Es dauerte fast zwei Wochen, bis das Bimmeln des Glöckchens über der Tür gleichzeitig auch die Ankunft des Mädchens mit der grünen Mütze ankündigte. Ihr Anblick ließ mich erstarren und ich stoppte inmitten der Bewegung. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen als sie mich erblickte, es wirkte schüchterner als sonst. Ich vergaß, was ich tat, ließ alles links liegen und griff stattdessen nach der größten Tasse, die ich finden konnte um sie mit dem Filterkaffee zu versorgen.
Ich versuchte zu ignorieren, dass wir uns zwölf Tage lang nicht gesehen hatten, versuchte zu vergessen, dass sie mir nicht geschrieben hatte, dass sie ohne ein Wort zu sagen, gegangen war. Ich versuchte nicht daran zu denken wie Cara mich ausgefragt hatte, weil sie alles über das Date in Erfahrung hatte bringen wollen, während mir einfach keine Antworten einfallen wollten. Wie froh ich doch war, dass sie am heutigen Tag frei hatte und nicht sah, wie ich vor Panik kaum noch zu Atmen wagte.
Nun stand Rue da, genauso strahlend und wunderschön wie vor zwölf Tagen und schien keinen einzigen Gedanken an unseren Kuss zu verschwenden, während mein Kopf immer und immer wieder die wenigen Minuten vor meinem inneren Auge abspielte.
Ich schluckte schwer und schob ihr die bis zum Rand gefüllte Tasse hin. »Danke«, sagte sie mit einem sanften Lächeln. Vielleicht war es ihr ja peinlich oder sie selbst hatte den Kuss als so furchtbar empfunden, dass sie ihn am liebsten vergessen würde. Ich fragte mich, ob sie heute lange genug bleiben würde, als dass wir am Abend noch zusammensitzen könnten und gleich darauf beschlich mich die Frage, ob ich das überhaupt könnte. Dasitzen und so tun, als sei nichts gewesen. Als hätte sie mich nicht geküsst, als hätten wir uns nicht geküsst, als wäre sie dann nicht einfach aufgestanden und gegangen.
»Gerne«, antwortete ich und schüttelte den Kopf, als sie mir das Geld hinstreckte. »Passt schon.« Meine Stimme klang brüchig, ich hörte mich wie ein Vollidiot an.
Ruhig und schüchtern, wie eine ganze neue Rue, strich sie sich die Haare hinters Ohr und bedankte sich ein weiteres Mal, ehe sie das Geld stattdessen in die Trinkgeld-Dose stopfte. Auch ich bedanke mich und fragte mich, wie oft wir noch das Wort »Danke« in diese Unterhaltung einbringen könnten. Vermutlich zigtausend mal, vermutlich könnten wir dieses Spiel bis zum Rest unseres Lebens weiterführen. »Ich gehe dann mal – « Sie nickte hinter sich und umfasste die heiße Tasse mit beiden Händen, ehe sie die Lippen zusammenpresste und an ihren gewohnten Fensterplatz zu schritt.
Doch statt wie gewöhnlich ein Buch aufzuschlagen und darin zu versinken, schien sie ununterbrochen auf ihr Handy zu blicken. Zwar lag das Buch offen auf ihrem Schoß, doch wann immer ich zu ihr herüber schielte, lag ihr Blick auf dem Smartphone, kühlte ihr Kaffee immer weiter ab. Als ich eine Runde zwischen den Tischen drehte und mich versicherte, dass es den wenigen Gästen gut ging, hatte sie von dem Kaffee nur wenige Schlucke getrunken. Ich biss die Zähne zusammen und kaute auf meiner Lippe, ehe ich nach Luft schnappte und hektisch: »Soll ich dir vielleicht heißen Kaffee dazu kippen?« hervorbrachte. Mit gerunzelter Stirn blickte Rue von ihrem Handy auf und musterte mein Gesicht, als suche sie darin eine Antwort auf die gestellte Frage. Unsicher löste ich den Blick von ihrem Gesicht und senkte ihn stattdessen, wobei ich eher ungewollt den offenen Chatverlauf auf ihrem Handy bemerkte. Das Gerät in ihrer Hand vibrierte und der Chat wurde um eine weitere Nachricht verlängert.
Ich räusperte mich, mehr um mich selbst zurück ins Leben zu rufen und nicht, weil ich eine Antwort von ihr erwartete und trat gerade einen Schritt zurück, um an den Tresen zurückzukehren. »Ich nehme gerne noch etwas Kaffee«, wisperte Rue mit einem Mal und hielt mir die Tasse hoch, damit ich ihr etwas nachschenken konnte. Dann drehte ich mich um und versuchte nicht daran zu denken, wie viel sich doch verändert hatte. Wenn ich könnte, würde ich den Kuss ungeschehen machen, wenn irgendetwas unsere Abende von vor zwölf Tagen zurückbringen würde, ich würde alles dafür geben. Als ich hinter den Tresen trat, musterte John nachdenklich mein Gesicht. Ich seufzte und wendete meinen Blick auch von ihm ab, wünschte mir inständig einen Ansturm an Gästen, die alle irgendetwas super extravagantes haben wollten. Einen großen Latte Macchiato mit extra viel Haselnusssirup und extra Shot Espresso beispielsweise. »Ihr hängt doch sonst immer zusammen ab, was ist denn los?« John war schon immer neugieriger gewesen, als ein gesunder Menschenverstand zulassen sollte. Vor allem, wenn es um Mädchen ging. Oder Sex. Eigentlich fragte ich mich immer, was jemand wie John ausgerechnet in einem Café wie Ann's suchte. Außer den Telefonnummern von irgendwelchen Frauen.
»Ich habe nicht wirklich Lust, darüber zu reden«, wich ich aus und schnappte mir einen Lappen, um die Arbeitsflächen sauber zu wischen – nicht, dass sie sonderlich zu nutzen gekommen waren an diesem unfassbar öden Donnerstagabend.
»Es scheint mir allerdings, dass sie wirklich Lust hätte, darüber zu reden.« Als ich meinem Mitarbeiter einen schnellen Blick zu warf, grinste er mich schelmisch an und zuckte mit den Schultern. »Ich mein' ja nur.«
»Was meinst du?«, hakte ich nach und stoppte inmitten in der Bewegung.
»Was ich meine ist – « Er machte eine verschwörerische Pause. Sein Grinsen wurde nur noch breiter, als er einen kurzen Blick zu Rue warf und sich schließlich wieder mir zuwendete. »Dass wohl etwas passiert ist, worüber ihr zwei Mal dringend quatschen solltet. Ich hätte dich nicht für die Art One-Night-Stand-Typ gehalten, vielleicht ist sie ja auch enttäuscht, weil sie in dir die Liebe ihres Lebens gefunden hat.« Er zog den letzten Satzteil so elendig in die Länge, dass ich mir doppelt so dumm vorkam, wie zuvor. Wieder zuckte er mit den Schultern, ich runzelte die Stirn. »Und dann bist du doch nur so, wie jeder andere auch.«
»Wir haben gar nicht – «, begann ich, wurde allerdings direkt wieder von ihm unterbrochen.
»Es ist in Ordnung, niemand verurteilt dich wegen ein bisschen Sex mit einer heißen Braut.«
Meine Wangen färbten sich rot. »Sie hat mich geküsst«, stellte ich klar. »Und dann ist sie einfach gegangen und hat sich nicht mehr gemeldet.«
John zog die Augenbrauen in die Höhe und lehnte sich gegen die Theke. »Für mich sieht das ganze eher danach aus, dass sie auf eine Nachricht von dir wartet.«
»Aber ich warte auf eine Nachricht von ihr«, entgegnete ich und musste mir Mühe geben, die Unterhaltung weiterhin leise fortzuführen.
Mein Mitarbeiter war von meinen Worten eher wenig beeindruckt. Er zuckte mit den Schultern, neigte den Kopf erst von der einen dann zur anderen Seite und sagte schließlich: »Frauen sind kompliziert, man, die verlangen doch immer von einem, dass man ihnen die Gedanken von der Stirn ablesen kann.« Er trommelte mit den Fingern gegen die Schranktüren, dann stieß er sich mit einem Mal vom Tresen ab hob die Hand. »Zeig mir mal euren Chat, ich finde schon raus, wo der Schuh gerade drückt.« Mit ausgestreckter Hand wartete er darauf, dass ich endlich mein Handy hervorzog, doch ich schüttelte bloß den Kopf.
»Es gibt keinen Chat. Wir haben uns immer nur persönlich gesehen.«
»Aha.« Auch wenn es mich ärgerte, wie John sich immer wie der größte Frauenheld überhaupt aufspielte, hielt er mir mit einem Mal die Lösung direkt vor Augen. Er versetzte mir einen etwas zu kräftigen Schlag auf den Rücken und verkündete anschließend: »Gutes Gespräch, Charles. Ich mach dann mal Feierabend oder? Ist ja ziemlich unnötig, dass wir hier beide einfach so rumstehen.«
Um ehrlich zu sein, weiß ich gerade nicht WO DIESER MITARBEITER HERKAM. Es ist jetzt schon fast zwei Wochen her, dass ich auf der Buchmesse war und eine Woche, dass die Uni wieder läuft und was soll ich sagen... Sie rollt steil bergab, aber ich denke, es ist machbar. Sind ja nur vier Bücher die ich bisher lesen muss (Ignorieren wir einfach den Fakt, dass zwei davon auf Mittelhochdeutsch sind und eins davon zudem "Kritik der reinen Vernunft" heißt).
Es wird nur noch ein Kapitel danach kommen und ich kann euch schon mal so viel sagen: ich bin mir sehr unsicher was das letzte Kapitel betrifft xD
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Coffee Talks
Novela JuvenilWenn Rue das Ann's betrat, fragte niemand, was sie haben wollte - es würde immer der größte Filterkaffee in einer Tasse werden. Als Charlie im Ann's anfing, wusste er nicht, dass er jemandem wie Rue über den Weg laufen würde. Rohfassung aus dem J...