Franz Kraft trägt seine Tochter bis zum Auto. Es ist ein verlotterter, gelber Kleinwagen, der seine besten Tage schon lange hinter sich hat. Leo beäugt das Fahrzeug kritisch. "Wie kann man nur so eine alte Schrottkiste fahren", denkt er sich. Franz Kraft scheint Leos Gedanken nicht zu bemerken. Zu fokussiert ist er auf die schlafende Emilia.
"Mach die Tür auf", weist er Leo an. Leo öffnet die Tür zur Rückbank, worauf Franz Emilia darauf platziert. Sie schläft friedlich weiter. Sie scheint in einem nahezu komatiösen Zustand zu sein.
"Steig ein!", kommt die nächste Anweisung des Polizisten. Leo gehorcht. Auch der Innenraum des Wagens hat schon bessere Tage gesehen. Auf dem Sitzleder befinden sich kleine Risse.
"Hast du den Schlüssel zu eurem alten Anwesen?", fragt Franz Kraft Leo. "Woher weiss er von ihrem alten Landsitz?", fragt sich Leo. Sie haben ihn seit Jahren nicht bewusst. Anscheinend müssen die Recherchen der Polizei ziemlich tiefgründig gewesen sein.
"Ich kann ihn holen", sagt Leo und will die Tür des Wagens schon wieder öffnen, um sich ein Taxi zu ihrem aktuellen Anwesen zu rufen. Franz Kraft hält die Tür zu.
"Ich fahr dich hin", sagt er mit ernster Miene und einer Stimme, die keinen Widerstand zu dulden scheint. Leo versucht sich seinen Missmut darüber, mehr Zeit als nur irgendwie nötig in dieser Schrottkiste verbringen zu müssen, nicht anmerken zu lassen. Nachdem Emilias Vater zwei Sitzgurte über ihren schlafenden, quer über die hintere Sitzbank liegenden Körper befestigt hat, steigt er auf der Führerseite ein und fährt los. Sein Tempo bewegt sich konstant über der Höchstgeschwindigkeit. Leo hält sich am Türgriff fest. "Was denkt sich dieser Polizist nur? Will er ihn etwa auch noch umbringen?", denkt sich Leo. Seine machohafte Seite ist nicht ganz verschwunden. Für ihn ist nicht ersichtlich, dass sich Franz Kraft Sorgen um seine Tochter macht und sie in Sicherheit bringen will. Er begreift nicht, dass das Auto so alt ist, weil das Salär eines Polizisten so tief ist, dass er sich neben den Ausbildungskosten für seine Kinder und einer bescheidenen Wohnung nicht mehr leisten kann. Für Leo war Geld sein Leben lang eine Selbstverständlichkeit.
Als sie vor dem Anwesen halten, eilt Leo noch drinnen froh darüber der Klapperkiste für einen kurzen Moment entkommen zu können. Er findet den Schlüssel gut versteckt hinter in einer kleinen Schatulle auf einem der zahlreichen Tischchen mit Blumenvasen und anderen Keramikwerken, deren Wert jenen von Franz Krafts Auto um ein Vielfaches übersteigt. Er nimmt ihn an sich und eilt zum Auto zurück. Er steigt jedoch nicht wieder ein, sondern öffnet die Tür zum Rücksitz. Er löst die Gurte um Emilia.
"Ich fahre", verkündet er und deutet auf einen schwarzen, neumodischen Wagen nahe des Eingangs. Franz Kraft weiss aus seiner Erfahrung mit gut betuchten Leuten, dass Widerspruch zwecklos ist. Zudem wird es für Emilia in dem teueren Wagen sicherlich auch um Einiges bequemer sein und vor allem wird sie nicht jeden Kieselstein auf dem Weg bemerken. Franz Kraft steigt aus und trägt Emilia zum anderen Auto. Gemeinsam gurten die Männer die immer noch schlafende Emilia an. Danach geht die Fahrt los. Von der Stadt hinaus führt der Weg über Hügel und durch Täler. Er mündet schliesslich auf einem verlassenen Kiesweg. Das Haus steht verlassen da. Bereits von aussen ist erkennbar, dass es mehrere Jahre nicht benutzt wurde. Leo trägt Emilia ins Haus und hebt die Leinen über dem Sofa an, um Emilia darauf platzieren zu können. In diesem Moment erwacht sie.
"Wo bin ich?", fragt sie verschlafen.
"Es ist alles gut, mein Schatz", versucht sei ihr Vater mit einer sanften Stimme zu beruhigen. Leo erstaunt die sanfte Stimme des sonst so bestimmten Polizisten.
"Leo?", fragt Emilia verschlafen. Leo kniet sich neben sie hin.
"Ich bin hier, meine Schöne", flüstert er ihr zu.
"Ich habe Durst" ist alles was sie sagen kann bevor sie ihre Augen vor Erschöpfung wieder schliesst. Leo sucht ein Glas, füllt es mit Wasser und bringt es Emilia. Er hebt ihren Kopf leicht an, damit sie trinken kann. Sie nippt langsam am Wasser. Die Erschöpfung ist ihr deutlich anzumerken.
"Ich hole ihr die Medikamente", wendet sich der Polizist an Leo als Emilia getrunken hat. "Pass gut auf sie auf! Ich fürchte, sie hat sich in die Schusslinie begeben und steht nun auch auf der Abschussliste dieser Gauner. Wir fahnden rund um die Uhr nach ihnen und werden diese Bastarde kriegen." Franz Kraft verlässt das Anwesen. Ohne zu fragen fährt er mit dem Wagen von Leos Familie davon. Leo und Emilia sind alleine. Franz Kraft ahnt nicht, dass er gerade den nächsten Tatort verletzt und wird seine Entscheidung noch bitter bereuen.
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Hidden truths
RomanceNach dem Mordversuch taucht plötzlich eine geheimnisvolle junge Frau auf. Sie bietet ihre Hilfe bei der Aufklärung an, ihr Gesicht ist jedoch wie ein Totenkopf geschminkt und sie weigert sich ihre Idenrität Preis zu geben? Eine Liebesgeschichte übe...