Kapitel 10

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Ich war ganz auf mich allein gestellt. Ich hatte Schmerzen erlebt die ich bis dato nicht gekannt hatte und ich war erfüllt von Sorge und Angst. Ich hatte Angst, dass ich Thallin nie mehr wieder sehen würde, dass ich meinen Vater in Kummer und Leid zurück ließ und er sich nicht von seiner einzigen Tochter verabschieden konnte. Ich hatte Angst, weil ich praktisch machtlos war. Ich konnte weder Laurin noch Sebastian und schon gar nicht Ina helfen. Ich konnte nicht mal mir selbst helfen. Es war fast schon erschreckend wie der Kaiser so viel Schrecken verbreiten konnte, wenn er einfach nur er selbst war. Und ich hasste mich für meine Dummheit. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Jetzt war ich am Ende meiner Kräfte und wartete auf den Tod. Echt kein Teekränzchen, musste ich zugeben.
Du bist nicht am Ende.
Ich blinzelte. Diese Stimme. Woher kam sie? Sie war in meinem Kopf, aber sie gehörte nicht mir, das wusste ich. Ich erinnerte mich daran als das Portal erschienen war und ich Angst um Laurin und die anderen hatte. Da war diese Stimme, die mir versucht hat zu sagen, dass sie diejenigen waren, die mich versklavt haben. Dass mich keine Schuld traf. Aber es war nicht meine Stimme. In diesem ganzen durcheinander hatte ich gar nicht begriffen, dass da etwas in meinem Kopf war, dass mit mir sprach. Es war nichts eindringliches, etwas dass meine Gedanken kontrollierte. Im Gegenteil es war als würde ich ein Gespräch führen. In den letzten Sekunden meines Seins klammerte ich mich an diese Stimme in meinem Hinterkopf, mit der Hoffnung auf einen friedlichen Tod.
Und warum bin ich nicht am Ende?
Es kam keine Antwort. Na toll. Am Ende stellte sich heraus, dass ich bloß halluzinierte. Super für mein Selbstwertgefühl. Ich schloss die Augen und dachte an alles mögliche nur nicht an den Schmerz, der mehr als nur präsent war. Meine Hand streifte das Wasser neben mir im Fluss, aber natürlich spürte ich keine Feuchtigkeit, wie denn auch, wenn der Fluss praktisch tot war. Konnten Flüsse überhaupt leben oder sterben? Schließlich war doch alles voller Magie. Naja, außer die magielosen Länder. Wäre praktisch gewesen, wenn ich irgendwelche magischen Kräfte gehabt hätte. Ich hätte Seherin sein können, dann hätte ich das vorausgesehen oder Magierin dann hätte ich mich hier herauszaubern können. Eine Banshee zu sein wäre bestimmt auch nicht schlecht gewesen, dann hätte ich auf meiner Stirn lesen können wie lange ich noch zu leben hatte. Aber natürlich war ich keines davon. In mir floss kein einziges Blut Magie. Aber wenn ich ehrlich war, machte mir der bevorstehende Tod nicht soviel Angst wie er es wahrscheinlich bei den meisten verursacht hätte. Vielleicht lag es daran, dass ich wusste, dass ich sowieso kürzer als die meisten lebte. Dass ich früher sterben würde. Desto mehr Magie man in sich trug, desto länger lebte man. Die Magie verlangsamte den Alterungsprozess. Sebastian zum Beispiel hatte sehr wenig Magie in sich. Weniger als ein Tropfen. Verschwindend gering. Aber immerhin etwas. Er konnte dadurch besser hören als andere und dieses bisschen Magie reichte aus, um sein Alterungsprozess um Jahrzehnte zu verlangsamen. Laurin war genauso wie ich ohne Magie geboren. Eine einzige Chance länger dem Tod zu entgehen, wäre einen Magie begabten zu heiraten wie Sebastian. Aber das war wegen dem Kaiser nicht möglich.
Der Kaiser. Der Kaiser von Benorien war ein gefürchteter Mann in allen sieben Reichen. Er war der mächtigste Magier seit Anbeginn der Zeit. Und Uralt. Er war so vollgepumpt mit Magie, dass er nur noch gänzlich aus Magie bestand. Das bewirkte, dass er nicht wirklich ein Mensch war. Bei ihm verlangsamte die Magie den Alterungsprozess nicht nur, er stoppte ihn ganz. Der Kaiser war also unsterblich. Nicht an die Zeit gebunden. Er würde für immer leben. Selbst wenn die mächtigsten Magier schon tot waren, war er noch immer da. Ich stellte mir das unendlich einsam vor. Nun gut, hätte er nicht all seine Ehefrauen umgebracht, wäre er bestimmt nicht so einsam.
Vor meinen Augen tanzten schwarze Punkte. Der eindeutige Beweis, dass der Blutverlust mich langsam aber sicher einholte. Auch wenn es ein Wunder war, dass ich überhaupt noch bei Bewusstsein war. Ich dachte an etwas erfreuliches. An meinen Vater, der mir das Angeln beigebracht hatte, sowie unzählige andere Dinge, die ich unbedingt können wollte. Ich hatte immer gewollt, in jedem Gebiet bekannt zu sein. Ich hatte mich an allem probiert und für alles Interesse aufgebraucht. Sogar fürs Fechten. Das hatte mich echte Überwindung gekostet. Ich mochte spitze Sachen nämlich nicht und beim Angeln hat eigentlich auch nur mein Vater die ganze Zeit geangelt. Egal, nur die Erinnerung an sich zählte doch, oder?
Der Schmerz in meinem ganzen Körper wurde zu einem dumpfen Pochen. Mein Verstand verabschiedete sich langsam und obwohl eben dies eine beängstigende Erkenntnis war, stellte der schwindende Schmerz doch eine Verlockung da. Ich dachte an all die lachenden Nachmittage mit Genet, an all die humorvollen Unterhaltungen mit Semere und dem Spaß den wir hatten. Während all dem gab ich kein Mucks von mir. Ich wollte nicht vor Schmerz schreien, denn ich wollte den Tod nicht gewinnen lassen, also schloss ich friedlich die Augen.
𝐿𝑎𝑠𝑠 𝑑𝑖𝑐𝘩 𝑖𝑛 𝑑𝑒𝑛 𝐹𝑙𝑢𝑠𝑠 𝑓𝑎𝑙𝑙𝑒𝑛!
Ich riss die Augen wieder auf. Bei dieser abrupten Bewegung, bewegte ich unwillkürlich auch mein Bein und Schmerz durchschoss meinen ganzen Körper. Ich biss mir auf die Lippen um jeden Laut zu unterdrücken.
Wem gehört diese Stimme?
Kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, brüllte in meinem Hinterkopf eine Stimme, die immer mehr Gestalt bekam.
Lass dich in den Fluss fallen!
Was?
Lass dich in den Fluss fallen!
Wieso?
Lass dich in den Fluss fallen!
Ich drehte meinen Kopf und schaute zu dem stillgelegten Fluss, der vielleicht einen Meter Breit war. Wieso sollte ich mir unnötig die Schmerzen machen nur um dann zu ertrinken?
Lass dich in den Fluss fallen!
Vor meinen Augen tanzten schwarze Punkte, meine Sicht verschwamm und mir wurde schwindelig. Mein Sichtfeld wurde immer kleiner und ich immer schwächer.
Lass dich in den Fluss fallen!
Das Brüllen schob sich direkt vor meine Augen und dadurch tat mir der Kopf weh. Mit meinem letzten Rest Willenskraft hiefte ich mich auf meinen Ellbogen und musste mich zusammenreißen um nicht laut aufzujaulen. Meine Schulter war ausgekugelt. Ich hob mein aufgespießtes Bein hoch, damit es aus dem riesigen Holzsplitter befreit wurde. Jetzt blutete mein ganzes Bein unaufhörlich.
Lass dich in den Fluss fallen!
Dann rollte ich mich in den Fluss.
Und wurde Bewusstlos.

The Enslaved GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt