Schwarzer Kaffee und Grüner Tee

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Reintheoretisch hatte der Laden noch eine Stunde geöffnet, doch seit mehreren Minuten war nichts mehr geschehen. An vereinzelten Tischen nippten Gäste noch an ihren Getränken. Noch ehe Rue aufstehen konnte, goss ich frischen Kaffee in eine große Tasse und steckte fünf Dollar in die Kasse, während ich vorsichtig meinen Teebeutel mithilfe eines Löffels ausdrückte. Mit den beiden Getränken in den Händen, kam ich hinterm Tresen hervor und ging mit zittrigen Schritten zu Tisch sieben herüber. Irgendwann im Laufe des Nachmittags hatte Rue tatsächlich zu lesen begonnen und ihr Handy abgeschaltet.

»Hey«, sagte ich und blieb unschlüssig vor ihr stehen. Rue hob den Blick, Überraschung breitete sich in ihrem Gesicht aus. »Ich habe Kaffee, kann ich mich setzen?«

Ein vorsichtiges Lächeln löste den überraschten Ausdruck ab. »Ist denn in beiden Tassen Kaffee drin?«

»Reicht es denn nicht, dass beide Tassen gefüllt mit Koffein sind?«

Sie unterdrückte ein Lachen und brachte stattdessen hinter hervorgehaltener Hand ein belustigtes Schnauben hervor. »Du hast noch so viel zu lernen, mein junger Padawan«, entgegnete sie schließlich und nickte auf den Sessel ihr gegenüber. Etwas zu hastig stellte ich die beiden Tassen auf dem Tischchen zwischen den Sesseln ab, versicherte mich mit einem letzten Blick, dass alle anderen Gäste versorgt und beschäftigt waren, dann ließ ich mich auf dem Polster nieder. Rue hatte das Buch auf ihrem Schoß zugeklappt, den Finger als Lesezeichen noch immer zwischen den Seiten steckend.

»Was liest du?«

»Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind« Sie hielt das Buch hoch, zeigte mir das Cover und zuckte anschließend mit den Schultern. »Drehbücher sind nicht ganz so meins, aber ich mag Newt.« Sie lehnte sich vor und flüsterte verschwörerisch: »Ich befürchte außerdem, dass ich auch eine Hufflepuff bin.«

»Ein Glück, dass ich kein Slytherin bin; ich wette sie würden uns mit Gewalt auseinanderreißen.«

Ein erneutes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit und ihre Augen strahlten mich an. Die Welt um uns herum schien stehen zu bleiben, die Welt schien nur noch aus ihren Augen zu bestehen, die Welt war ihr Lächeln.

»Das ist sicherlich verboten. Slytherin und Hufflepuff – ist das überhaupt möglich?«

Ich zuckte mit den Schultern und biss mir auf die Lippe. »Der zweite Teil kommt demnächst ins Kino.« Die Worte waren ausgesprochen, noch ehe ich sie davor hatte abhalten können. Sie schwebten zwischen uns. Ich schluckte schwer, während Rues Lächeln ihr auf den Lippen erstarb. Langsam lehnte sie sich in dem Sessel zurück, brachte Abstand zwischen uns.

»Wieso hast du mir nicht geschrieben?«

»Selbe Frage geht an dich zurück.« Wir sahen einander in die Augen, stumm wie zwei Fische und mein Herz raste dabei so sehr, dass mich tatsächlich das Gefühl überkam, gleich ersticken zu müssen. »Ich dachte, du würdest es tun. Ich dachte du würdest herkommen und wir würden uns wieder küssen und ich glaube, dass mich dieser Gedanke viel zu sehr mitgerissen hat.« Das Geständnis war so schnell aus mir herausgebrochen, dass es wie ein einziger Satz geklungen haben musste. Und doch hatte ich das Gefühl, dass das Aussprechen dieser Worte alles gewesen war, was ich gebraucht hatte, um noch irgendwie durch den Alltag zu kommen. Keine Nachricht hätte es in Worte fassen können, kein »hey«, kein »ich vermisse dich« und auch kein »ich wünschte, ich dürfte dich ein weiteres Mal küssen«. Alles was ich gewollt hatte, war ihre Ankunft im Ann's, das Bimmeln des Glöckchens, ihre grüne Mütze und die vor Kälte geröteten Wangen. Ich wollte, dass sie ihren Kaffee bei mir abholte und meinetwegen mit einem einzigen winzigen Kuss bezahlte. Ich würde ihr jeden Kaffee der Welt spendieren, wenn ich sie dafür nur küssen dürfte.

