Kapitel 13

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Das Gute und Böse auf meiner Schulter stritten sich den lieben langen Weg. Du bringst ihn um, motzte das Böse. Nein, ich rette ihm das Leben, letzten Endes gewinnt der Optimismus, zischte das Gute.
Und ich stand in der Mitte. Ich ließ die beiden kommentarlos ihren Streit austragen. Zeitenweise wollte ich mir die Hände an die Ohren pressen und laut singen, um die penetrante Stänkerei zu verfemen. Dabei würde ich aber einem Kleinkind ähneln. Auf eine Blamage in aller Öffentlichkeit konnte ich verzichten.
Die Last auf meiner Schulter wuchs und wuchs, je näher das Center rückte.
Die Schiebetüren öffneten sich. In der Halle sammelten sich Rocko, Joy und einer ihrer Kollegen. Alle trugen besorgniserregende Gesichter. „Emma", setzte Rocko an. Mein Herz pochte wie wild. War es nun längst zu spät, eine Entscheidung zu treffen? Hatte ich meine Optionen zu lange abgewogen?
Ich überbrückte die letzten Meter und schloss den kleinen Kreis. Rocko strich mir kurz mit seinem Finger über den Handrücken. „Sheinux' Blutwerte lassen zu wünschen übrig und die Leberwerte scheinen durch das Narkotikum in den Keller getrieben worden zu sein." Schwester Joys Augen hafteten an mir. „Sein Zustand hat sich so rapide verschlechtert? Ich war doch nur eine Stunde weg." „Wir können für ihn nichts mehr tun, außer seine Schmerzen zu lindern", meldete sich dieses Mal ihr Assistent.
Eine Taubheit ummantelte mich. Gut und Böse hörten mit ihrem Disput auf und sahen mich erwartungsvoll an. Die unzähligen Augen lasteten auf mir und ich brach darunter zusammen. „Wird er etwas Spüren?" Die Schwester umfasste ihr Klemmbrett fester, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Nein."
Joy kannte mir die Schwere meiner Entscheidung an. „Er wird friedlich einschlafen und nicht mehr aufwachen." Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter, bekundete somit ihr Mitgefühl. „Falls du Fragen hast, bin ich jederzeit für dich da." „Hätte ich tatsächlich. Dürfte ich mich vorher noch verabschieden?" Merklich schluckte auch Joy einen Kloß in ihrem Hals hinunter. Mir war noch nie aufgefallen, wie jung sie eigentlich noch war. Bestimmt musste sie erst selbst selten zu solch drastischen Mitteln greifen. „Natürlich. Ich erwarte dich im Schwesternzimmer."
Rocko drückte meine Hand. „Willst du das wirklich?" „Habe ich noch eine andere Wahl?" Es war ihm anzusehen, dass er eigentlich den Kopf schütteln wollte. Stattdessen rieb er mir sanft den Arm.
Ich löste den Kreis auf. Die Fahrstuhltür schloss sich und ich drückte den ersten Knopf, der mich direkt in den Gang der Intensivstation navigierte. Der Weg schien mir wie ein kilometerlanger Marathonlauf, für den ich nicht ausreichend trainiert hatte.
Eine Pflegehilfe rüstete mich mit einem OP-Kittel aus und erlaubte mir schließlich den Zutritt.
„Hey", wisperte ich dem schlafenden Pokémon zu. Der Beatmungsschlauch sah für das zarte Wesen viel zu groß aus. Ich zweifelte an den Gerüchten, dass komatöse Patienten einen hören konnten und dennoch beruhigte es meine Trauer ein Stückchen, zu wissen, dass er aufschnappte, was ich ihm noch auf den Weg mitgeben wollte. Ich ließ mich auf die Bettkante fallen. Zaghaft, als wäre er kurz vorm Zerbrechen.
„Wahrscheinlich hörst du mich gar nicht. Das alles hier ist ein dummer Versuch meines Verstandes mit dem Verlust umzugehen. Abschied nehmen ist nicht einfach." Tränen kullerten über meine Wange, gefolgt von einem leisen Schniefen.
„Und wahrscheinlich kannst du dich an mich auch nicht erinnern. Du hast mich in der Dämmerung kaum erkannt. Auch ich werde nur ein grauer Umriss in deiner schwarz-weißen Welt sein." Ich wischte mir mit der Hand eine Träne von der Nasenspitze.
„Du bist ein tapferes Pokémon. Trotz deines Gebrechens hast du dich bis aufs letzte verteidigt. Hab bitte keine Schuldgefühle wegen des Bisses. Würde ich in deiner Haut stecken, wäre ich mir an die Gurgel, anstelle des Unterarmes gegangen." Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich über die Einkerbungen an meinem Unterarm, fühlte, wie der natürliche Heilungsprozess schon eine Kruste über die offene Wunde gebildet hatte.
„Es war so ichbezogen von mir zu glauben, dass du deine Schmerzen ertragen kannst und die Forscher ihr Medikament an den Markt bringen. Es war selbstlos von mir, deine Leiden für nichtig zu erklären. Du leidest und würdest leiden. Ich bin kein Deut besser, als die Rüpel aus dem Labor. Denn mit all den Annahmen quäle ich dich.
Aber du sollst mit dem Gedanken in das ferne Land reisen, dass nicht alle Menschen brutale Schänder sind. Der Grund, dir das Leben zu retten war, um dir zu beweisen, dass im inneren der meisten ein guter Kern steckt. Es wurde so viel Zeit vergeudet, indem deine Lebtage mit Dreck gefüllt wurden. Du hättest die Sonnenseiten verdient. Tut mir leid, dass es so enden muss." Ich neigte meinen Kopf zu den Neonröhren über mir. Tränen liefen meine Schläfen hinab. „Ich schwöre bei Arceus, dass ich diese Truppe finde und sie ihre gerechte Strafe erhalten. Du wirst deine Vergeltung erhalten."
Langsam erhob ich mich. "Ich hoffe, du sitzt dort oben auf einer Wolke, siehst zu uns herab und entdeckst die Friedlichkeit der Welt. Zumindest dann, wenn den Verrätern dieser Erde das Handwerk gelegt wird", fügte ich mit dem Rücken zum Krankenbett gedreht hinzu. Ein schmales Lächeln und eine wundersame Festigkeit in meiner Stimme erhoben sich aus dem Radau. „Vielleicht denkst du ja auch mal an mich? Oder Rocko? Und den guten Menschen? Beobachte sie. Urteile. Ich will, dass du das nach oben mitnimmst. Von einer dir Fremden, die gelernt hat, dass rar gestreute Gute zu erspähen."

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