Kapitel 17

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Patricks Sicht

Innerhalb von Sekunden huschten mir tausende von Ausreden durch meinen Kopf. Von Herpes über Grippe bis hin zu AIDS. Aber das alles war unrealistisch und unglaubwürdig. Ich sah zu Lee. Sie schien nicht sehr angetan von der Idee, doch ich glaubte, ein leichtes Nicken zu vernehmen. "Ich bin immer etwas schüchtern, was das angeht. Du weißt schon in der Öffentlichkeit und so.", meinte sie zu Freddie. Dieser nickte nur verständnisvoll, sah sich um und versicherte ihr dann: "Keiner da, der euch sehen könnte, keine Sorge." Sie lachte etwas gespielt und nervös zugleich und wand sich dann wieder mir zu. "Na dann, Babe."
Mein Herz pochte immer schneller, nicht wie bei Manu, mehr als würde ich gleich einen Test schreiben, für den ich nicht gelernt hatte. Langsam näherte ich mich ihr. Dann lagen unsere Lippen aufeinander. Schneller als erwartet. Ich nahm eine Hand an ihre Wange, um es realistischer aussehen zu lassen. Da erklangen auf einmal Schritte im Flur, doch zu meiner Überraschung hörte es sich nicht an, als würden sie auf uns zu kommen. Sie schienen wegzurennen. Wir lösten uns und ich starrte sofort in die Richtung, aus der ich meinte, die Geräusche vernommen zu haben. Nichts. Ich hatte mich wohl getäuscht.
"Na gut. Dann lasse ich das Pärchen mal allein.", sagte Freddie und es schwang etwas Trauer in seiner Stimme mit. Er tat mir leid, aber jetzt war es erstmal Zeit, Dan zu suchen.

In der Cafeteria wurden wir dann letztendlich fündig.
"Wie machen wir das jetzt am besten?", fragte ich Lee etwas hilflos.
"Ähm. Gute Frage." Sie trat nervös von einem Bein auf's andere.
Doch Dan nahm uns diese Entscheidung ab. Er stand von seinem Tisch auf und kam direkt zu uns.
"Hey! Lee!", rief er schon aus einigen Metern Entfernung.
Die Angesprochene zuckte bei diesen Worten kurz zusammen und drehte sich dann kreidebleich um.
"Uhm...h-hey, Dan.", stotterte sie.
Ich stockte. Noch nie hatte ich sie stottern hören. Konnte es sein, dass...

Manus Sicht

Wie konnte er mir das nur antun? Er hat sie geküsst. Er hat sie verdammt nochmal einfach geküsst! Dieser Mistkerl! War alles, was er gesagt oder getan hat, nur vorgespielt?
Ich rannte aus der Schule. Ich rannte die Straßen runter. Ich rannte durch den Park. Ich rannte bis meine Füße so weh taten, dass sie mich nicht länger tragen wollten. Also hörten sie auf und so fiel ich einfach hin. Ich falle öfter. Doch diesmal tat es nicht weh. Vielleicht war auch nur der Schmerz so klein im Vergleich zu dem in meinem Herzen, dass ich ihn nicht wahrnahm. Vor meinen Augen tanzten Schatten und Lichter Ballett zu einem Rhythmus, der dem meines Herzschlages glich. Ich wusste nicht, wo ich war und eigentlich war mir das auch ziemlich egal. Mit zitternden Händen fasste ich in meine Hosentasche. Meine rechte Hand war etwas aufgeschrammt vom Fall, doch ich spürte kein Brennen, auch wenn ich mir sicher war, dass es da war. Meine Fingerspitzen stießen auf kaltes Metall. Ich ergriff es und zog es langsam heraus. Dann ließ ich es vor meinen Augen baumeln. Der Metallring rutschte dabei fast von meinem Finger, doch ich griff ihn fester, als er drohte zu fallen. Ich starrte auf den Anhänger. Meine Sicht wurde langsam verschwommen. Weinte ich etwa? Doch auch mit unklarer Sicht stach die Farbe des kleinen Anhängsels hervor.
Das Orange des metallenen Kürbisses.
Den würde er nicht mehr bekommen. Nun erschien er mir auch viel zu kitschig. Was hatte ich mir nur gedacht, als ich den gekauft habe?
Patrick. Das war mein erster Gedanke gewesen, als ich ihn erblickte. Und auch jetzt noch löste er nichts anderes als diesen Gedanken aus. Die Sonne traf ihn und er reflektierte sie, als hätte er nie etwas anderes getan. Meine Miene verfinsterte sich. Entschlossen wischte ich mir die Tränen aus den Augen und raffte mich mühsam auf. Ich taumelte Schritt für Schritt den Weg entlang, bis ich zur Mühlenbrücke kam. Sie hieß so, weil hier früher mal eine Wassermühle stand, aber die wurde schon vor einiger Zeit zerstört. Ich versuchte mich zu erinnern, ob sie abgebrannt sei oder im zweiten Weltkrieg von einer Bombe getroffen wurde, doch es fiel mir beim besten Willen nicht ein. Ich zog mich am Geländer der Brücke hoch bis zu ihrer Mitte und dort sah ich hinab auf den Bach, der friedlich - fast idyllisch - dort entlang plätscherte. Noch einen letzten Blick schenkte ich dem Anhänger und dann...dann landete er im Wasser. Ich sah zu, wie er sank. Selbst als er schon längst nicht mehr zu sehen war (und der Fluss war höchstens einen Meter tief, wahrscheinlich weitaus weniger), starrte ich noch immer auf die Stelle, an der er die Oberfläche durchdrungen hatte und eingetaucht war. Es fühlte sich an wie Stunden, bis ich meinen Blick vom Wasser löste und an der dicken Mauer der Brücke hinunter auf die Pflastersteine sank. Dort blieb ich. Sollte er doch verzweifelnd nach mir suchen und mich nicht finden. Wenn er überhaupt suchen würde...

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 19, 2020 ⏰

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