Heilt die Zeit wirklich Wunden? / Kapitel 22

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Cara's POV:

Ben lächelte vorsichtig. "Darf ich 'rein kommen?", ich nickte bloß. Keine Kraft, um zu antworten. Tut mir Leid, ging nicht. Ich hatte einen Kloß im Hals. Ella wich nicht von meiner Seite. Gut so, sollte sie auch nicht. Allein schaffe ich das nicht. Heute nicht.

Meine Füße trugen mich, wie automatisch, in das Wohnzimmer. Wortlos setzte ich mich auf das Sofa. Klopfte mit flacher Hand, neben mich, auf's Sofa und nickte Ella zu. Diese setzte sich, genauso schweigsam. Ben stand im Türrahmen. "Setz' dich.", Ella machte eine einladende Handbewegung. Ich bekam nicht wirklich mit, was danach passierte.

Schutzfunktion. Mein Körper gehörte nicht mir. Irgendjemand Anderes steuerte ihn - so fühlte es sich jedenfalls für mich an. Plötzlich überkam mich wieder diese schmerzhafte Trauer. Die Trauer, die ich so gut kannte. Die Trauer, die immer da war, immer im Unterbewusstsein schlummerte. Und mich dann umhaute, wenn ich nicht damit rechnete.

Ich dachte wieder an Lea. Meine kleine Schwester. Ich hob den Blick, in Richtung Ben. Er schaute mich mit traurigen Augen an. Der Blick war intensiv. Wartete er auf eine Reaktion von mir? Hatte er schon etwas gesagt? Wenn ja, dann hatte ich überhaupt Nichts davon mitbekommen.

Ich schaute ihn fragend an. Er atmete tief durch. Ich richtete meinen Blick wieder auf meine Hände, die in meinem Schoß lagen. Ich spürte Ella's zarte Hand auf meiner linken Schulter.

"Cara. Weißt Du...", fing Ben an zu erzählen. Wieder blickte ich auf, aber seinem Blick konnte ich nicht Stand halten, daher schaute ich ihm letzendlich auf den kleinen Pickel auf der Stirn, dann sah es wenigstens so aus, als könnte ich seinem Blick standhalten.

Mein Gott, hatte er sich verändert. Er war sehr dünn geworden, als hätte er Ewigkeiten nicht mehr richtig gegessen. Seine Augen waren von Trauer gefüllt. Irgendwie trotzdem ein leerer Blick. Zusammengesunken saß er dort, gegenüber von mir und Ella.

"... weißt Du, ich möchte die Schuld auf Nichts und Niemand anderen, als auf mich selbst schieben. Und ich weiß auch nicht...", Ben stotterte etwas. Er schien sich sichtlich schuldig und unwohl zu fühlen. "... ich weiß auch nicht, ob Du überhaupt noch eine Erklärung für mein Verhalten hören möchtest. Aber, das kann ich dir sagen, es tut mir total Leid und ich würde es so gerne wieder irgendwie gut machen, wenn es ginge. Ich war noch nie so glücklich, wie mit Dir an meiner Seite. Und nach dieser Zeit, war ich noch nie so unglücklich wie jetzt, ohne Dich bei mir. Und das ist mir die letzten Jahre klar geworden. Mit jedem vergangenen Tag mehr. Ich habe mich nicht getraut, mich bei dir zu melden. Aber, Cari, ich vermisse Dich unheimlich. Und es tut mir genauso sehr Leid. Das hätte nicht passieren dürfen.", wieder hörte er auf zu sprechen. Diesmal, um tief Luft zu holen.

Von seinen bisherigen Worten war ich einfach nur geplättet und mir schossen die Tränen in die Augen. Mich überkamen alle Erinnerungen. Erinnerungen und Erlebnisse mit Ihm.

"Cari. Ich liebe Dich. Immer noch. Und ich hoffe, dass Du mir noch eine Chance gibst, das alles wieder gut zu machen. Bitte. Ich liebe Dich.", ich schnappte nach Luft. "Wie bitte?!", Ben schaute auf seine Füße. "Ich wusste es. Ich wusste, dass Du mir keine zweite Chance gibst.", er stützte sich ab, um aufzustehen. Doch irgendetwas in mir bewegte mich. Ich stand auf und drückte ihn zurück auf seinen Sitzplatz. Etwas irritiert setzte ich mich dann wieder auf meinen.

"Kannst Du... kannst Du das nochmal sagen?", murmelte ich. Ella stand mit einem Lächeln auf und ließ uns allein. Ich wusste, dass sie es gut meinte und uns Zeit geben wollte, um allein Reden zu können.

"Was denn?" -  "Den Letzten Teil...", es war mir unangenehm, aber durch diesen Satz fühlte ich keine Trauer mehr. Fühlte mich geborgen. Ich war auch nicht mehr sauer auf Ben. Eine Erklärung für sein Verhalten damals wollte ich schon lange nicht mehr hören. Es änderte doch sowieso Nichts, oder?

"Ich liebe Dich. Ich habe die ganze Zeit nie damit aufgehört. Ich war einfach ein Idiot damals. Ein Arschloch. Und ich kann verstehen, wenn Du mir nicht verzeihen kannst oder willst.", sagte er. Diesmal schauten wir uns dabei in die Augen, niemand schaute auf die Hände, Füße oder den Boden.

"Ich weiß ehrlich nicht, was ich sagen soll, Ben. Ich war sauer, enttäuscht und verletzt. Ich war nicht ich selbst, nachdem ich das gesehen habe. Weißt du... ich muss da erstmal 'drüber nachdenken. Ich weiß nicht, wo ich stehe und was ich fühle. Gib' mir bitte noch etwas Zeit, um zu entscheiden, wie ich damit umgehen soll.", ich war selbst erstaunt über diesen Redefluss. Aber auch irgendwie stolz auf mich, dass ich soviele Worte unfallfrei und grammatikalisch richtig aneinandergereiht ausgesprochen hatte.

"Ja, klar. Ich hatte auch mit noch keiner Entscheidung gerechnet. Ich wollte Dir nur endlich mitteilen, was ich Dir schon so lange sagen wollte. Lass' Dir soviel Zeit, wie Du brauchst. Ich möchte Dich nicht unter Druck setzen. Ich möchte nur, dass du es weißt.", jetzt stand er mit einem vorsichtigen Lächeln auf und ging leise zur Haustür. Ich blieb sitzen. Kurze Zeit später fiel die Tür ins Schloss.

Langsam stand ich auf, um Ella zu suchen. Schließlich fand ich sie in ihrem Zimmer. Man sah ihr an, wie ungeduldig sie darauf wartete, dass ich zu ihr kam. "Und? Was habe ich verpasst?", fragte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Den Rest des Tages verbrachten wir damit, uns über das Geschehene zu unterhalten und auszutauschen.

Irgendwann gingen wir dann mitten in der Nacht schlafen. Es war eine unruhige Nacht für mich, da ich die ganze Zeit darüber nachdachte, was ich darüber denken sollte, was ich ihm antworten sollte und wie ich fühlte. Zum Glück erwartete mich am nächsten Morgen aber kein klingelnder Wecker.

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Etwas kürzer, das nächste wird wieder länger. Versprochen! :)

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