Kapitel 1

43 2 1
                                    

Ich schrubbte. Der Boden war aus poliertem schwarzen Marmor, durchbrochen von weißen Schlieren, die perfekt mit dem Schwarz harmonierten. Der Boden des Palastes wurde so oft gesäubert, dass man sich ungehindert dadrinnen spiegeln konnte. Vermutlich lag es daran, dass den Sklaven aufgetragen wurde, irgendwelche Dinge zu putzen, unter anderem den Boden, wenn es keine andere Arbeit für sie zu verrichten gab. Wir durften uns nicht öffentlich im Palast bewegen, wo uns jeder sehen konnte, sodass wir nicht wie die Dienerschaft Essen servieren oder abräumen durften. Uns war es nicht einmal gestattet zu kochen. Gut, das war wohl eine Vorsichtsmaßnahme damit wir nicht auf die Idee kamen das Essen zu vergiften, aber dennoch. Wir Sklaven erledigten die Drecksarbeit. Und obwohl es nicht viele von uns im Palast gab, waren die Aufgaben die wir zu erledigen hatten reichlich knapp. Also taten wir nichts anderes als zu verhungern und im Dreck zu schmoren. Für mich die Beste Gelegenheit nachzudenken. Um einen Fluchtplan zu entwerfen.
Neben mir klapperte ein Holzlöffel zu Boden, etwas was in den letzten zwei Stunden erstaunlich oft passiert war. Ich blickte hoch zu Ina, ohne in meinem Zutun inne zuhalten und versuchte nicht einmal meinen sorgenvollen Blick zu verbergen. Sie starrte einfach nur mit glasigem Blick in die Schüssel, die sie gerade im Waschbecken wusch und bemerkte den verlorenen Holzlöffel offenbar überhaupt nicht. Im Gegenteil, stattdessen schrubbte sie jetzt ihre Finger mit dem Schwamm und machte sich geistesabwesend daran den Hahn zuzudrehen, um das Wasser abzustellen, das jetzt von zu viel Flüssigkeit überquoll. Laurin rieb neben Ina den Käse, den sie für die Zubereitung einer der vielen Delikatessen brauchten, die der Kaiser und seine Gäste beim heutigen Mittagessen speisen würden. Sie bemerkte Inas Zustand offenbar nicht, genauso wenig wie die drei Köche am vorderen Tresen oder den Köchinnen im hinteren Teil der riesigen Küche oder einer der Dienstmägde die in die königliche Küche huschten und genauso schnell wieder daraus verschwanden. Nicht einmal die Hilfsköche, jene die nur schnippeln durften, aber nicht kochen, bemerkten irgendetwas an Ina. Oder vielleicht taten sie es ja doch, hielten aber nur den Mund. Schließlich hatten sie dringendere Arbeit zu erledigen. Den Kaiser wollte niemand verstimmt sehen. Ich versuchte nicht auf die Magd zu achten, die gerade in ihrer Eile fast über mich gestolpert wäre und jetzt lauthals fluchte, während sie den kleinen Riss in ihrem Rosa vergilbten Kleid betrachtete.
"Scheiße. Scheiße. Verdammte Scheiße!"
Sie und Scheiße schienen alte Bekannte zu sein.
"Wieso müsst ihr Sklaven eigentlich in der Küche arbeiten?" Sie glättete ihr Kleid rasch und eilte davon. Auf eine Antwort wartete sie natürlich nicht. Warum auch? Die Antwort kannte sie ja bereits. Uns Sklaven war es nicht gestattet die Fluren oder Hallen zu säubern, dabei war das Risiko zu groß uns zu sehen und diesen Anblick wollte man sich natürlich ersparen. Wir Sklaven waren Abschaum, deswegen erledigten auch die Dienstleute die öffentlichen Arbeiten. Mein Blick kehrte zurück zu Ina, die die eben gewaschene Schüssel mit einem Handtuck trocknete, bloß verhinderte der Umstand, dass die Schüssel eben nicht wirklich sauber war, dass die Schüssel abgetrocknet werden konnte. Das schien Ina herzlich egal. Meine Sorge vertiefte sich, obwohl ich immernoch nicht in meiner Arbeit innehielt. Ina sah aus wie um die vierzig. Sie hatte blondes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar und Rehbraune Augen. Sie war etwas pummelig und unendlich klein. Sie war so klein, dass sie auf einem Podest stehen musste, um an das Waschbecken zu kommen und trotzdem Schuhe mit Absätzen trug. Besorgt bemerkte ich, dass sie die staubige Schürze um ihr ebenfalls staubiges, braunes Sandsackartiges Kleid falsch herum trug. Das wurde ja immer schlimmer. Ich war nicht einmal Benorianerin und trotzdem war ich in Sorge um Ina. Möglicherweise lag es daran, dass sie mir gegenüber immer freundlich gewesen war, zumindest in den zwei Monaten, die ich jetzt hier war, oder es lag daran, dass sie einfach ein viel zu süßes, unschuldiges Rundgesicht hatte. Und das obwohl sie siebenundreißig Jahre älter war, als sie aussah. Vielleicht auch, lag es bloß daran, dass ich gern eine Freundin aus einem anderen Land hätte. Selbst mit einem, mit welchem wir Krieg führten. Obwohl, genau genommen führten wir keinen Krieg. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Ich stammte aus Thallin. Einem Land, dass in sechs Fürstentümern aufgeteilt war und weit im Süden lag. Es war eins der fünf Gebiete auf der Welt mit Magie. Obwohl die Magie bei uns ihren Tiefpunkt erreicht hatte und zu schwinden begann. Trotzdem hatten auch wir so einige begabte Hexer. Mein Vater war der General einer Armee, die Fürst Blenach unterstellt war. Vor zwei Monaten, als ich mit der Kutsche zu Genet, der Tochter von Fürst Blenach fuhr, wurden die Pferde von einem Waldbrand in der Nähe erschreckt und liefen Blind los. Die Kutsche überschlug sich und irgendwann landete ich bei ein paar Sklaven Händlern an der Grenze zu Benorien. Danach lief es nicht so rosig. Glücklicherweise konnte ich bis jetzt einer Vergewaltigung entfliehen, aber wie lange es so blieb, wusste ich nicht. Denn um ehrlich zu sein, hässlich war ich bei weitem nicht. Früher, wenn ich und Genet zu einer der vielen Bällen gingen, zu denen ihr Vater eingeladen war, hatte ich die Blicke der Männer auf mich gespürt. Sie waren mir ziemlich Gleichgültig gewesen, bis ich Genets Blicke bemerkt hatte, die sich mit jeder weiteren Aufmerksamkeit der Männer mir gegenüber, veränderten. Neid, Eifersucht, Hass. Etwas das ich meiner Freundin bis dato nicht zugetraut hatte. Wir wussten beide nämlich, dass sie die Adelige war. Ich war nur adelig aufgewachsen, hatte aber weder Titel noch nennenswertes Vermögen. Auch wenn mein Vater mit dem Fürsten befreundet war, mir war genauso wie Genet klar, dass es bei diesen Bällen darum ging einen passenden Ehemann für sie zu finden, nicht für mich. Sie war schön, reich und adelig. Auch wenn ihr älterer Bruder Semere alles erben würde. Irgendwann ging sie so weit, meine Kleider heimlich zu verunstalten, um mich möglichst schlecht darzustellen. Es hatte zwar nicht geklappt, aber am Ende hat sie sich entschuldigt.
Erst das Geräusch der Schüssel machte mir bewusst, dass ich Ina ganz vergessen hatte. Die Schüssel war jetzt in der Mitte durchbrochen und völlig kaputt. Erst jetzt bemerkte Laurin, die ein weiteres Stück Käse rieb, das Desaster, das Ina angerichtet hat.
"Inalia?", wisperte sie. "Alles in Ordnung?"
Ina ignorierte sie und putzte munter das Waschbecken weiter. Naja, so munter es nun mal möglich war bei ihrer depressiven Stimmung. Laurin warf ein Blick auf den Tresen, neben dem Waschbecken, wo noch allerlei dreckiges Geschirr zu finden war, dann glitten ihre Augen zurück zu Inas putzender Hand am Waschbecken. "Inalia...vielleicht solltest du es langsamer angehen...", versuchte sie es nochmal. Aber die angesprochene Person reagierte immernoch nicht. Laurin machte einen vorsichtigen Schritt zu Ina, wobei ihr die kurzen braunen Haare in ihr Blickfeld gerieten, und tippte ihr mit dem Finger an die Schulter. Ruckartig fuhr Inas Kopf hoch. Ihre Augen waren immernoch glasig als sie in ihrer Bewegung innehielt und den Kopf mechanisch zu Laurin drehte. Die zuckte überrascht zusammen und sah Ina mit wachsender Besorgnis an. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hob Ina die Hand, in der der Schwamm mit aufgelöster Seife war und bewegte sie in Laurins Richtung. Ich dachte sie wolle ihr den Schwamm überreichen und zur Ruhe legen, da schrubbte Ina plötzlich Laurins Gesicht und Laurin stand nur sticksteif da und betrachtete Ina mit großen Augen. Na toll. Ich ließ seufzend den Kopf hängen.

The Enslaved GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt