Kapitel 15

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Am Freitag nach der Schule ist die Ausstellung, bei der meine Bilder aushängen werden. Alle Schüler und deren Eltern sind eingeladen, sich die verschiedenen Kunstprojekte anzusehen. Es wird Kaffee und Kuchen für einen guten Zweck verkauft und die Schulband sorgt für Musik. Letzten Mittwoch, als ich nach dem Unterricht noch da bleiben sollte, hatte mich Frau Schweighöfer dazu überredet, auch zu kommen, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Sie war überzeugt gewesen, mich auch noch dazu zu bringen, meine Mutter mitzubringen, aber das hatte sie dann doch nicht geschafft. Ich habe nicht vor, ihr überhaupt etwas davon zu erzählen, also hinterlasse ich ihr, bevor ich am Freitagmorgen die Wohnung verlasse, einen Zettel auf dem steht, dass ich nach der Schule noch bei Freunden bin. Das entspricht zwar nicht der Wahrheit, hält sie aber davon ab, plötzlich in der Schule aufzutauchen und mich vor allen Anwesenden bloßzustellen. Ich glaube zwar kaum, dass sie sich diese Mühe machen würde, aber sicher ist sicher.

Obwohl die erste Stunde ausfällt, ist es mal wieder viel zu spät, um noch pünktlich zu kommen, zumal ich seit einiger Zeit nicht mehr den Weg durch den Park sondern außen herum nehme. Dass das total albern ist, weiß ich, aber ich ignoriere die innere Stimme, die mich dafür verspottet. Ich habe mir vorgenommen, den Park, die Brücke und die Gedanken, die mir dabei in den Sinn kommen, für immer aus meinem Kopf zu verbannen. Ich will nicht mehr so denken, oder zumindest will ich so tun, als würde ich nicht mehr so denken. Und das geht nun mal nur, indem ich außen herum gehe.

Zuspätkommen ist immer dann am schlimmsten, wenn man eine Person warten lässt, die einen hasst und weiß, dass man sie selber noch mehr hasst. Das bekomme ich heute so richtig zu spüren, als mir die anscheinend sowieso schon sehr aufgebrachte Frau Engelhart eine Strafpredigt hält. »Carolin, ich bin es langsam leid, dass du jeden Tag zu spät kommst. Heute. Siebte Stunde. Nachsitzen!«

Ich starre sie an. »Aber das geht nicht, ich muss heute nach der Schule bei den Vorbereitungen für die Ausstellung mithelfen.«

Frau Engelhart, der es anscheinend missfällt, dass ich es auch nur wage, ihr zu wiedersprechen, zieht eine Augenbraue hoch. »Tja, das hättest du dir überlegen sollen, bevor du fast fünfzehn Minuten zu spät zu meinem Unterricht erschienen bist. Ein Wunder, dass du überhaupt erscheinst«, spottet sie.

Meine Klassenkameraden kichern leise, besonders Sophie scheint es wahre Freude zu bereiten, mich gedemütigt zu sehen. Ich funkle sie wütend an und steuere meinen Platz neben Tim an. Von all den Tagen, an denen ich zu spät zu Frau Engelharts Unterricht kam, musste sie sich natürlich ausgerechnet diesen aussuchen, um mich dafür zu bestrafen. Vielen Dank Universum, ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass du mich jedes Mal, kurz bevor ich dich vergesse, mit einem Tritt in den Hintern an deine Existenz erinnerst. Missmutig lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen. Wenigstens beginnt die Ausstellung erst um drei. Ich muss bloß der einzigen Lehrerin, die mich wirklich zu mögen scheint, sagen, dass ich ihr nicht helfen kann, weil ich nachsitzen muss. Das wirft mal wieder ein so tolles Licht auf mich, dass ich sogar im Dunkeln aus zehn Kilometern Entfernung zu sehen bin.

*

»Wieso hast du eigentlich deine Gitarre dabei?«, frage ich Tim in der großen Pause. Ich hatte sie schon vorher bemerkt, aber vermutet, dass er sie für den Musikunterricht braucht. Als er sie im Musikraum aber einfach nur achtlos in eine Ecke gestellt und den Rest der Stunde nicht mehr beachtet hat, wurde mir klar, dass er sie für irgendwas anderes braucht.

»Ach das. Der Typ aus der Schülerband, der heute bei der Ausstellung Gitarre spielen sollte, ist krank und sein Musiklehrer hat mich gebeten, für ihn einzuspringen.

»Oh, das heißt dann, du bis heute auch da«, stelle ich fest.

»Ja«, sagt er. »Ich soll nach der sechsten Stunde zur Generalprobe in die Aula kommen.«

Ich bin andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt