Kapitel 14

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Die Zeit rieselte mir wie Sand durch die Finger. Kaum setzte ich meine Zehenspitze am morgendlich kalten Fußboden ab, neigte sich die Sonne gegen Westen, um vom anstrengenden Tag Erholung zu bekommen. Dazwischen raubte mir Sheinux' Pflegeplan meine Energie.
Das Versprechen gegenüber dem Elektropokémon, mich bedingungslos um es zu kümmern, runderneuerte ich tagtäglich, wenn ich sein Zimmer betrat. Ich betrachtete es inzwischen als Ritual, ihm einzubläuen, dass ich ihm kein Härchen krümmen würde. Eine Niederlage löste ein Erfolgserlebnis ab, nur um tags darauf das Spielchen von vorne beginnen zu lassen.
Hingebungsvoll pflegte ich ihn gesund, übernahm die Arbeit der Pfleger, die an Sheinux keine Hand anlegen durften. Musste Joy medizinisch etwas an ihm vornehmen, so saß ich an der Bettkante und betonte stets, dass sie Sheinux Gutes wollte.
Die Schwester verlangte von mir zunächst, das Zimmer zu verlassen, wenn sie Untersuchungen vornahm, da diese nicht jedermanns Sache waren. Ohne meine führende Hand an Sheinux Seite, durfte Joy das Patientenzimmer mit einer Nadel bewaffnet nicht einmal betreten, ohne dass sich das kranke Wesen in eine Abwehrhaltung stürzte.
Deshalb mussten wir auf einen Nenner kommen. Obwohl ich die routinemäßige Blutabnahme selbst kaum überstand, ohne Übelkeit zu fühlen, blieb ich dem Pokémon zuliebe an seiner Seite. Das sich eine sanfte Blässe um mein Näschen legte, bestätigte mir die Spiegelung des Griffes am Krankenbett.
Mein Team wollte ich nicht vernachlässigen. Zwischen den Besucherzeiten forderten mir geplante Trainingseinheiten den letzten Funken an Kraft ab. So zwang ich mich an die frische Luft, schleifte Attacken und stärkte das Band zwischen den Teammitgliedern und mir. Mein Herz erblühte, als sich aus den Einzelkämpfern Freundschaften knüpften und Teamgeist entwickelte.
Chelast hielt die Gruppe Dank seiner kindlichen Neugier wie Kleber zusammen. Staralili und Pikachu waren ersucht, das Pflanzenpokémon vor Dummheiten zu wahren. Wahrscheinlich musste ich an meiner Erziehung feilen, aber diese Missetaten schweißte die drei enger zusammen.
Pikachu faszinierte mich am allermeisten. Früher streifte er wie ein einsamer Fremder durch die Weltgeschichte, verlor jeglichen Kontakt zu Gleichgesinnten, als er begann, meinen Fußspuren zu folgen. Das er jetzt so offenherzig mit den beiden anderen vereint kämpfen konnte, betrachtete ich nicht als Selbstverständlichkeit. Rührend ermutigte er Staralili und Chelast, Attacken erneut zu probieren, wenn sie in ihrem Tun scheiterten und sich kleinmütig hängen ließen. Harmonische Trainingseinheiten lagen hinter uns und zahlreiche kleinere Hürden spürten wir am Horizont auf.
„Emma?" Einer von Schwester Joys Assistenten stand am Rande des Kampfplatzes und musterte uns neugierig. „Schwester Joy hätte nun für dich Zeit. Sie würde dir die Medikamente geben und die nächsten Schritte besprechen." Ich nickte dankend. Er machte am Absatz kehrt und stob in das Gebäudeinnere. „Ich lasse euch meine Rasselbande hier, bin bald zurück", versprach ich und warf Rocko und den beiden Neuzugängen einen bittenden Blick zu.
Nachdem ich mit N und Emily Bekanntschaft schloss, kreuzte sich der Weg der Dreien baldig. Sie hatten einiges aufzuholen, das spürte ich in meinen Fingerspitzen, jedoch hielt sich die Wiedersehensfreude meinetwegen im Zaum. Die griesgrämige Stimmung, die uns auf Schritt und Tritt begleitete, trübte jedem Kopf der Gruppe die Heiterkeit. Aber mit Sheinux' baldiger Genesung, kehrte auch die schlechte Laune ihr Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen.
Rocko, N und Emily tauschten Neuigkeiten über gemeinsame Bekannte aus, priesen die guten alten Zeiten und hielten sich deswegen manchmal lachend den Bauch. Zwar webten mich die drei in ihre wilden Diskurse mit ein, wenn ich mich selbst wieder zum Außenseiter kürte, aber ich verhielt mich trotzdem reserviert.
Alleinig ihre Unbekümmertheit stimmte mich zu einer Fröhlichkeit, die ich nach den kummervollen Tagen begrüßte. Eine Schulter mehr, an die ich mich anlehnen konnte, wenn die Zweifel wucherten. Leider war der Gesprächsstoff über die wichtigen Dinge schnell erschöpft, und die neugierigen Wesen, die in N und Emily innewohnten, fragten nach Geschichten aus meinen vergessenen Zeiten. Rocko hakte in diesen Momenten ein, damit ich nicht meine Lebensgeschichte offenbaren musste, manchmal rettete ich mich mit einer Notlüge an sicheres Land. Auch wenn die beiden mit meinen Antworten zufrieden wirkten, war ich mir sicher, dass die beiden klugen Köpfe mittlerweile Verdacht schöpften und sich mehr hinter meinem Gesprochenen verbarg. Trotzdem waren sie taktvoll genug, um sich auf Rokos Gesprächsthemen einzulassen. Vor Erklärungen war ich nicht gefeit, früher oder später würde ich auspacken müssen. Jetzt war ich nur erleichtert, dass ganze umgehen zu dürfen.

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