The mysterious girl

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Der Raum war gut gefüllt. Auf den grossen roten Sesseln hatte sich der ganze Jahrgang verteilt. Sie sass links hinten mit ihren Freunden und freute sich auf einen entspannten Nachmittag. Ihre Hoffnung sollte nicht erfüllt werden. Bevor sie sich zurücklehnen und den Film geniessen konnte, stand Anastasia auf und hielt eine Rede. Es war wieder eine ihrer "Die-Welt-geht-unter-wenn-wir-nicht-bald-etwas-tun"-Reden, die von einem Thema handelte, dass nicht den Weltuntergang herbeiführen konnte. Meist ging es um sehr geprägte moralische Fragen, die kaum realpolitische Relevanz hatten. Worum es genau ging interessierte im Saal kaum jemanden. Nach der 30 Minuten langen Rede strecken sich sodann auch einige Studenten und dankten dafür, dass es endlich zu Ende sei. Nur Anastasias Freunde brachen in schallenden Beifall aus, der im grossen Saal aber kaum zu hören war. Es fühlte sich an wie ganz normaler Tag. Doch sie wusste, dass es dies nicht war. Nachdem, was gestern passiert war, könnte es für einzelne Personen im Saal keinen normalen Tag mehr geben. Zumindest nicht bis die Tat aufgeklärt war.

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Nach gut zwei Stunden war der Film zu Ende. Die Studenten machten sich auf den Weg Richtung Ausgang. Die meisten gingen direkt nach Hause. Vor dem Gebäude standen nur noch Leo und seine Freunde, um sich für den Abend zu verabredeten. Einige rauchten, andere lachten schallend als einer der Jungs eine Geschichte zum Besten gab. Es schien ein ganz normaler Tag zu sein. Doch für Leo war es kein solcher. Er wollte sich nicht anmerken lassen, dass er sich fragte, ob er sich noch gleich verhalten konnte. Ob er sich noch sicher fühlen konnte. Er schob die Gedanken von sich sobald sie auch nur im Keim auftraten und versuchte der coole Playboy zu sein, der er seit Jahren zu sein schien. Er lachte als die Geschichte einer seiner Kumpels zu Ende war und verabredete sich schliesslich für den Abend mit seinen Jungs. Er ging der Fassade des Gebäudes entlang, als er plötzlich von einer Hand hinter das Gebäude gezogen wurde. Sein Herz setzte für einen Moment aus. Er schaute sich seinen Angreifer genauer an und blickte in das Gesicht eines Mädchens. Sie mochte nicht viel älter als er sein. Doch ihr Gesicht war kaum zu erkennen. Sie hatte es sich weiss angemalt mit schwarzen Umrandungen um ihre Augen. Über ihre Lippen hatte sie schwarze, dünne Striche gemalt, ihre Stirn schmückte ein seltsames Muster. "Was willst du von mir?", sagte er giftig. "Ich will dir helfen", kam es bestimmt aus den Lippen des Mädchens. "Womit?", fragte er trotzig und verschränkte seine Arme. Sie musste wohl spinnen. Warum sollte er Hilfe von so einer wollen? Zudem hatte er sie ja gar nicht nötig. Er hatte sein Leben voll im Griff. Dachte er zumindest. "Leo", sagte sie sanft, "ich weiss, was gestern passiert ist." Er sah sie eine Sekunde sprachlos an. Woher wusste sie davon? Er hatte es kaum jemandem erzählt. Selbst seine Kumpels wussten nicht Bescheid. "Ich möchte dir helfen", sagte sie und steckte ihm eine Mappe entgegen. Er nahm sie zögernd an und fragte: "Was ist das?". "Informationen, die ich gesammelt habe. Ich will die Täter finden." "Die? Du meinst es waren mehrere?" Sein Interesse war geweckt. Obwohl er ihr Gesicht hinter der Schminke kaum erkennen konnte, schien er zu spüren, dass sie die Wahrheit sprach. "Eine solche Tat kann nicht allein geplant werden. Du bist ja auch mehr durch Glück als Verstand davongekommen." Das war wohl wahr. Er wusste, dass er den Mordanschlag nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. Die Polizei hatte bereits mit den Ermittlungen begonnen. Aus Neugier klappte er die Mappe auf. Darin befanden sich eine Menge von handgeschriebenen Notizen, Zeichnungen und Bildern. Bilder von seinem Haus. Bilder des zersplitterten Glases des Fensters, durch welches der oder die Täter geflohen waren. Es wurde ihm unheimlich. Wer sagte ihm, dass sie nicht Teil einer Bande war, die versucht hatte ihn umzubringen und jetzt den Job vollenden wollte. "Woher hast du das?", fragte er deshalb. 

"Recherchen." 

"Hmm." 

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. "Leo, du kannst mir vertrauen. Ich will dir wirklich helfen." 

"Wie kann ich dir vertrauen, wenn du dich nicht einmal getraust mir den Gesicht zu zeigen? Oder mir wenigstens deinen Namen zu verraten?"

"Es tut mir Leid. Ich will dir wirklich helfen. Vertrau mir einfach bitte, ja?", sagte sie und schaute ihn mit einem Rehblick an. "Ich werde dich wieder finden, sobald ich mehr Informationen habe", sagte sie, nahm ihm die Mappe aus der Hand und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Er blieb eine Sekunde stehen. Wer war dieses seltsame Mädchen? Warum hatte er das Gefühl ihr vertrauen zu können? Warum wollte sie ihre Identität nicht preisgeben?

Hidden truthsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt