*3. Kapitel*

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,,Was?", fragte meine Mutter entgeistert.
,,Ja", sagte ich. ,,Darf ich in den Ferien in diesem Kurs im Zoo teilnehmen?"
,,Auf einmal?", sagte meine Mutter spöttisch. ,,Als ich dich vor zwei Wochen gefragt habe, hast du nur die Augen verdreht."
,,Ja, schon, aber jetzt will ich da hin, weil Elias auch geht."
Meine Mutter seufzte.
,,Na gut, ich melde dich an. Aber du musst trotzdem noch diese Woche zuverlässig in der Schule mitarbeiten. Und jetzt schnell, sonst verpasst du noch deinen Bus!"
Ich nickte und versuchte mein Grinsen zu verbergen, das sich innerhalb weniger Sekunden auf meinem Gesicht ausgebreitet hatte. Dann schnappte ich schnell meinen Rucksack, lief aus unserer Wohnung im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses und stellte mich an die Bushaltestelle. Dort standen wieder die üblichen Leute.
Ein schwarzhaariges Mädchen mit zu viel Schminke im Gesicht, das auf ihrem Handy herumtippte, ein großer behaarter Mann und ein blonder Junge, der nicht älter als acht war. Mit fünf Minuten Verspätung kam dann auch endlich der Bus.

In der Schule hielt ich die ganze Zeit Ausschau nach Elias. Als ich ihn schließlich sah, war er nicht allein. In seiner Begleitung befand sich ein Mädchen mit braunen Haaren, die ihr fast bis in die Kniekehlen hingen. Sie trug dunkelroten Lippenstift und hatte eine Bluse und einen relativ knappen schwarzen Rock unter dem sie eine Netzstrumpfhose trug, an.
Als Elias mich sah, kam er zusammen mit ihr zu mir rüber.
,,Darf ich vorstellen? Das ist Jenny, meine Freundin", sagte er.
Ich konnte sie nur so anstarren, als ob sie ein außerirdisches Monster wäre, das mir gerade mitgeteilt hätte, das es die Erde an sich reißen würde.
Jenny lächelte nur verunsichert.
,,Okay, hallo", sagte sie dann.
,,Hi", erwiderte ich und musste mich zusammenreißen, um nicht loszuschreien. ,,Ich bin Lukas."
,,Ah, okay", meinte Jenny nur und sah mich an, als würde sie einen geisteskranken Typen beobachten, der sie gerade dumm angequatscht hätte. Zum Glück rettete uns Elias aus dieser peinlichen Situation, indem er seine Freundin sanft aber bestimmt von mir weg zog und leise mit ihr redete. Jenny nickte daraufhin und ging hinüber zu ihren Freundinnen. Elias grinste mich an. ,,Ist voll cool, ne Freundin zu haben. Wann holst du dir eine?"
Ich starrte Elias an, dann schüttelte ich den Kopf.
,,Man kann sich Freundinnen nicht einfach ,holen'. Eine Beziehung hat mit Zeit und Liebe und nicht mit Coolheit zu tun."
Elias zog seine Augenbraue hoch.
,,Seit wann kennst du dich denn so mit Liebe aus?"
Sofort lief ich knallrot an. ,,Ähm, also so würde ich Liebe einschätzen. Ich habe mich nicht besonders damit beschäftigt, falls du das meinst."
Elias nickte nur. ,,Okay, alles klar."
Ich seufzte. ,,Nun ja, eigentlich wollte ich dich um einen Gefallen bitten."
,,Na gut, schieß los!"
,,Würdest du vielleicht zu diesem Ferienkurs im Zoo gehen? Ich gehe da nämlich hin und ich hab meiner Mutter erzählt, du würdest da auch hingehen. Also...?"
Elias verdrehte die Augen. ,,Na gut, bin dabei. Aber wenn du mich jetzt kurz entschuldigst, ich muss zu Jenny!"

