Er sucht nach Hilfe, er sucht nach Licht...

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15. Juni 1945
[8:35 Uhr]

Warme Sonnenstrahlen fielen wie goldene Zacken einer Krone in das kleine Zimmer. Sie kitzelten sanft auf der Nasenspitze und ließen ein wohlig warmes Gefühl auf der Haut entstehen, das einem bestenfalls den gesamten Tag prägen sollte. Ein Paar blitzblauer Augen begrüßte die liebe Morgensonne zuerst; kleine Staubkörner tanzten in der Luft wie Glitzerstaub. Sie vollführten in aller Ruhe ihren gleichmäßigen Tanz der Luft, ehe sie zu Boden schwebten und wie der Schnee eine kleine Staubschicht auf das Mobiliar legten. Müde und vollends erschöpft strich sich der Blonde seine Stirnfransen zurück und blickte wortlos auf die Seite. Eingewickelt in einer verhältnismäßig dickeren Decke befand er sich in einem weichen, warmen Bett. Die Erinnerungen, wie er in diesem Nest landete, waren verschwommen oder gar voll und ganz vergessen wie ein Fußabdruck im goldenen Sand des Strandes, welcher durch eine große Welle weggewischt wurde und nun nichts weiter als ein Haufen kleiner, verwitterter Steine war.
Ein warmer, sanfter Luftzug streifte seinen Hals, welcher ihn kurz aufzucken ließ. Gefolgt von einem beflügelten 'Ve~' und dem dünnen Arm um seinen Oberkörper, brachte es Ludwig dazu, dem kleinen, schlafenden Feliciano seine Aufmerksamkeit zu schenken.
Friedlich schlafend hatte er sich an ihn gekuschelt, die einzigen Anzeichen von den Momenten des gestrigen Abends waren seine langen tränenverklebten Wimpern. Sie mussten wohl kurz nachdem Ludwig Feliciano beruhigt hatte, eingeschlafen sein, anders konnte der Blonde sich die momentane Situation nicht erklären. Schlaftrunken wie er noch war ließ er seinen Blick ziellos durch den Raum kreisen. Die warme frühsommerliche Sonne stand bereits hoch am Himmel und hob die morgendlichen Nebelschwaden vom taubesetzten Feld nebenan hoch in die Luft, bis sie schließlich eins mit dem Himmel wurden. Eigentlich war es ein Tag wie aus dem Bilderbuch, und doch war er es nicht. Denn ein Bilderbuch, wie es für Kinder gedacht war, verbarg nur selten die vielen facettenreichen Seitengassen des Lebens, die dir entweder Glückseligkeit und Frohsinn gaben oder dich mit Leid und Schmerz überschütteten. Sie wählten meist nur einen einzigen Weg, den schönsten, ohne großartige Probleme. Aber so etwas Simples bat dir das Leben kaum an. Es gab überall einen Haken, der alles auf einmal zum Einsturz bringen konnte. Ein Haken, der alles beeinflussen und alles zu einem anderen Ergebnis locken konnte.

Feliciano bewegte sich im Schlaf und Ludwig drehte sich sofort zu ihm, da er dachte, er wäre endlich auch aufgewacht. Doch dem war nicht so; er lebte immer noch im Land der Träume vor sich hin und in dieser Zeit schien er sehr ruhig und voll und ganz zufrieden zu sein. Das erfreute den Deutschen ungemein, denn er sah nichts lieber als einen glücklichen Feliciano am Morgen. Denn mit seinem Lachen konnte er die Sonne einfangen und einem jeden Menschen einen seiner Sonnenstrahlen schenken, der auch für den Rest des Tages im Herzen hell schien. Der junge Mann würde alles dafür geben, Feliciano wirklich glücklich und zufrieden zu sehen. Und das nicht nur für wenige Minuten, sondern für immer. Dass es ihm gut ging, das war seine höchste Priorität, sein sehnlichster Wunsch, sein Lebensziel. Er wäre immer glücklich, auch wenn Schlimmes passierte, solange dieser junge Mann mit dem kupferfarbenen Haar bei ihm bliebe und seine Freude mit ihm teilte.

Sie hatten es sich als junge Jugendliche versprochen, doch diese wenigen Tage dieses verfluchten Jahres drohten alle Hoffnungen mit einem Schlag zu zerstören, sie zu zertreten, sie zu zerreißen.
Ebenso...stand es um sein Herz.
Jeder neue Tag würde von nun an mit der Angst beginnen, dass der unschuldige Italiener seinen letzten Atemzug machte und auf ewig von ihm ging. Aber das durfte, nein, das konnte nicht eintreffen. Feliciano musste es schaffen, er musste leben. Ludwig würde lügen, wenn er behauptete, dass er fest davon überzeugt war, dass dieser Teufelskreis gut endete. Er konnte nicht gut enden und dieses Wissen plagte ihn. Es plagte ihn so sehr...und doch wollte er den Wunsch auf ein Happy End nicht aufgeben...vielleicht gab es ja doch noch eine Möglichkeit dafür.

Stern des Himmels | GerItaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt