*15. Kapitel*

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,,Lukas, kannst du dich mal bitte auf den Unterricht konzentrieren?", fragte mich Sofie streng.
Schnell legte ich meinen Radiergummi und mein Lineal, aus denen ich gerade ein Katapult bauen wollte zur Seite und nickte.
,,Danke!", meinte sie und fuhr mit dem Geografieunterricht fort.
Wir hatten Sofie leider an Tagen mit Unterricht auf Aryon bezogen und an Tagen mit ,,normalen" Unterricht, weil sie unter anderem Geografie unterrichtete.
Verstohlen glitt meine Hand wieder in die Richtung meines halbfertigen Katapultes, da schlug mir jemand auf die Finger.
,,Au, Emilia, lass das!", rief ich.
,,Nein. Du solltest dich echt auf den Unterricht konzentrieren, das ist wichtig.
Genervt verdrehte ich die Augen und richtete meine Aufmerksamkeit nach vorne, wo Sofie sich gerade den Kreidestaub von den Händen klopfte und sich an die Klasse wandte.
,,So, wie ihr alle wisst, ist morgen Mittwoch und auf eurem Stundenplan steht nur: praktischer Unterricht, hab ich Recht?"
Ein paar Schüler nickten.
,,So und da einige noch nicht wissen, was das ist, werde ich mich mit denen morgen am Ankunftsplatz treffen."
Ich nickte.
Endlich klingelte die Schulglocke und ich sprang auf.
,,Emilia, was ist praktischer Unterricht?", fragte ich sie.
,,Find's selbst heraus", meinte sie nur geheimnissvoll, schulterte ihren Rucksack und verschwand in der Menge.
Ich starrte ihr hinterher.
Musste diese Geheimnistuerei unbedingt sein?

Auch wenn mir nicht kalt war, schlang ich meine Jacke enger um mich. Wahrscheinlich eine Angewohnheit.
Ich fand es immer noch seltsam, meinen Atem in Wolken in der Luft zu sehen und trotzdem nicht zu frieren.
Die anderen hatten es nicht so gut wie ich.
Sie hüpften von einem Bein aufs andere und rieben ihre Hände aneinander.
Das sah irgendwie lustig aus und irgendwie hatte ich auch ein schlechtes Gewissen.
Endlich kam Sofie und versprach uns, uns alles zu erklären.
,,Also, wie ich bereits einmal erwähnt hatte, bekommt ihr nun alle individuelle Lehrer, die mit euch praktische Situationen üben. Jeder in seiner Landschaft. Bei so ziemlich allen von euch ist das der Wald. Bei Lukas und Taavi ist es allerdings die Polarwelt. Wer am Montag in Geografie aufgepasst hat, weiß, dass in Aryon alle Vegetationsstufen existieren!"
Taavi stupste mich an.
Hast du aufgepasst?
,,Mehr als du, bestimmt", lachte ich leise.
Taavi schaute mich gespielt empört an.
,,Taavi, Lukas!", ermahnte uns da Sofie.
Sofort stellten wir uns aufrecht hin und ich musste mich stark beherrschen, um nicht laut loszulachen.
,,So, dann wollen wir loslegen. Mary, du und Stella zuerst", bestimmte Sofie.
Das rothaarige Mädchen nickte, Stella setzte sich auf ihre linke Schulter und zusammen traten sie in die kreisförmige Arena, die einem Kolosseum so stark ähnelte.
Nur Sekunden später erfasste sie der weiße Strahl und als er langsam verblasste war auch von den beiden keine Spur mehr zu sehen.
Als nächstes wurden Nele und Zelda aufgerufen, danach sagte Sofie unsere Namen.
Ich war zwar schon mal mit dem Lichtstrahl gereist, doch gefallen hatte es mir nicht.
Ich konnte auch Taavis Unwohlbefinden spüren.
Zusammen stellten wir uns also in die Mitte des Ankunfts- und Abreiseplatzes und warteten und
ich vergrub meine Füße halb in dem Sand, der den Boden bedeckte.
Einige Sekunden passierte nichts und fast hatte sich mein Herzschlag schon wieder beruhigt, als plötzlich der Lichtstrahl vom Himmel runter schoss und uns mit seinem hellen Licht umfing.
Ich schloss die Augen und spürte, wie mich der Strahl vom Boden wegriss und mich in die Luft wirbelte.
Ich hätte am liebsten geschrien, doch ich hielt es zurück, sonst wäre es mir im Nachhinein wahrscheinlich ziemlich peinlich.
Ich kam mir vor wie in einer Achterbahn.
Nur schlimmer.
Ich erinnerte mich an einmal, als ich mit meiner Familie auf dem Volksfest war und meine kleine Schwester unbedingt auf einem 360 Grad Überschlagdings fahren wollte.
Ich hatte zugestimmt und es aber nach der Hälfte der Fahrt bereut und nur gehofft, das zu überleben.
Ungefähr so fühlte ich mich jetzt auch.
Nach gefühlten Stunden spürte ich, wie ich fiel uns in etwas kaltem Nassem landete.
Überaus unelegant landete.
Eigentlich lag ich nur auf dem Bauch im Schnee und versuchte, mich nicht zu übergeben.
Auf einmal hörte ich eine Stimme.
,,Hallo", sagte sie.
Ich drehte mich auf den Rücken und sah einen Jungen mit hellbraunen, verwuschelten Haaren und braunen Augen. Er hielt mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen und ich nahm sie.
Der Junge war wahrscheinlich 16, aber trotzdem ungefähr so groß wie ich.
Ich fuhr mir kurz mit meiner Hand durch meine Haare um Schnee zu entfernen, dann schaute ich mich um.
,,Hast du irgendwo Taavi gesehen?", fragte ich und schaute den Jungen an.
,,Meinst du den Polarfuchs, der mit dir hierher gekommen ist?"
Ich nickte.
,,Der ist da vorne", meinte der Junge und deutete auf einen Schneehügel, der ungefähr zwei Meter weit weg war.
Auf ihm saß ein Polarfuchs, der versuchte, sich nicht zu übergeben.
Ich lief lachend zu meinem Seelentier und streichelte Taavi über sein weiches Rückenfell.
,,Alles gut?", fragte ich.
Wenn du ,,vom Himmel fallen nachdem man vollkommen durchgewirbelt wurde und sich danach fast übergeben" als gut bezeichnest, dann schon!
Ich musste noch mal lachen.
Plötzlich erstarrte Taavi und schaute sich um.
Wo... sind wir hier?, fragte er.
Ich schaute mich um. Wir standen in einer Schneelandschaft.
Überall lag weißer, pulvriger Schnee, so weit das Auge reichte.
Der Himmel war blau und klar.
Der Junge, der mich empfangen hatte gesellte sich zu uns und stellte sich als Julian vor.
Sein Seelenpartner war ein Polarwolf namens Milan.
Ich fand das irgendwie lustig.
Ein Polarwolf der so hieß wie eine Vogelart.
Taavi verhielt sich Milan gegenüber erst skeptisch, schließlich waren Polarwölfe die natürlichen Feinde von Polarfüchsen.
,,Also, praktischer Unterricht läuft so, dass ihr Situationen übt, die eintreffen könnten und so auf diese vorbereitet seid", erklärte Julian, während wir durch den Schnee stapften.
Es war seltsam, in T- Shirt und Jeans durch den Schnee zu laufen und kein bisschen Kälte zu verspüren.
Ich nickte.
,,Womit fangen wir an?", fragte ich.
,,Erst mal was einfaches. Wir wollen herausfinden, wie weit eure Gedankenunterhaltung reicht. Bei jedem Seelenpartnern ist das unterschiedlich."
Ich machte große Augen.
,,Was müssen wir dafür machen?", fragte ich aufgeregt.
,,Taavi wird ein wenig weg gehen und die ganze Zeit über Gedanken mit dir in Verbindung bleiben. Du sagst mir, wenn du ihn nicht mehr hören kannst."
Ich nickte und Taavi nickte auch.
,,Milan wird dich begleiten", erklärte Julian.
Waaaaas? Dieser seltsame Polarwolf?, beschwerte sich Taavi bei mir, doch ich sah ihn nur mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete, deshalb schwieg Taavi trotzig.
Dann machten sich die beiden auf den Weg.
Taavi sollte unentwegt reden, das fiel dem Polarfuchs nicht schwer.
Also, einmal im Zoo, da war da so ein komisches Mädchen und die hat ernsthaft ein ganzes Wurtsbrot in unser Gehege geschmissen. Das war aber wirklich sehr lecke- oh, was ist das denn? Äh, Lukas, hier liegt wa-
Da brach seine Stimme in meinem Kopf ab.
,,Taavi?", fragte ich.
Dann wandte ich mich an Julian.
,,Ich kann ihn nicht mehr hören", erklärte ich.
,,Gut, dann sag ich Milan, dass die beiden zurückkommen können.
Er schloss kurz die Augen und wirkte konzentriert.
Nach ein paar Sekunden öffnete er sie wieder.
,,Ich- ich kann ihn nicht erreichen", meinte er panisch.

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