Drei Wochen spätet. Bootcamp.

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"Nnnjjjjaaaaaa!", mit einem Schrei, der jedem Karatemeistet zu Ehren gereicht hätte, ließ Jess ihre Faust auf den Boxsack eindonnern.
"Nicht übel", merkte Rat mit vollem Mund an, "aber bei einem richtigen Einsatz würde ich vielleicht weniger schreien.
Schnaubend drehte Jess sich zu dem gedrungenen Vampirjäger um, der sich neben ihrer Trainingsarea in einen Campingstuhl gelümmelt hatte und eine Packung Chips in sich hinein fraß.
Sie war sich nicht sicher, aber sie meinte, einen Bluetooth-ohrstöpsel in seinem linken Ohr blinken zu sehen.
"In einem richtigem Einsatz würde ich keine Musik hören!", gab sie schnippisch zurück.
Sie spürte das Adrenalin durch ihre Adern pumpen und den Schweiß an ihren Armen herabrennen. Sie wollte in Ruhe trainieren, und seine Kommentare halfen auch nicht gerade.
"In einem richtigen Einsatz", Rat warf sich eine weitere handvoll Chips in den Mund, "würde ich so einiges anders machen."
Die alte Scheunentür wurde mit einem Quitschen geöffnet. Die alten Scharniere kreischten gequält, und Jess unterdrückte ihren Instinkt, hinter dem Boxsack in Deckung zu gehen.
Diesen Ton, bei dem sich ihr die Nackenhaare aufstellten, brachte nur eine Person zu Stande: Kate.
Es war nicht falsch zu vestehen: Die Tür quitschte vollkommen unabhängig davon, wer die Klinke betätigte - aber nur Kate stieß sie in einem Manier auf, bei der man glaubte, das geschwundene Metall entschuldige sich lautstark dafür sie herein gelassen zu haben.
Und es hatte allen Grund, sich zu entschuldigen.
Jess hatte die Nase voll von den Konfrontationen mit dunkelhaarigen Sturköpfin. Jedesmal brandete dieselbe Diskussion auf.
Die Tür schwang auf und das Morgenlicht, das hereinströmte, warf den Schatten der jungen Frau um einiges imposanter auf den Boden, als sie beim direktem Ansehen wirken würde.
Ihre Haare fielen locker über die Schultern, die ihr schräg sitzendes T-shirt frei liegen ließ, und ihre Arme waren fordernd gegen die Hüften gestemmt.
Yep. Dieselbe Diskussion schon wieder.
"Was tut sie denn schon wieder hier?", wandte die Jägerin sich mit geschürtzten Lippen an Rat.
Der seuftzte. Er wusste genauso gut wie Jess, was suf die beide zu kam.
"Sie trainiert?", versuchte er müde.
"Aber warum jetzt?", keifte Kate.
Jess hieb noch ein wenig trotziger auf den Sandsack ein.
"Du verlierst deine Form", ließ Rat sie wissen, bevor er sich wieder an seine Kollegin wandte: "Nun, irgendwann muss sie es tun."
"Aber es sollte nicht während der Schulzeit sein", zischte Kate zurück.
Schulzeit. Pffft. Was hatte Jess davon?
Rat seuftzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
"Duke hat gesagt, ich soll sie trainieren", erwiderte er, "also trainiere ich sie, wenn sie hier ist. Und wenn das zufällig vormittags ist, dann ist das eben so. Ich versuche ihr zu zeigen, wie sie überlebt, schon vergessen."
"Su macht gute Fortschritte, obwohl sie nicht die Schule schwänzt. Sie hat einen sehr unförmigen und amateurhaften Stil, aber es ist effektiv."
"Das stimmt wohl", Rat blickte auf, "aber ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wo sie das hernimmt ich habe es ihr jedenfalls nicht beigebracht."

"Du musst schneller werden, schneller, schneller, schneller!", Quinns Stimme war zuerst vor ihr, dann hinter ihr und dann zu ihrer Seite.
Su geriet in dem vernebeltem Raum ins Husten.
Ihr unsichtbarer Freund hatte sich bereit erklärt, seine Kampferfahrungen mit ihr zu teilen.
"Wenn es zur Konfrontation kommt", nahm der seinen Faden wieder auf, "hast du genau zwei Chancen: entweder, du bist ein Muskelprotz der nur ein paar Hiebe austeilen muss, um sich Respekt zu verschaffen, oder du bist flink und wendig genug, den Muskelprotz selber von den Füßen zu fegen. Und du", sie spürte seine Hand wie die Hand eines Geistes auf ihrer Wange, "du hast bessere Chancen mit letzterer Taktik."
Su atmete tief ein. Der künstliche Nebel schmeckte, wie eine Erdbeere schmecken würde, wenn ein Roboter ohne Vorstellung davon, was eine Erdbeere sein sollte, die Pflanzem synthetisch herstellen würde.
Warum waren in der Nebelmaschine, die sie sich geliehen hatte nur Nebelpatronen mit Aroma enthalten?
"Ok", sie begab sich im Position, "ich bin bereit!"
Die Nebelschwaden kräuselten sich, wo Quinn sich bewegte. Es waren winzige Wirbel, die den meisten Menschen gar nicht aufgefallen wären, aber Su hatte während ihrer gemeinsamen Zeit ein Gefühl für solche Dinge entwickelt.
Sie täuschte einen Schlag in Richtung seines Kopfes an und rammte dann unauffällig ihr Knie dorthin wo sie glaubte, seine Kniekehle zu erahnen, dann griff sie in die Luft hinein dahin, wo sein Arm sein müsste und vollführte eine Bewegung, die ihn von den Beinen gerissen hätte.
"Hmh", machte Quinn nachdenklich, "das war schon nicht schlecht. Wenn du mich rumreißen könntest, würde ich jetzt auf dem Boden liegen."
"Gut", Su strich sich ihren Pony aus der Stirn. Sie spürte, wie sich die Schweißporen darunter öffneten, "ich meine natürlich, gut, dass es funktioniert, nicht gut, dass du am Boden liegen würdest."
Er lachte leise im den Nebel hinein: "sicher?"
"Idiot", gab sie grinsend zurück.
Da Jess sich weiterhin weigerte, den ganzen Unsinn mit der Vampirjagd hinter sich zu lassen, hatte Su beschlossen, dass sie selbat wohl auch nicht um das training herumkommen würde.
"Sie war heute schon wieder nicht in der Schule, habe ich Recht?", Quinn beugte sich, dieses Mal mit einem ernsteren Tonfall über ihre Schulter.
"Nein", Su seuftzte. Der Gedanke daran vertrieb ihre gute Laune.
"Solltest du sie vielleicht darauf ansprechen?", schlug der Unsichtbare vor.
"Ist ja nicht so, dass ich das nicht schon versucht hätte", sie drehte sich um, sodass er ihr Gesicht sehen konnte.
Mit ihren Händen glaubte sie, seine Brust zu erahnen. So sehr, wie sie sich traute lehnte sie sich dagegen - was bedeutete, dass sie nur minimal ihr Gewicht nach vorne verlagerte.
Wenn sie ihre Augen schloss, konnte sie spüren, wie er seine Arme, die wärmer waren als der Wasserdunst um sie herum, um sie schlang.
"Ein Wasserfall", sagte er plötzlich.
"Hm?", überrascht sah sie auf.
"Ein Wasserfall. Wir sollten mal einen zusammen besuchen. Ich meine, was ist die Gischt da anderes als der Nebel hier?", seine Hand strich über ihre Wange.
"Ich würde gerne mal im Freien deine Hand halten können", wisperte er.
Ja. Ja, das wünschte sie sich auch.
"Wir können ja vorerst mit einem Lagerfeuer anfangen", schlug sie vor, "Rauch funktioniert ja schließlich auch."
"Am hellichten Tag ein Lagerfeuer?", sein Lachen zog sich durch den Raum wie Zuckerwatte, "Su, willst du von den Leuten so sehr für verrückt erklärt werden?"
"Ich glaube dafür", sie reckte sich etwas in die Höhe, "ist es schon zu spät."
"Wohl wahr, wohl wahr", er stimmte zu, und in seiner Stimme schwang etwas trauriges mit.
Sie wünschte, er würde aufhören, sich selbst Vorwürfe zu machen.
Sie brauchte die Annerkennung der anderen Leute nicht, sie brauchte ihn.
Sie fragte sich, ob das jemals in seinen Dickschädel einsickern würde.
Su schloss erneut ihre Augen, und Quinn hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.
Es würde alles gut werden. Zumindest für heute.

BatsongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt