Kapitel 5

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Flammenflocken stiegen in den Himmel, um abseits vom Geschehen sorglos zu Boden zu schweben. Der Wind neckte die Flammen, welche sich leicht neigten und zu tanzen begannen. Ich beobachtete das Schauspiel für eine Weile und erntete Trost. In den dunklen Stunden meiner Geschichte bettelte ich auf Knien nach Ermunterung und sofern das Feuer bedingungslos meine Hand hielt, kehrte ich ebenso in das Tageslicht zurück.
Rocko gesellte sich zu mir auf meinen Schlafsack, unterdessen es sich Pikachu in meinem Schoß gemütlich machte. An den fernen Bergen hing die Nacht und der Mond spähte hinter der Bergspitze hervor. Bald würde er den kompletten Nachthimmel in seinen Bann ziehen.
Katrin hatte den Schlafsack neu erworben, erst jetzt entfernte ich das Preisschild. Viele der Schätze aus meinem Rucksack waren nigelnagelneu. Ich schuldete Katrin meinen persönlichen Dank. Natürlich auch eine Entschuldigung für meine abrupte Abreise. Rocko erzählte mir, dass sie krank vor Sorgen war, als sie meine Botschaft las. Jäh nagte das schlechte Gewissen an mir. Sie grämte sich um mich, dass konnte ich nicht verleugnen. Ihre Stimme bebte deutlich, wie sie zur Wende meines Dramas kam. Wenn mich das knarzen der Treppen nicht auffliegen hätte lassen, hätte ich Katrin dabei gerne in das Gesicht gesehen. Rein, um meine Neugierde zu sättigen, welche nach den Emotionen in ihrer Miene verlangte.
„Darf ich dir eine Frage stellen?" Meine überstrapazierte Stimme hockte immer noch beleidigt in einer Ecke. Trotz des warmen Tees schmollte sie und duldete nur Heiserkeit. Mein Gefährte nickte. „Wie konntest du mit den wenigen Schnipseln trotzdem das ganze Bild sehen?" Er setzte sich in den Schneidersitz und legte seine Arme auf seinen Knien ab. „Weißt du", begann er, „manches sieht und hört man mit Augen und Ohren und das Überbleibsel vernimmst du mit dem Herzen." Seine Antwort sprang so leichtfüßig über seine Lippen, als handle es sich um einen Gruß. Seine Begründung jedoch streichelte sachte meine Seele.
Meine Finger umschlossen das Medaillon. Die Herzform pulsierte in meiner Faust. Die Geschichte lebte und wollte endlich erzählt werden. Vielleicht war es Zeit geworden, endlich loszulassen? Ansonsten würde ich mich wie ein Kreisel weiterdrehen und im Treibsand verenden, wenn ich nicht nach den Armen griff, die mir entgegengehalten wurden. Die Geschichte darin war mein Anker, der mich vom Wegtreiben bewachte. Genau deswegen konnte ich nicht mit aufrechter Haltung in die Zukunft blicken. Sollte ich mich vom Anker losstrampeln und mich von den Wellen forttragen lassen?
„Willst du mir erzählen, was dich so wurmt?" Pikachu öffnete die Augen und blickte sein Visavis warnend an. Funken stoben aus seinen Backen. „Ist schon gut", besänftigte ich die Elektromaus.
„Du willst also wirklich die Geschichte hinter dieser Kette wissen?" „Wenn du damit einverstanden bist?" Ich nickte, hatte aber keinen Anhaltspunkt. „Dein Vater ist abgereist", half mir Rocko vorsichtig auf die Sprünge. Rasch blinzelte ich die aufkeimenden Tränen zurück. Alte Wunden rissen auf, schmerzten, aber es tat gut endlich die Kontrolle abzugeben. „Richtig."

Sägespäne wirbelten auf. Lauter als notwendig fand der letzte Koffer auf der Ladefläche des Jeeps Platz. Dad zurrte ihn mit Gurten fest, damit die Ladung bei seinen turbulenten Fahrkünsten nicht verloren ging. Er schmiss die Ladeklappe in die Angeln und wischte sich die kleinen Schweißperlen von der Stirn.
Für einen Frühlingsabend war es ziemlich heiß. Die Sonne verfing sich in Dads Haaren und liebkoste sein Gesicht. Sie piesackte ihn so sehr, dass ihm nichts übrigblieb, als sie mit der Hand abzuschirmen. Lässig lehnte er sich an das Auto. Trotz der Schufterei zeichnete er sich ein Lächeln in das Gesicht.
Dad entdeckte mich auf der Terrasse und winkte mich zu sich. Missmutig schlüpfte ich durch das Gartentor auf die Straße, wo bereits der verrostete Jeep stand, jederzeit bereit, in die große, weite Welt zu brausen. Betrübt kam ich vor ihm zu stehen. „Du fährst." Dads freundlicher Gesichtsausdruck hielt trotz seiner eingefrorenen Wirkung solide. Er erstickte fast an seinen eigenen Worten. „Ich wünschte dich mitnehmen zu können." „Du hast versprochen, länger zu bleiben. Ist der Auftrag denn so wichtig, dass du ihn auf der Stelle erledigen musst?" Dad hockte sich vor mich hin. Seine Hand umfasste meine Kleine, mit der anderen kramte er in seiner Hosentasche.
„Hier, für dich." Er ließ etwas Leichtes in meine Hand fließen. „Was ist das?" „Ein Medaillon." Zu meinem Erstaunen verbarg es ein Bild von uns beiden. „Damit du deinen alten Herren immer bei dir hast." Im selben Moment beschloss ich, dieses Geschenk wie meinen Augapfel zu hüten. Es war wertvoller als alles Gold der Welt. Ich hängte mir die Kette um. Dad zupfte sich am Hemdärmel.
Der Kies knirschte unter Dads Schuhen. Er umrundete den Wagen, seine Bewegungen wirkten starr und nicht leicht, so wie sie es immer taten. „Schickst du mir wieder Briefe oder Postkarten?" Seine Hand lag am Türgriff. Obwohl in seinen Augen unerklärlicher Schmerz aufwallte, versuchte er mir zuliebe zu lächeln. „Etwas viel Besseres."
Er überwand sich endlich die Wagentür zu öffnen, schwang sich halb hinter das Lenkrad und hielt noch einmal inne. Dad schaute in die Ferne. „Versprichst du mir eines?" Ich nickte energisch, bemerkte, dass mich mein Vater nicht im Blickfeld hatte und bejahte. „Bleib so wie du bist und lass dich nicht zu stark verändern, egal was auf dich zukommt." Immer noch starrte er stur zum Horizont. „Versprochen." „Danke."
Schleunigst glitt er auf den Sitz, startete den Motor und trat in das Gaspedal. Reifenspuren und eine dicke Staubwolke waren alles, was mein Vater am Schotterweg zurückließ. Ich winkte ihm, bis das Auto Klitzeklein war und vom fernen Schatten verschluckt wurde.

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