Als die Schule endlich vorbei ist und ich erschöpft zu meinem Fahrrad gehe, merke ich, dass es nicht mehr am Zaun steht. Anscheinend hat es doch jemand geklaut oder zumindest in den nächsten Graben geworfen. Verdammt, jetzt muss ich auch noch zu Fuß nach Hause gehen.
Als ich zu Hause ankomme, tun mir die Füße weh. Ausgerechnet heute war meine Schultasche besonders schwer. Ich schleppe mich in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Dann merke ich, dass ich Rodneys wildes Auf-und-Ab-Rennen im Käfig gar nicht höre. Ich setze mich auf. »Rodney?« Ich sehe den offenen Käfig und die Zimmertür, die einen Spalt breit geöffnet ist, sodass eine Ratte geradewegs hindurch passen würde, und dann höre ich auch schon den Schrei aus der Küche. Ich springe auf und renne dort hin. Meine Mutter steht auf einem der Küchenstühle und schreit:
»Nimm das Ding da weg, sofort!«
Wenn sie endlich aufhören würde zu schreien, würde ich ihr jetzt sagen, dass sie auf dem Stuhl genauso sicher ist wie auf dem Boden, aber sie schreit und schreit und hört einfach nicht auf. Auf einem der Küchenschränke sitzt Rodney und zittert. Er ist völlig verängstigt und sieht so aus, als könnte er sich keinen Zentimeter von der Stelle bewegen. Das Schreien ist ohrenbetäubend und nicht zum Aushalten. »Na schön, ich werd ihn da runter holen, aber würdest du jetzt bitte, bitte aufhören zu schreien!!!« Langsam wird das Schreien leiser, bis nur noch ein Wimmern zu hören ist. Ich seufze und klettere auf die Küchenanrichte. Von dort aus greife ich auf den Küchenschrank und schnappe mir Rodney. Ich bringe ihn schnell in mein Zimmer, damit er weit weg von meiner Mutter ist, sobald sie von ihrem Stuhl geklettert ist. »Er ist wieder im Käfig, du kannst jetzt von deinem Stuhl runter kommen«, rufe ich in die Küche, nachdem ich Rodney hastig in den Käfig gesetzt habe. Ich gehe in die Küche zurück, weil ich weiß, dass ich eh nicht drum herum kommen werde.
»Wieso war dieses Vieh in meiner Küche, kannst du mir das verraten Carolin???«, zetert sie los.
»Tut mir leid, ich hab vergessen, die Käfigtür zuzumachen.«
»Wenn das noch ein einziges Mal passiert, dann landet das Vieh im Tierheim oder, noch besser, auf der Straße. Hast du das verstanden Carolin?«
Ich sage nichts, ich starre sie einfach nur böse an.
»Ob du mich verstanden hast, hab ich gefragt.«
Bevor ich explodiere, drehe ich mich um und gehe einfach. Aber dann, als ich durch die Tür zu meinem Zimmer gehe, knalle ich die Tür mit voller Wucht hinter mir zu. Am liebsten würde ich sie gleich wieder aufmachen und nochmal zuknallen oder irgendwas umwerfen, am besten irgendwas, was meiner Mutter gehört, aber dazu kommt es nicht. Die Tür geht auf und meine Mutter geht zielstrebig auf den Rattenkäfig zu. Zuerst verstehe ich nicht, was sie vorhat, aber dann wird es mir klar.
»Wag es nicht, den Käfig auchnur anzufassen!«, knurre ich sie an. Für einen Moment glaube ich, dass sie es nicht tun wird oder dass sie sich zu sehr ekelt, den Käfig zu öffnen. Aber dann nimmt sie einfach den ganzen Käfig mit. »Nein … NEIN.« Ich renne ihr nach. »DAS KANNST DU NICHT MACHEN, DU KANNST IHN MIR NICHT WEGNEHMEN!!!«
Sie stellt den Käfig auf den Wohnzimmertisch. »Ach nein, kann ich nicht?« Sie schaut mich triumphierend an.
»NEIN!« Ich stürze mich auf den Käfig, aber sie packt mich am Arm und zerrt mich in mein Zimmer. Sie sperrt mich ein. Ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss umdreht. »NEIN!« Ich rüttele an der Klinke und werfe mich gegen die Tür. »RODNEY!« Jetzt kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich schlage und hämmere so heftig gegen die Tür, dass es weh tut. »WIESO TUST DU DAS???«
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Ich bin anders
Teen FictionCarolin ist unzufrieden. Nie klappt etwas in ihrem Leben, und keiner außer ihrer Ratte Rodney scheint sie zu verstehen. In der Schule versucht sie sich, trotz der ständigen Tyrannei der Lehrer irgendwie durchzuschlagen, doch als sie unfreiwilligerwe...