Aber sie war nicht gekommen, ich hatte ihr nicht geschrieben und so saßen wir uns zwölf Tage später gegenüber, Worte bersten wie ein Wasserfall aus mir hervor und niemand war da, um sie aufzuhalten.

Rue presste die Lippen zusammen und wandte den Blick von mir ab, wieder hinaus zum Fenster, nachdenklich, schön; wie immer. Dann runzelte sie die Stirn. »Ich war mich nicht sicher, ob du es überhaupt gewollt hattest.«

Ich lachte in mich hinein und fuhr mir mit der Hand durch die Haare, ehe ich die Hände im Nacken verschränkte und an die Decke starrte. Wohlwissend, dass ihr Blick auf mir lag, versuchte ich die nächsten Worte mit Bedacht zu wählen. »Weißt du, ich wollte mit dir ausgehen, seit ich dich das erste Mal hier gesehen habe.« Ich löste meine Hände voneinander und fuhr mir stattdessen über die Hose, als würde es irgendwie helfen, die Hitze in ihnen vertreiben. Die Hände an den Schenkeln, richtete ich meinen Blick wieder auf sie. »Als du mich Jüngling genannt hast, das war's für mich. Ich wollte alles hinschmeißen und mit dir Filme sehen, weil ich unfassbar gerne Filme sehe und dich unfassbar gerne dabeihätte.«

Rue schwieg, nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee den ich ihr gebracht hatte und klopfte mit den Nägeln ihrer rechten Hand gegen die Tasse. »Der zweite Teil kommt demnächst ins Kino«, murmelte sie schließlich. Als ich nicht reagierte, fügte sie noch hinzu: »Johnny Depp soll wohl Grindelwald spielen.«

Ich nahm einen weiteren tiefen Atemzug. »Möchtest du mit mir ins Kino gehen?«

Sie lachte leise und nickte. »Ich habe schon befürchtet, ich muss über alle Schatten auf einmal springen.«

Ihre Worte ließen mich schmunzeln. »Ich habe schon befürchtet, dass es nichts gibt, vor dem du Angst hast.«

»Das ist der schwarze Kaffee, der verleiht mir visuelle Superkräfte.« Wir lachten beide und es tat so gut, sie wieder in dem Café, wieder bei mir, zu haben, dass ich mir das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht wischen konnte. Wie zwei Honigkuchenpferde saßen wir noch da, solange bis mich ein Gast zu sich pfiff und sich über meine geringe Arbeitsmoral beschwerte.

Und als ich den Laden geschlossen, die Stühle aufgestuhlt und schließlich wieder vor Rue stand, war nicht sie diejenige, die den ersten Schritt wagte. Meine Lippen berührten die ihren und ihre Hände fanden ihren Weg hinauf zu meinem Nacken. Ihre Finger spielten mit meinen Haaren, während die meinen kaum das Gefühl von ihrem Körper zu ertragen wagten. Wir küssten einander, bis wir irgendwann beide nach Luft schnappen mussten und lachten. Vor Glück, vor Freude oder vielleicht einfach nur, weil wir beide genauso verbissen versuchten, ernst zu bleiben. Wir küssten uns bis spät in den Abend, reinigten zusammen den Laden und als wir ihn hinter uns abschlossen, klammerten wir uns aneinander, als könnte die bloße Nähe des anderen die Kälte um uns herum vertreiben.

Und auch wenn auf diesen Tag noch unzählige andere Tage folgten, in denen ich mindestens genauso glücklich war wie an jenem Abend, kam ich einfach nicht drum rum, diesen hier, als meinen Liebsten zu bezeichnen.

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