwachen. Sie ließ sich nicht öffnen. Es war zu. Wir waren die letzten. Die Schule war verschlossen. "Das kann doch nicht sein! Die Putzfrauen hätten doch auch die Toiletten sauber machen müssen!", rief ich verzweifelt und aufgebracht. Patrick jedoch blieb ganz ruhig und sagte: "Ich glaube, eine der Putzfrauen ist seit einer Woche oder so krank." "Aber dann hätte doch zumindest die andere kommen müssen.", erwiderte ich. "Das ist glaube ich die etwas faulere. Die geht nie alle Räume durch. Darüber hat sich doch Herr Lohbach mal so aufgeregt." Herr Lohbach war unser Direktor und es stimmte, was Patrick sagte. Nicht nur einmal hatte er sich über sie beschwert. "Heißt das, wir müssen bis morgen früh hier bleiben?", fragte ich entsetzt. Er nickte. "Scheint so." "Meine Mutter! Sie wird sich bestimmt Sorgen machen! Du musst deinen Eltern auch Bescheid sagen.", sagte ich und suchte mit meiner freien Hand nach meinem Handy. Die andere hielt immer noch Patricks. "Ich hab mein Handy Zuhause vergessen.", meinte er daraufhin. "Macht nichts.", sagte ich und fand endlich meins in einer meiner Taschen, "Du kannst meins benutz-" Ich stockte. Der schwarze Bildschirm wollte einfach nicht verschwinden und meinem Sperrbildschirm Platz machen. "Akku leer.", meinte ich emotionslos. Jetzt war alle Hoffnung verloren.
"Dann verbringen wir wohl die Nacht hier.", erwiderte Patrick.
Zusammen, schoss es mir durch den Kopf.

Kürbisköpfe || KürbisTumor FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt