*32. Kapitel*

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Inzwischen war es Sonntag und es hatte sich herausgestellt, dass ziemlich viele nicht zurück gekehrt waren.
Allgemein herrschte eine ziemlich drückende Stimmung im Dorf, das mir ohne Arian so leer vorkam. Ich hatte diesen kleinen Jungen sehr in mein Herz geschlossen - es kam mir so irreal vor, dass er einfach weg war. Für immer.
Immer wenn ich daran dachte stiegen mir die Tränen in die Augen, doch ich wischte sie mir schnell wieder weg. Herum zu heulen würde Arian auch nicht zurück holen.
Doch mit jedem Atemzug, jedem Schritt, jedem Herzschlag vermisste ich den kleinen Jungen und wuchs mein Hass und meine Wut gegenüber Mr. Messow.
Am Sonntag Abend, als ich gerade vom Abendessen kam und auf meine Hütte zusteuerte, landete eine Eule auf einem Fenstersims rechts neben mir.
Ich erkannte Snow, Suras Schneeeule schnell und sah sie fragend an.
,,Was gibt's?", fragte ich und lief auf die weiße Eule zu, die mir nur stumm ihr Bein entgegenstreckte, an dem ein Zettel befestigt war.
Vorsichtig löste ich den Zettel von dem Bein des gefiederten Tieres und faltete ihn auseinander.
In dem dämmrigen Licht konnte ich Suras Handschrift nur schwer entziffern, doch irgendwie schaffte ich es doch, die wenigen Worte darauf zu entziffern.
Treffen. Jetzt. Ort: wie immer.
Ich schaute zu Taavi . ,,Wie es aussieht müssen wir noch wo hin", meinte ich und zusammen liefen wir zurück zur Schule.

Keanu kochte vor Wut. Ich ertappte mich dabei, wie ich das Wasser um ihn herum betrachtete und mich wunderte, warum dieses noch nicht blubberte.
,,Mr. Messow ist ein Ungeheuer! Wie kann man seinen Schülern nur so etwas antun? Seelenpartner sind gestorben! Und was macht er? Er bezeichnet das als Test!", die Stimme des älteren Jungen überschlug sich fast, seine Stimme hallte so laut an den Wänden wider, das ich mir fast Sorgen machte, dass man ihn oben in der Aula hören konnte.
,,Einige von uns haben ihre Freunde mit eigenen Augen sterben sehen. Wir sind hier, um etwas zu lernen, nicht um diese scheiß Prüfungen bestehen zu müssen, damit wir die Menschen unterdrücken können! Wir müssen handeln. Und zwar jetzt! Denn wenn nicht jetzt, wann dann?", rief Keanu und die Menge, die etwas kleiner war als zuvor, schrie Zustimmung.
Der Junge schien sich langsam wieder etwas zu beruhigen und holte tief Luft, bevor er etwas leiser als zuvor fortfuhr: ,,Ich habe eine Entdeckung gemacht. Es gibt eine Treppe, die noch weiter hinunter führt, als nur hier zu uns Wasserseelenpartnern. Dort gibt es eine Tür, die verschlossen ist, aber Messow geht dort manchmal mit einer Tüte hinein. Ich habe so eine Vermutung, wer dort sein könnte."
Ich zog scharf die Luft ein. Konnte es wirklich sein, dass Cayhono, der alte Schulleiter und sein Uhu dort gefangen gehalten wurden?
,,Ich werde das überprüfen. Sollten es wirklich Cayhono und sein Seelentier Elwin sein, dann befreien wir die beiden. Mit deren Hilfe können wir Messow stürzen!"
Aufgeregtes Murmeln breitete sich aus und ein Funken Hoffnung flammte in meinem Herzen auf. Ohne dass ich davor lange nachgedacht hatte, rief ich plötzlich: ,,Ich helfe dir. Ich habe einen Freund verloren, der wie ein Bruder für mich war, auch wenn ich ihn nur eine kurze Zeit hatte kennen dürfen. Ich bin es ihm schuldig, dass ich helfe, die Schule zu befreien!"
Keanus Blick richtete sich auf mich, dann nickte er langsam. ,,Gut, wie heißt du?"
,,Lukas. Mein Seelentier heißt Taavi", erklärte ich und deutete auf den Polarfuchs neben mir.
Plötzlich brach Tumult aus und alle wollten auch unbedingt helfen, doch Keanu brachte die Seelenpartner mit einem Handzeichen zur Ruhe.
,,Nein. Zwei Menschen und ihre Seelenpartner sind schon auffällig genug. Ihr habt andere Aufgaben. Findet heraus, wo sich Messow und die Lehrer aufhalten und passt auf, dass niemand nach unten geht, während wir dort sind. Sammelt alle Lehrer, von denen ihr wisst, dass sie Messow auch nicht mögen unauffällig in der Aula. Sie sollen alle Waffen mitnehmen, die sie finden können und auf uns warten. Selbst wenn es nicht Cayhono und Elwin sind, werden wir diesen Schulleiter stürzen. Was immer es kostet."
Die Seelenpartnergruppe nickte euphorisch, dann schwammen alle auf den Ausgang zu und tauchten unter, um Keanus Aufgaben nachzugehen.
Dieser kam zu mir geschwommen und nickte mir zu, als Zeichen, dass ich ihm folgen sollte.
Ich tat wie mir geheißen und folgte ihm, Taavi tat es mir gleich. Wir schwammen um viele Ecken und ich hatte bald die Orientierung verloren, doch Keanu schwamm zielstrebig weiter, seine Muräne dicht neben ihm.
Als wir plötzlich das Ende eines Ganges erreichten sah ich mich verwirrt um. Der Gang war eine Sackgasse gewesen. Auch unter Wasser konnte ich keine weiterführenden Gänge entdecken, wie den, der zu dem geheimen Treffpunkt führte.
Ich tauchte prustend wieder auf und stellte fest, dass Keanu sich aus dem Wasser gezogen hatte. Ich tat es ihm gleich und wurde kurz darauf von Taavi mit Wasser voll gespritzt, da er sich dazu entschieden hatte, sich direkt neben mir das Wasser aus dem Fell zu schütteln.
,,Hier lang", zischte da plötzlich eine Stimme ins Ohr und ich folgte Keanu fasziniert durch einen schmalen Spalt, der sich in der Wand auftat. Erst hatte ich Angst, dass ich stecken blieb, doch ich schaffte es tatsächlich mich ohne Probleme durch den Spalt zu quetschen.
Keanus Muräne musste im Wasser warten und hatte sich dazu bereit erklärt, uns zu warnen, wenn sich jemand dem Eingang zum Keller näherte.
Wir gelangten in einen Gang, der immer breiter wurde und schließlich in eine Treppe mündete. Dank des Rituals könnte ich auch im Dunklen die Stufen relativ gut erkennen und erklärte mich bereit dazu vor zu gehen, Taavi folgte mir auf den Fersen und Keanu lief ganz hinten.
Die Treppe war sehr lang und ging immer weiter hinab und ein weiteres Mal war ich froh darüber, nicht wirklich frieren zu können, denn die Luft schien immer kälter zu werden, was ich daran erkennen konnte, dass Keanu- der dazu noch nasse Klamotten trug- begonnen hatte zu zittern.
Doch als ich ihn darauf ansprach, winkte er nur ab und bedeutete mir weiter zu laufen.
Das tat ich auch und als wir endlich das Ende der Treppe erreicht hatten, konnte ich auch die Tür sehen, von der Keanu gesprochen hatte.
Es war eine Tür aus stabil aussehendem, dunklen Holz mit einem Schloss.
Wie sollen wir die bitte auf bekommen?, hörte ich Taavis Stimme in meinem Kopf, doch ich konnte nur ratlos die Schultern zucken.
Keanu schien allerdings schon eine Idee zu haben, denn er ging ganz ans Ende des Raums und winkte Taavi und mich zu ihm.
,,Wir werden jetzt zu dritt so oft gegen diese Tür laufen, bis sie nachgibt", erklärte er und sah uns mit funkelnden Augen an.
Unsicher nickte ich und auch Taavi schien etwas verunsichert zu sein. Einfach die Tür eintreten? Das kam mir ziemlich unprofessionell vor, doch ich stimmte zu. Eine andere Wahl hatten wir ja anscheinend nicht.
Zusammen holten wir Anlauf und ließen uns dann mit voller Wucht gemeinsam gegen die Tür fallen. Diese ächzte kurz, doch hielt stand.
,,Noch mal!", forderte Keanu und lief wieder los, um Anlauf zu holen.
Meine Schulter schmerzte noch vom ersten Versuch, doch ich gesellte mich zu dem Jungen und Taavi tat es mir gleich.
,,Drei, zwei eins!", rief Keanu und wir rannten wieder los. Die Tür hielt wieder stand und auch beim dritten Angriff wackelte sie nur.
Meine Schulter fühlte sich inzwischen taub an und ich war ziemlich außer Atem.
Erst beim fünften Mal gab die Tür nach und wir fielen Hals über Kopf in den Raum.
Hustend hob ich den Kopf und starrte auf zwei schwarze Schuhspitzen. Da ich damit nicht gerechnet hatte, schrie ich kurz erschrocken auf und rutschte schnell ein Stück nach hinten.
Ein erleichtertes Lachen riss mich aus meinem Schock. ,,Cayhono!", rief Keanu und machte sich schnell daran, die Fesseln des Mannes mit den schwarzen Schuhen zu lösen, der an einen Stuhl gefesselt mitten im Raum vor mir saß.
Schnell richtete ich mich auf und hielt ich etwas im Hintergrund, während Keanu nun auch Elwin befreite und dabei schnell und sachlich unsere Lage erklärte.
Der alte Schulleiter schien sehr schockiert zu sein und machte sich sofort auf den Weg nach oben. Keanu grinst mir glücklich zu und deutete einen Daumen nach oben, bevor er Cayhono folgte.
Taavi und ich beeilten mich, es ihm gleich zu tun.

In der Aula waren erstaunlich viele Lehrer und Schüler versammelt, die uns begrüßten, als wären Helden.
Doch Cayhono winkte nur ab. ,,Noch ist es nicht zu Ende", meinte er düster, ließ sich den momentanen Aufenthaltsort Messows - sein Arbeitszimmer- geben und stürmte die Treppe nach oben, gefolgt von der komplette Schulgemeinde.
Oben vor dem Arbeitszimmer angekommen, stürmte er ohne zu klopfen in das Zimmer und blieb dann erstaunt stehen.
Ich drängte mich durch die Menge neben den Schulleiter und blieb neben ihm stehen.
Messow saß zu uns gedreht an seinem Schreibtisch, als hätte er uns bereits erwartet und starrte uns mit einem leeren Blick entgegen.
,,Ihr habt es also geschafft", sagte er leise, aber dennoch so, dass man ihn gut verstehen konnte. ,,Ich habe verloren. Ihr habt gewonnen", er lachte kurz auf, dann öffnete er eine Schublade und holte etwas heraus, was ich wenige Sekunden später als Pistole identifizieren konnte.
Ich spannte mich an. Wenn er uns erschießen wollte- nur zu!
Doch er zielte die Pistole nicht auf uns, sondern hielt sie an seinen eigenen Kopf und ich konnte gerade noch die Augen zusammenkneifen, bevor ich einen Knall hörte, während gleichzeitig der Geier des tyrannischen Schulleiters einen Schrei von sich gab und die Menge hinter mir entsetzt aufschrie.
Mir wurde übel, als ich spürte, wie etwa Warmes an meine Schuhe schwappte, drehte um und lief mit zitternden Knien die Treppe zur Aul hinab.
Am Fuße der Treppe ließ ich mich nieder und wusste nicht wirklich, was ich machen sollte. Messow war tot, die Schule war befreit. ich schloss die Augen und atmete tief durch, dann fing ich leise an zu lachen.
Wir hatten es geschafft.

Es war dunkel, nur die Polarlichter, die über den sternenübersäten Himmel zogen warfen einen schwachen, grünen Schein auf die schneebedeckte Landschaft.
Ich genoss diesen wunderschönen Anblick der Polarlichter und kuschelte mich näher an Taavi heran.
Mein Seelentier und ich wollten unbedingt noch einmal die Polarlichter sehen, bevor wir die Schule verlassen würden.
Die Ereignisse meines ersten Jahres hier spukten mir immer noch im Kopf herum und ließen mich in mancher Nacht schweißgebadet und panisch aus dem Schlaf schrecken, doch dann waren immer Emilia und Taavi da gewesen und hatten mich beruhigt und getröstet.
Ich würde sagen, dass ich mich verändert habe. Ich bin nicht mehr der Junge vom Anfang der Geschichte dem alles egal war und der am liebsten mit seinem Computer auf seinem Zimmer saß und in Ruhe gelassen werden wollte.
Ich hatte Erfahrungen gesammelt, einen wichtigen Menschen verloren, hatte Gefahren überstanden, einen Freund fürs Leben und meine erste Liebe gefunden und nun saß ich hier, mit meinem Seelentier, so viel klüger, hatte so viel erlebt, hatte so viel durchgestanden und schaute auf den Hügel, auf dem Arian und Jabari für mich gestorben waren.
Und wie ich so dort saß, kam es mir fast so vor, eine kleine Gestalt zu sehen, die auf eben diesem Hügel stand und vorsichtig eine Hand hob, bevor sie sich umdrehte und mit einem kleinen Eisbären neben sich den Hügel hinab, den Polarlichtern entgegenlief, bis sie aus meiner Sicht verschwand und in mir ein trauriges und dennoch gelöstes Gefühl zurück ließ.
Ja, Arian war tot, aber in meinem Herzen würde er weiter leben und ich wusste, dass ich immer jemanden haben würde, der auf mich warten würde, wenn ich irgendwann sterben würde. Doch bis dahin hatte ich bestimmt noch sehr viel Zeit.
Es brachte nichts, alten Erinnerungen hinterher zu trauern. Das Leben ging weiter.
Lächelnd legte ich den Kopf auf Taavis flauschigen Kopf und schloss die Augen.

❄ENDE

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