Erleuchtung

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Chanyeol POV

Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch und lese. Vor kurzem habe ich angefangen zu studieren, wohne im Moment aber noch bei meinen Eltern. Trotzdem bekomme ich nicht mehr viel von meiner Familie mit. Ich esse oft unterwegs was oder gehe mit meinen neuen Freunden, aus der Uni, aus. Den Kontakt zu den Freunden aus der Schule habe ich relativ schnell verloren, aber das war mir eigentlich klar. Eigentlich waren wir nur Freunde, weil wir uns regelmäßig in der Schule sahen. Aber so war das Leben eben. Man musste sich irgendwie durch boxen. Wer nichts dafür tat, dazu zu gehören, war selber Schuld. Würden sie sich mehr Mühe geben, würden sie auch Freunde haben, eigentlich eine einfache Sache. Nur scheint das nicht jedem klar zu sein.

Erschöpft öffne ich die Haustür. Ich habe keine Ahnung, weshalb ich mich eigentlich so erschöpft fühle. Meinen ersten Kurs hatte ich um 8 Uhr und jetzt war es gerade mal 14:34 Uhr. Ich bin somit sogar früher als meine jüngere Schwester zu Hause, dabei ist sie normalerweise die Erste, die nach Hause kommt. Ein Glück, dass meine letzten beiden Kurse ausgefallen sind.
Ich ziehe mir meine Schuhe aus und steure das Wohnzimmer an. Dort lasse ich meinen Rucksack neben das Sofa fallen und mich darauf. Vielleicht würde ich mich nach einem Nickerchen besser fühlen. Wenn meine Schwester nach Hause kommt, kann ich vielleicht heute etwas mit ihr essen gehen. Ich habe im Moment echt wenig Zeit für sie und fühle mich deshalb manchmal schon schlecht, immerhin bin ich ihr großer Bruder. Außerdem ist meine Schwester einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, da sollte ich mir ab und zu schon Zeit für sie nehmen, denke ich mir, ehe ich weg dämmere.

Durch das Zuschlagen der Haustür, werde ich geweckt. Verschlafen fahre ich mir mit den Händen übers Gesicht, während ich es im Flur ungewöhnlich laut rumpeln höre. Ist meine Schwester immer so laut, wenn sie nach Hause kommt?
Noch einmal poltert es laut und dann ist es still. Auch ich bewege mich nicht und gebe keinen Mucks von mir. Ich warte einfach ab, was passiert. Schließlich höre ich es und es wird immer lauter. Meine Schwester. Sie weint. Ich setze mich langsam auf und versuche von meiner Position aus etwas zu sehen. Doch durch die Tür in den Flur sehe ich nur ihre Beine. Aber das reicht schon aus, um mich beunruhigt werden zu lassen. Die schwarze Strumpfhose, die sie trägt, ist total schmutzig. An den Knien ist sie aufgerissen, wodurch man sehen kann, dass ihre Knie aufgeschrammt sind und bluten. War sie hingefallen? Aber ich kenne meine Schwester. Wegen einem Sturz würde sie niemals so weinen, wie sie es gerade tut.
Ich erhebe mich langsam und leise und gehe auf die Tür zu, immer näher an meine Schwester, welche mich noch nicht bemerkt zu haben scheint.
Als ich schließlich im Flur stehe, bekomme ich einen riesigen Schreck. Sie sieht furchtbar aus. Bemerken tut meine Schwester mich aber immer noch nicht, da sie sich ihre dreckige und blutigen Hände vors Gesicht hält. Ich lasse meinen Blick über sie wandern, wobei eine unglaubliche Wut in mir aufsteigt. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, würde dafür bezahlen.
Die Schuluniform und der Rucksack sind ebenfalls total dreckig. Ihre Jacke ist am Ellenbogen aufgerissen und auch dort blutet sie. Ihre Haare sind total durcheinander und von der hübschen Frisur, die sie heute morgen noch trug, ist nichts mehr zu sehen. Einige Haarspangen hängen noch wie wild in ihren Haaren und andere sind vermutlich verloren gegangen.
Ich seufze leise und hocke mich schließlich vor sie, ehe ich leise spreche: „Chae?"
Sie zuckt fürchterlich zusammen, bleibt einen Moment wie erstarrt sitzen, ehe sie ihre Hände langsam sinken lässt und mir einen Blick in ihre geröteten Augen gewährt.
„Was machst du hier?," schnieft sie und sieht mich verwundert, aber auch erschrocken, an.
Ich übergehe ihre Frage einfach und stelle besorgt eine Gegenfrage: „Was ist passiert Chae?"
„N-nichts ...?"
„Chae," seufze ich und nehme ihre verwundeten Hände in meine. „Du kannst mir nicht erzählen, dass das nichts ist. Was ist los? Und wieso sagst du es mir nicht? Ich dachte wir können einander immer alles erzählen?"
„Chanyeol ... das ist nicht so einfach," murmelt sie und senkt ihren Blick, wirkt dabei schon fast beschämt.
„Es ist einfach. Jemand hat dir weh getan und das ist nicht in Ordnung, sowas macht man nicht. Also was ist so schlimm daran mir zu erzählen, was los ist?"
„Weißt du noch, der eine Mitschüler von dem du manchmal erzählt hast? Der, den du nicht mochtest?"
„Die fette Schwuchtel?"
„Sag sowas nicht Channi," sagt Chae und sieht mich nahezu schockiert an.
„Wieso denn? Er war ein Außenseiter, konnte sich nicht anpassen und niemand wollte mit dem befreundet sein. Aber das spielt doch keine Rolle. Es geht hier doch ..."
Ich unterbreche mich selbst, als ich sehe, wie ihr neue Tränen über die Wangen laufen.
„Chae ..."
„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie er sich gefühlt haben muss? Wie sehr ihm eure Worte und Taten weh getan habe müssen?"
„Chae, wieso reitest du weiter auf diesem Thema rum? Wir haben ihn ein bisschen geärgert und er hat es überlebt. Er soll sich nicht so anstellen."
„Du bist so ein Arschloch," brüllt sie mich plötzlich an, springt auf und läuft die Treppen nach oben. Verwirrt stehe ich auf und schaue ihr einen Moment nach. Was war denn auf einmal ihr Problem? Taehyung ist unwichtig und eigentlich ist er es nicht mal Wert, dass wir über ihn reden, wieso macht sie also so ein Drama wegen dem?
Wieso auch immer, ihre Wunden müssen versorgt werden, weshalb ich kurze Zeit später vor dem Zimmer meiner Schwester stehe und anklopfe.
„Geh weg."
„Chae. Ich habe echt keine Ahnung, wieso du auf einmal so sauer auf mich bist. Aber lass mich bitte rein, erkläre mir, was ich deiner Meinung nach falsch gemacht habe und lass mich währenddessen deine Wunden versorgen, okay?"
Einen Moment war nichts zu hören, bis ich schließlich höre, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ich öffne die Tür und trete ein. Chae hat sich schon wieder aufs Bett gesetzt und schaut auf ihre Hände in ihrem Schoß.
Ich setze mich neben sie und beginne stumm damit ihre Wunden zu versorgen.
„Sagst du mir, wer das war?"
Eine Weile kommt keine Antwort, bis sie schließlich sagt: „Meine Mitschüler."
„Wer genau? Und wieso hat niemand einen Lehrer geholt."
„Kann ich nicht sagen. Die Anderen haben zugeschaut."
Ich halte einen Moment inne und versuche das gehörte zu verarbeiten. „Was?"
„Sie haben dabei zugeschaut."
„Aber wieso? Die können doch nicht einfach dabei zuschauen, wie dir weh getan wird!"
„Chanyeol?"
„Hm," brumme ich und bin in Gedanken schon beim Gespräch mit der Schulleitung.
„Erinnerst du dich noch, wie die Situation bei dir in der Klasse mit Taehyung war?"
„Natürlich, ich hab immerhin ein gutes Gedächtnis. Aber wieso fängst du schon wieder mit dem an?," frage ich verwirrt, weil ich wirklich nicht verstehe, worauf sie hinaus will. Alles, was ich weiß, ist, dass sie ein tolles Mädchen ist und das alles definitiv nicht verdient hat.
„Weil die Situation bei mir in der Klasse genau dieselbe ist. Nur, dass ich Taehyung bin."
Ich brauche eine ganze Zeit lang, bis ich verstanden habe, was sie mir da gerade gesagt hat, ehe ich sie stumm einfach in meine Arme ziehe, während mir eine Träne über die Wange läuft.



Back then (BTS, Vkook, FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt