Kapitel 16

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Als ich mich nach einigen Minuten wieder gefasst habe, gehen wir zurück ins Gebäude. Tim meint, dass nicht alle Bilder zerstört worden sind. In der Aula herrscht wieder die gewohnte Aufregung. In nur wenigen Minuten werden die Besucher kommen. Ein paar von Frau Schweighöfers Schülern sind gerade dabei, die beschmierten Bilder wieder abzunehmen und die leeren Stellwände hinauszutragen. Ich gehe auf sie zu.

»Ist schon okay, wir machen das«, sage ich zu einem Sechstklässler mit dunklen Haaren und Hornbrille, der mich angsterfüllt ansieht, so als würde ich jeden Moment ausrasten und wild um mich schlagen.

Der Junge senkt den Blick und er und seine Freunde verschwinden so, als ob sie gerade eine Naturkatastrophe überlebt hätten. Einer von ihnen dreht sich zu mir um, und ich starre fragend zurück. Panisch dreht er sich wieder nach vorne und die gesamte Gruppe bewegt sich plötzlich in einem schnelleren Tempo vorwärts.

»Was haben die denn alle?«, frage ich Tim, der schon damit begonnen hat, die Arbeit der Jungs fortzuführen. »So wie es aussieht, rechnen sie alle damit, dass ich sie zu Kleinholz verarbeite.« Tim sieht von seiner Arbeit auf, um die Jungs zu beobachten.

»Wahrscheinlich haben sie damit gerechnet, dass du wütend bist. Was sehr verständlich wäre.«

Ich beginne, die Stecknadeln von einem der zerstörten Bilder zu lösen. Es ist die Winterlandschaft, die ich in der ersten Kunststunde gemalt hatte, als Tim neben mir saß. »Ich bin wütend, und zwar auf die Person, die das getan hat«, sage ich.

Tim zuckt mit den Schultern. »Vielleicht dachten sie, dass du denkst, dass sie es waren.

»Das ist lächerlich«, sage ich. »Ich weiß zwar nicht, wer es war, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich jeden verdächtige, der meine Bilder auch nur angefasst hat.«

»Es kann jeder gewesen sein. Während des Unterrichts war niemand hier«, stimmt mir Tim zu. »Und außerdem gibt es bestimmt viele, die eifersüchtig auf deine Bilder sind.«

Ich halte inne. »Oder«, sage ich, »derjenige war eifersüchtig auf etwas ganz anderes.« Bei den letzten Worten sehe ich Tim direkt in die Augen und auch ihm scheint plötzlich ein Licht aufzugehen.

»Sophie«, sagt er leise, während ihm alles klar wird. »Sie war in der letzten Stunde nicht im Unterricht.«

*

»Du musst es Frau Schweighöfer sagen«, versucht Tim nun schon zum dritten Mal, mich zu überreden.

»Nein. Das würde alles nur noch schlimmer machen, ich habe so schon ganz gut damit zu kämpfen, dass sie mich hasst, seit du mir wie ein Hund hinterher rennst. Und wie du dich vielleicht erinnerst: Ich mag keine Hunde. Und wo wir grad schon beim Thema sind: Sie ist eifersüchtig wegen dir, also ist das alles im Grunde genommen deine Schuld, weil du mir deine Freundschaft aufzwängen wolltest.« Ich hole tief Luft. »Also, noch Fragen?«

Wie immer ignoriert er meinen Vorwurf, dass er mir eigentlich auf die Nerven geht und ich seine Freundschaft gar nicht brauche. Wahrscheinlich, weil er genau weiß, dass das eine dicke, fette Lüge ist.

»Sag was du willst, wenn du glaubst, dass mich das davon abhält, dir meine Meinung der Dinge vorzuhalten«, sagt er mit einem Grinsen und hängt das letzte unbeschädigte Bild auf. Es ist das mit der Frau im Spiegel. Wahrscheinlich hatte selbst Sophie es nicht übers Herz gebracht, es zu zerstören. Die anderen Bilder hatte sie wohl schlichtweg vergessen oder sie hatte nicht genug Zeit, um sich um jedes Bild einzeln zu kümmern. Jetzt schmücken meine Bilder lediglich eine einzelne Stellwand. Und auch wenn es schade um all die anderen Bilder ist, ist mir doch deutlich wohler dabei, wenn die Leute nur diesen kleinen Teil bewundern können. Zwar hat Frau Schweighöfer darauf bestanden, meine Bilder so zu präsentieren, dass sie den Mittelpunkt der Ausstellung bilden, und in fettgedruckten Lettern meinen Namen über den Bildern angebracht, aber es ist in Ordnung so, da sie sich jetzt schon zigtausend Mal für alles entschuldigt hat und die ganze Zeit versucht, es irgendwie wieder gut zu machen.

Ich bin andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt