Garmisch-Patenkirchen 1 - 31.12.2018

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„Das Leben ist wie Schokoladeneis. Wenn man es isst, ist es weg, wenn man es nicht ist, ist es auch weg." Murmelte ich vor mich hin.
Ich wusste nicht, was gerade bemitleidenswerter war. Mein Eis, das in meiner Hand so vor sich hinschmolz, oder ich, die wie ein bedröppelter Pudel, früh morgens durch das verlassene Garmisch spazierte und in dem eigenen Liebeskummer versank. Warte Mal, was?!? Ich hatte doch keinen Liebeskummer. Was dachte ich da nur schon wieder.
Resigniert gab ich es auf, jetzt auch noch in Gedanken mit mir zu streiten. Was soll's. Er hatte mir die Entscheidung ja sowieso schon abgenommen. Nach gestern wollte er eh nichts mehr mit mir zu tun haben. Wie kam das auch rüber? An einem Tag küsste ich ihn noch und am nächsten schlabberte ich schon Tom ab. Als würde ich mir gleich auch noch einen anderen Typen parat halten. Wobei das eigentlich ja auch stimmte, musste ich erschrocken zugeben. Geschieht mir wohl recht den letzten Tag des Jahres so zu verbringen. Nur wenige Kilometer trennten mich von meinem Heimatort Grainau. Aber bis jetzt hatte ich mich noch nicht getraut, auch nur einen Schritt in dieses Dorf zu setzen. Mir blieb nur der Tag nach dem Neujahrsspringen bevor es zu der nächsten Quali nach Österreich ging. Die hatten da aber auch ein echt strammes Programm. Vermutlich würde ich mich aber eh nicht überwinden können und eingemummelt mit einem Spagetti-Eis den Tag im Hotelzimmer verbringen. Spagetti gingen einfach überall. Auch auf dem Eis. Obwohl die Eisdiele hier einfach keins hatte. In Grainau machten sie das beste Spagetti-Eis auf dem ganzen Planeten. Ich konnte einfach immer noch nicht verstehen, warum Markus die Dinger nicht ausstehen konnte. Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln und schüttelte aber auch gleichzeitig meinen Kopf. Jojo war mein Freund und daran würde sich auch nichts ändern.
Durch meine ungeschickten Bewegungen während meines stummen Selbstgesprächs (was für Ausstehende wohl ziemlich verstörend gewirkt haben musste), hatte ich es doch tatsächlich geschafft, mein doch ganz erträgliches (für den Liebeskummer hatte es seinen Zweck erfüllt) Eis auf den Boden zu katapultieren.
„Super, Mia. Läuft bei dir. Jetzt hast du dir das beste am Tag schon am Morgen genommen." Tadelte ich mich.
„Spinnst du? Du heißt Emilia. Kommt ja gerade noch in die Tüte, dass du Kosenamen von Machos übernimmst." Schimpfte ich mich selber.
„Wobei der eigentlich echt ganz süß ist. Also der Name, nicht der T..."

„Na, sprechen wir jetzt etwa schon mit Lebensmitteln?"
Seit wann können Beine sprechen, fragte ich mich verwundert. Und dazu noch ein sehr behaartes Exemplar. Bis ich realisierte, dass zu jedem Körperteil schließlich auch ein Besitzer gehörte. Da bemerkte ich erst, wie ich gerade auf andere gewirkt haben musste. Erschrocken plumpste ich rücklings auf den Boden. Auf meine Hand und in das Schokoladeneis, was jetzt keins mehr war, sondern eher ein dicker brauner Schokofleck an einer sehr falschen Stelle auf meiner Hose. Gott, ich hatte echt ein Talent für sowas.
Meine Hand musste aber auch echt Strapazen auf sich nehmen, stellte ich fest, als mir nach meinem Missgeschick ein stechender Schmerz durch dieses Körperteil fuhr. Dafür war aber keine Zeit.
Spätestens jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich den Besitzer der Beine auskundschaften musste. Ich blickte in ein grinsendes Gesicht, das nur einer Person gehören konnte.
„Ah, macht Mr. Fehlende-Geistige-Reife etwa Gehirn-„Jogging"?" Bei meiner Frage, malte ich mit meinen Fingern Gänsefüßchen in die Luft. Wie sich herausgestellt hatte, hatte Leni ihren Ändi schon über meinen megawitzigen Witz und Humor aufgeklärt. Dementsprechend wunderte er sich jetzt auch nicht über meine Worte. Als mein Blick auf sein Joggingzeug, das er anhatte, gefallen war, hatte ich mir den Witz einfach nicht verkneifen können.
Aber auch er nahm es mit Humor. Das machte ihn gleich noch eine Stufe sympathischer. Man, irgendwie fühlte ich mich bei den deutschen Adlern einfach viel wohler, als bei den Japanern. Da ging es einfach immer so kühl und respektvoll zu. Gar nichts für mich. Davon hatte ich schon zu Hause genug gehabt. Nach dem Tod meiner Mutter...
„Wenigstens mache ich mir nicht vor Angst in die Hose." Leider war auch ihm nicht mein riesiger Schokofleck auf meiner Lieblingshose entgangen. Die musste ich unbedingt schnell wieder sauber bringen. Das brachte sonst Unglück. Jaha, ich war leider ein ziemlich abergläubischer Mensch. Das konnte ich leider auch nicht mehr ändern. So viel ich es auch versucht hatte. Trotz Jojos ewigem: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Für mich nicht. Ende. Disziplin und ich werden einfach keine Freunde, das war nun mal so.
Verlegen starrte ich zu Boden, um ihn nach irgendwas auszukundschaften, was meine Lappalie verdecken konnte. An eine Jacke hatte ich natürlich nicht gedacht. Da ging ich lieber bei um die Null Grad Eis essen. Um 9 Uhr morgens. Normal war das auch nicht mehr. Mein Blick fiel auf einen Flyer, der mir mit einer großen fetten leider allzu bekannten Aufschrift entgegenstrahlte: Es ist Wert sich einen Adler zu holen, um sich von den oberflächlichen Männern zu erholen.
Ich musste plötzlich laut loslachen, obwohl das in der Situation einfach nicht passte.
„Drehen sie jetzt schon einen zweiten Teil. Wer ist diesmal dran? Donnerstag?" fragte ich Andreas lachend.
Er brauchte erstmal eine Weile, um meinen Witz zu verstehen. Wobei... so schlecht war der jetzt eigentlich nicht.
„Nur weil du es nicht erwarten kannst, ihn wieder zu sehen, brauchst du es jetzt nicht abstreiten. Außerdem heißt der Typ Freitag. Richard Freitag. Wochentage sind nicht so deins oder?"
Ich wurde etwas rot. Aber trotzdem beschäftigte mich der erste Teil seiner Antwort.
„Äh, was nicht wahrhaben?"
„Na, euer gemeinsames Meet and Great heute? Mit den Fans? Markus schien zwar auch nicht besonders froh drüber. Aber er hat es wenigstens nicht vergessen."
Verdattert starrte ich ihn an. Bis ich die Bedeutung seiner Worte langsam realisierte. Mein Handy hatte ich seit gestern nicht mehr angerührt. Ich war immer in der Versuchung gewesen, Markus etwas zu schreiben, musste mir aber einreden, dass es ja eigentlich besser so war. Sollte er doch glauben, was er wollte. Mir konnte das ja schließlich egal sein.
Die DSV-Produktion musste mir wieder einmal eine Mail geschickt haben.
Der Aha-Momente hatte zwar seine Zeit gebraucht, aber jetzt konnte ich dem Schicksal nur dafür danken, dass ich auf Andi getroffen war. Dann konnte ich denen noch rechtzeitig absagen. Ich wusste nämlich nicht, was ein Aufeinandertreffen mit Markus in mir auslösen würde.  Ich versuchte, mir natürlich nichts anmerken zu lassen.
„Hab ich natürlich auch nicht. War nur n Witz von mir, um dich auf die Probe zu stellen."
Verwirrt starrte er mich an
„ Also ich weiß ja nicht, wer hier mal ein Gehirn-Jogging benötigt." Entgegnete er verwirrt.
Bevor die Situation noch peinlicher wurde, als sie eh schon war (was nur schwer zu toppen war), versuchte ich mich elegant aus dem Staub zu machen. Aber ich wusste echt nicht, wie man sich elegant vom Boden erheben sollte, ohne, dass der fette Braune Fleck auf meinem Hinterteil zum Vorschein kam. Andreas beobachtete mein klägliches Scheitern und - ganz der Gentleman - half er mir hoch. Als er mir seine Hand gab, fuhr ein stechender Schmerz durch meine Glieder. Auch er merkte mir meine Reaktion an, obwohl ich versuchte, sie so gut es ging, zu verstecken.
„Alles okay? Ich..." setzte er an.
Bevor das alles noch peinlicher wurde, hieß es für mich nur noch eins: Flucht.
„Jaja, wir sehen uns spä..." entgegnete ich, drehte mich um und wurde sofort wieder von zwei kräftigen Armen aufgehalten. Bei aller Freundlichkeit, langsam nervte der Typ echt
„Also ich hab jetzt wirklich keine Zeit für solche Spielchen mit dir. Ich bin nicht Lena."
Aber er zog sich schon seine Jacke aus und hielt sie mir hin.
„Bind dir die um. Sonst könnte noch ein falscher Eindruck entstehen."
Halb dankbar, halb genervt, nahm ich die Jacke an und verschwand mit einem „R-E-I-F-E Leistung" um die Ecke.

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