*18. Kapitel*

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Für den Rest des Tages hatten wir frei, weil Sofie einsah, dass die Klasse zu aufgeregt war, um produktiv mitzuarbeiten.
Ich hatte mich im Schneidersitz in den Sand des Standes gesetzt und wartete auf Emilia.
Taavi war daheim geblieben mit der Ausrede, dass er noch ein wenig schlafen wollte.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass das nur ein Vorwand war, um Jaro nicht begegnen zu müssen.
Der Wind vom Meer frischte etwas auf und ich grub ungeduldig meine Finger in den Sand.
Wo blieb Emilia denn?
Der Strand war unser offizieller Treffpunkt.
Dort trafen wir uns, um zu entspannen oder um zu reden und zu diskutieren.
So wie heute.
Ich musste einfach mit jemandem über das, was heute passiert war reden.
Endlich sah ich das Mädchen, wie es auf mich zu rannte und sich dann atemlos neben mir in den Sand fallen ließ.
Ich musste automatisch lächeln.
Emilias Haar war ein wenig vom Wind zerzaust und ich fand, dass das ziemlich niedlich aussah.
,,Sorry, ich bin zu spät! Aber ich musste erst Jaro davon überzeugen, dass du mich nicht entführen willst!"
Ich lachte und Emilia fiel mit ein.
,,Ja, Taavi ist freiwillig zu Hause geblieben, weil er noch schlafen wollte. Aber ich glaube, eigentlich hat er einfach nur Angst vor Jaro."
Emilia hatte sich inzwischen wieder beruhigt, grinste aber immer noch.
Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst.
,,Lukas, wenn du noch fragst, ist dieser Messow ein größenwahnsinniger Verrückter. Er will das wir was? Eine Revolution anzetteln? Das ist doch vollkommener Unsinn! So viele Seelenpartner sind wir gar nicht und wir alle gegen den Rest der Menschheit...?"
Emilia ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen, aber ich wusste, was sie meinte, mir ging es genau so.
Ich nickte zustimmend.
,,Ja, dieser Typ ist vollkommen durchgeknallt. Aber was sollen wir machen?"
Ich seufzte entmutigt.
Emilia lächelte traurig und zuckte die Schultern.
,,Wir dürfen bloß keine Schwäche zeigen und durchhalten. Das schaffen wir!", sie lächelte mich ermutigend an, dann stand sie auf.
,,Hast du Hunger?"
Ich nickte.
,,Total!"
Meine beste Freundin hielt mir ihre Hand hin und ich nahm sie und stand auf.
Zusammen machten wir uns auf den Weg zum Hauptgebäude und mit jedem Schritt neben Emilia wurde ich zuversichtlicher. Wir würden das gemeinsam überstehen!

Nachts lag ich wach in meinem Bett und konnte nicht schlafen.
Immer wieder drehte ich mich hin und her.
Selbst der Regen, der an mein Fenster pladderte hatte nicht wie gewohnt einen beruhigenden und einschläfernden Effekt auf mich, sondern machte mich eher noch unruhiger.
Taavi war nach einer Zeit aufs Sofa umgezogen, das im Eingangsraum stand, weil ich ihn seiner Meinung nach beim Schlafen stören würde.
Plötzlich hörte ich ein leises Klopfen.
Erst dachte ich, es wäre nur der Regen, der gegen meine Tür und mein Fenster klatschte.
Doch als sich das Klopfen lauter wiederholte, schloss ich diese Möglichkeit aus, stand auf, zog mir Socken über und schnappte mir das Erste, was in meiner Reichweite lag und mit dem ich mich notfalls verteidigen könnte.
Meine Wahl fiel auf meine Wasserflasche aus Glas, die noch biszur Hälfte mit Wasser gefüllt war. Ich würde zwar wahrscheinlich nachts gefühlt sterben, wenn ich kein Trinken hatte, aber man musste manchmal eben Opfer bringen.
Mit der Glasflasche in der Hand lief ich auf die Tür zu, von der wieder Klopfen kam.
Dann stieß ich diese mit Schwung auf.
Vor mir stand eine Gestalt.
Das Mädchen war vollkommen durchnässt, der Regen tropfte von ihren Haaren und sie hatte ihre Jacke fest um sich geschlungen.
,,Du hast es ganz schön kalt hier, hab ich das schon mal erwähnt?", begrüßte Emilia mich zitternd.
,,Oh Gott, Emilia! Komm schnell rein. Ist Jaro auch da?", fragte ich, zog das Mädchen nach drinnen uns schloss die Tür wieder.
,,Nein, Ich hab mich weggeschlichen, als er geschlafen hat", lachte Emilia leise.
Inzwischen war auch Taavi aufgewacht und beschwerte sich bei mir, dass man nirgendwo seine Ruhe haben konnte.
Dann verzog er sich immer noch schimpfend ins Schlafzimmer.
Ich warf einen Blick auf die schwarze Uhr mit den weißen, in dem schwachen Licht leuchtenden Ziffern.
Es war deutlich nach neun.
Um genau zu sein: es war halb drei morgens.
,,Du darfst um diese Zeit eigentlich gar nicht hier sein", gab ich zu bedenken, während Emilia ihre Jacke zu meiner an die Garderobe hängte.
,,Ja, ich weiß, aber... ich weiß nicht... ich wollte einfach mit jemandem reden. Ich... hab mich so allein und einsam gefühlt in meiner Hütte und plötzlich hab ich schlagartig Panik bekommen und wäre am liebsten schreiend und weinend gegen eine Wand gelaufen. Ich hab so Angst, Lukas", erklärte mir Emilia mit zittriger Stimme.
Ich zog sie in eine Umarmung und streichelte ihr beruhigend über den Rücken.
,,Wovor denn?"
,,Vor allem. Vor der Zukunft."
,,Warte kurz", meinte ich, löste mich aus der Umarmung und flitzte kurz in mein Schlafzimmer und kam kurz darauf mit ein paar Decken, meinem geheimen Notvorrat an Schokolade und ein paar Kerzen inklusive Streichhölzern zurück.
Eigentlich war offenes Feuer in den Hütten verboten, aber die Streichhölzer und Kerzen hatte ich im Schrank gefunden und wenn wir diese Nacht sowie schon am Regeln brechen waren, war eine mehr oder weniger auch nicht so schlimm.
Außerdem wäre das elektrische Licht zu auffällig gewesen.
Zusammen breiteten wir die Decken auf dem Boden aus, zündeten die großen Kerzen an und aßen Schokolade.
Da Emilia immer noch kalt war, hatte sie sich in eine Decke gewickelt.
,,Warum hast du eigentlich nicht bei Jaro Schutz gesucht? Sind Seelentiere nicht eigentlich dafür da?", sprach ich die Frage aus, die schon die ganze Zeit an mir nagte.
,,Ich weiß nicht... ich glaube, er könnte mir einfach nicht das geben was ich bräuchte. Jaro ist immer so ein bisschen kaltschnäuzig und ironisch. Ich weiß, dass er mich mit allem beschützen würde, was er hätte, aber er ist nicht wirklich feinfühlig."
Kurz drehte ich meinen Kopf weg, damit Emilia mein Lächeln nicht sehen konnte.
Ich freute mich, dass sie so viel Vertrauen in mich hatte, dass sie mich ihrem Seelentier gleichstellte.
Plötzlich hörte ich Emilia lachen.
Verwirrt drehte ich den Kopf zu ihr und schaute sie fragend an.
,,Ist das eigentlich ein Date? Ich meine: Kerzenlicht, Essen, bei uns halt nur Schokolade...", lachte sie und ihre haselnussbraunen Augen glitzerten im Kerzenschein.
Ich lief tomatenrot an und fiel ins Lachen mit ein.
,,Nein, ist es nicht!", stellte ich klar und biss ein Stück von meinem Stück Schokolade ab und genoss den süßen Geschmack.
Ich liebte Schokolade.
In so vielen Situationen meines Lebens hatte ich schon Schokolade gegessen: auf Partys, wenn ich traurig war, wenn ich einfach etwas kleines naschen wollte oder heimlich im Unterricht.
Emilia und ich saß bis halb vier noch auf unseren Decken, redeten, lachten und aßen Schokolade.
Nach einer Weile wurde Emilia müde.
Sie gähnte, rutschte an mich heran und legte ihren Kopf auf meine Schulter.
Kurz erstarrte ich, während alles in meinem Körper eskalierte.
Von meiner Schulter aus breitete sich Wärme aus, in meinem Bauch kribbelte es und mein Kopf war vollkommen überfordert.
Was passierte hier mit mir?
,,Schlaf gut, Lukas", flüsterte Emilia schon fast im Halbschlaf, dann fielen ihr ihre Augen zu.
Ich pustete im Sitzen noch die Kerzen aus, dann legte ich mich auf die Decken, wobei ich versuchte, Emilia nicht aufzuwecken, was mir auch erfolgreich gelang.
Kurz danach übermannte auch mich endlich der Schlaf.

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