Ungeduldig verlagerte ich mein Gewicht von dem einen Fuß auf den anderen. Schon seit zehn Minuten stand ich vor dem Zoo und wartete auf Elias. Doch der vertraute blonde Schopf war nirgendwo zu entdecken. Als ich nur noch fünf Minuten bis zum Start hatte, beschloss ich schon mal rein zu gehen. Die anderen standen schon vor einem großen Gebäude, auf dem groß Zooschule stand. Ein junger Mann mit schwarzen Haaren in einer grünen Tierpflegeruniform, auf deren rechter Brust das Logo des Tierparks aufgestickt war.
,,So, mein Name ist Mika und ich werde euch jetzt die Tiere vorstellen", meinte der Tierpfleger. Geduldig hörte ich mir die Namen und Verhaltensweisen der Eulen, Waschbären, Elefanten und Frettchen an. Endlich kamen wir dem Gehege der Polarfüchse näher. Mein Herz hämmerte wie wild gegen meinen Brustkorb, als Mika die Tür für Tierpfleger aufschloss und wir das Gehege betraten.
,,Hier wohnen Amira, Charles und ihre beiden Kinder Luna und Taavi."
Da kam die Familie auch schon angetrabt und starrte gebannt auf den schwarzen Eimer mit den toten Küken, den Mika dabei hatte. Da sah ich plötzlich wieder den Polarfuchs von letztem Mal. Mein Seelentier. ,,Uuuund, wie heißt der?", fragte ich möglichst beiläufig und deutete auf den jungen Fuchs.
,,Das ist Taavi. Er ist der jüngste. In Menschenjahren wäre er vierzehn. Seine Schwester sechzehn...", doch weiter hörte ich nicht mehr zu. Meine Aufmerksamkeit galt nur noch Taavi. Der weiße Polarfuchs kam auf mich zu und schaute mir lange in die Augen. Dann legte er vorsichtig seine Schnauze in meine locker nach unten hängende Hand. Mir kam es so vor, als würde ich meine Schwester berühren. So vertraut. Plötzlich hörte ich Mika laut rufen und sah mit den Armen fuchteln. Taavi zuckte zusammen und flitzte davon.
,,Tut mir leid", meinte Mika keuchend. ,,Geht es dir gut? Taavi kommt sonst nie so nah an Menschen heran."
,,Mir geht's gut...", sagte ich und funkelte den Tierpfleger hinter seinem Rücken böse an.

Als ich am nächsten Tag die beiden Bücher zurückbrachte, in dem roten Buch stand nichts wichtiges, sah mich die blonde Frau an, die mir die Bücher zwei Tage zuvor ausgeliehen hatte lange an.
Dann strich sie die Bücher von der Liste und schob mir schnell einen Zettel zu. Verwundert nahm ich ihn und ließ ihn in meine Hosentasche verschwinden.
In der U- Bahn faltete ich den Zettel auseinander. Dort stand in schöner, geschwungener Handschrift:

Hallo junger Seelenmensch,

Du weißt sicher nicht viel über deine Gabe. Das grüne Buch hat mir auch nicht viel geholfen. Naja, wie dem auch sei, ich bin froh, dass ich jemanden hatte, mit dem ich darüber reden konnte und der mir alles erklärt hat.
Nun will ich auch dir helfen. Triff mich morgen um 16:00 Uhr im Café am weißen Turm.

Julia

Misstrauisch beobachtete ich den Zettel in meiner Hand. Ich kam mit vor wie in einem Film. Doch der Zettel löste sich in meiner Hand nicht in Staub auf und ging auch nicht in Flammen auf. Und es stand auch nirgendwo, dass ich den Zettel vernichten solle. Erleichtert faltete ich den Zettel wieder zusammen, ließ ihn in die Tasche meiner Hose sinken, steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und machte mein Lieblingslied an und beobachtete die kahlen Wände der U- Bahn- Tunnel, die an mir vorbei zogen.

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